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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Gut,“ sagte der Hauptmann und erhob sich. „Rien trouvé, monsieur“ (Nichts gefunden, mein Herr), wandte er sich an den wachsbleichen Alten, „venez maintenant, chercher ensemble (kommen Sie jetzt mit, wir wollen zusammen suchen). Begleiten Sie mich, meine Herren,“ wandte er sich zu uns, „die Burschen kommen auch mit.“

Wir versahen uns jeder mit einem der Armleuchter und so ging die Procession hinunter in den Keller. Einzeln kletterten wir durch das Loch in der Mauer, leuchteten überall umher und stießen den Schutt mit den Füßen bei Seite. Wir sahen nichts. Plötzlich stieß der Franzose einen Schrei aus, warf sich an einer Stelle auf die Kniee, an welcher die Ecke eines farbigen Papierbogens aus dem Schutt hervorsah, und warf die Mauertrümmer hastig mit den Händen auseinander. Ein großes mit Bindfaden zusammengeschnürtes Bündel Papiere wurde sichtbar, mit einem Jubelruf zog der Alte es hervor, Thränen stürzten ihm aus den Augen, „oh messieurs,“ rief er, „hier ist das Gesuchte, unverletzt, o messieurs,“ o welch’ Glück!“

Wir standen erfreut und überrascht. „Pas de l’or?“ (Kein Gold?), fragte Hardt staunend.

„O non monsieur,“ rief der Alte glückselig, „Eisenbahn-Obligationen!“

„Jetzt verstehe ich,“ sagte Hardt erleichtert, „da haben wir den Burschen bitter Unrecht gethan,“ und kletterte mühsam durch die Maueröffnung zurück.

Draußen stand das Burschenkleeblatt.

„Jungens“, sagte der Hauptmann, „das Geld ist da, und zur Entschädigung für Euere Angst bekommt Ihr Jeder eine Flasche Wein und von mir fünfundzwanzig Cigarren extra.“

„Wenn der Herr Hauptmann erlauben,“ sagte Kippke wieder sehr vergnügt aufschauend, „ick möcht’ gern mal die hunderttausend Thaler sehen, so viel Geld wer’ ick nich wieder zu sehen kriegen.“

Der Hauptmann nahm dem Franzosen, welcher einen vergeblichen schüchternen Versuch machte, sich dagegen zu sträuben, das Bündel Papiere aus der Hand. „Da, Kippke,“ sagte er, „faß es an, das sind hundertzwanzigtausend Francs.“

„Wat,“ sagte Kippke enttäuscht, „dat is dat Geld?“ Die Schafsmiene, welche Kippke in diesem Augenblick machte, werde ich in meinem Leben nie vergessen.

Als wir am nächsten Morgen zum Abmarsch antraten, fuhr ein zweirädriger Wagen zu uns heran, von dessen Sitz sich unser Alter von gestern mit jugendlicher Gewandtheit herabschwang.

„Pardon, monsieur,“ sagte er zu dem Hauptmann, indem er den Hut zog, „erlauben Sie mir, Sie zu Ihrem Marschziel mit meinem Fuhrwerk zu begleiten, ich habe mir erlaubt, Ihnen einige Vorräthe zu bringen.“

Als wir in den Karren hineinsahen, waren wir wirklich überrascht. Da standen Körbe mit Hühnern, Enten, Eiern, Kaffee, Zucker, Wein und sogar Citronen.

„Hurrah,“ rief Wendt, „Punsch!“ und bat in seinem Innern dem Franzosen seine heimliche Insulte von gestern ab.

Als wir angelangt waren, und der Alte sich von uns verabschiedete, rief ihm der Hauptmann noch nach: „Aber nicht wieder vermauern, Alterchen!“ Der Alte verstand es natürlich nicht, aber er wendete sich lächelnd zurück und schwenkte grüßend den Hut.




Land und Leute.


Nr. 34. Kreuz- und Klostergänge auf der hohen Rhön.


Wie gut han’s die Leutle da droben auf der Rhön!
Da drückt Kein’ der Schuh: weil sie barfüßig gehn.

Dieser Volksreim und dazu Ortsnamen wie Dürrfeld, Sparbrod, Wildflecken, Wüstensachsen, Schmalenau, Dürrhof, Todtemann, Mordgraben, Rabennest, Rabenstein, Teufelsberg, Kaltennordheim etc. sind ein schlimmes Aushängeschild für das Gebirg, welches unsere Leser soeben betreten sollen. Die „Armuth auf der Rhön“ ist rings um die Berge derselben so sprüchwörtlich geworden wie die auf dem Westerwald und Vogelsberg; diese Armuth ist eine historische, sie gehört zu den „berechtigten Eigenthümlichkeiten“, die man fest hält, weil ihre Beseitigung ungewohnten Kampf kostet und die Natur es ist, gegen welche derselbe gerichtet sein müßte.

Die Rhön ist ein Stückchen Bergwelt, welches in den nördlichsten Winkel des bairischen Unterfranken so hineinschoben ist, daß die Ausläufer desselben gleichsam als Ueberläufer noch weit in die hessische, weimarsche und meiningensche getreue deutsche Nachbarschaft hineingedrängt erscheinen. Ihren höllischen Ursprung verräth die Rhön sofort, denn auf einer Unterlage von buntem Sandstein hebt sie ihre vulcanischen Gesteine, wie Basalt, Phonalith und selbst Trachyt, so keck und hoch empor, daß sie den Berghöhen des Fichtelgebirges nahe kommt und die der übrigen fränkischen Gebirge bedeutend überragt.

Wie das Völkchen der Berge, so trägt auch das Gebirg selbst seinen eigenen Charakter immer und ganz entschieden zur Schau. Dennoch zerfällt es, seiner deutschen Art getreu, in mehrere Parteien, die aber alle ihre Abzweigung vom Urstock, von der Gegend von Brückenau, dem berühmten Stahlbad, und dem Heiligen Kreuzberg beginnen, und deren größte sich vom Kreuzberg bis in das Eisenacher Amt Lichtenberg erstreckt. Das ist, wie gesagt, der größte Gebirgstheil und wird ebendeshalb die Hohe oder Lange Rhön genannt. Das Werrathal scheidet den schroffen und harten Gesellen mit Recht von dem sanften liebreichen Thüringer Wald, und wenn es die Rhön-Kolosse wohl auch bis zu 1900 Fuß Höhe bringen, wie sieht’s dafür auf ihrem Rücken aus! Felsige, kahle Einöden kaum hier und da von dürftigem Gesträuch unterbrochen oder mit einer Moosdecke bekleidet, deren Anblick bei der häufigen Nebel- und Wolkenfeuchtigkeit wahrhaft wohl thut. Von den beiden anderen, kurz nach Norden und Westen laufenden Zügen fällt der letztere mit dem Berge Dammersfeld ab, der eine so grasreiche Alp aufweist, daß die Bischöfe von Fulda eine Schweizerei dort unterhielten.

Trotz einzelner fruchtbarer Thäler und des zum Theil prächtigen Holzbestandes an den Bergabhängen und wenigen hohen Hügelrücken ist doch der Kartoffelbau vorherrschend, neben ihm der Flachsbau, und demgemäß Leinweberei und gröbere Holzschnitzerei Hauptbeschäftigung der Rhön-Leute.

Das ist die Lebensgewohnheit, die von Urväterzeiten her alljährlich, so oft die Kartoffel nicht zureichte, ein wenig Hungersnoth erdulden hieß, und für sich wird’s dort auch nicht anders. Es wird eben doch einmal der Geist der Industrie mit der Kraft des Dampfes auch dort einbrechen müssen, um der Romantik der Armuth endlich Halt zu gebieten.

Auf der höchsten Spitze des Rhöngebirgs erhebt sich ein mächtiges holzgefugtes Kreuz, seit Jahrhunderten knarrend und seufzend, aber voll siegreichen Widerstandes im Kampfe mit dem Sturmwinde, dem mächtigen Alleinherrscher aus jener unwirthsamen Höhe. Die es dahingestellt haben mitten in das Centrum Deutschlands, haben vielleicht mit ihm ein Symbol stiften wollen für des Kreuzes Herrschaft über die deutschen Lande. Und die nie aufgegebene Erbschaft jenes Gedankens, tritt sie nicht herausfordernder als je wieder in den Vordergrund?

Auch der Berg, der es auf seinem Rücken trägt, hat sich von dem Kreuze den Namen geben lassen müssen. – Es war ein sonniger Hochsommermorgen, an dem wir, ein Triumvirat profaner Jünger der Themis, von Bischofsheim, einem fränkisch bairischen Städtchen, den Gang hinauf zum Kreuzberg antraten. Ein Kreuzgang war es denn auch der That nach. Stete Kreuz- und Kniebeuge, Ströme „flüssigen Athems“ erforderten die zwei Stunden, deren es bedurfte, ehe wir das Kloster zum Heiligen Kreuzberg in Sicht hatten. Die Sonne war schon hoch gestiegen, als es nun vor uns lag mit seinen weißen Wänden und grauen Dächern. Nach ein paar Zügen an dem äußeren in die Form eines Kreuzes auslaufenden Klingelzuge öffnete eine braune Franziskanerkutte die verschlossene kleine Pforte und geleitete uns in das Gastzimmer.

Vier weißgetünchte Wände und eine lange hölzerne Tafel,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_359.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)