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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Die vorweltlichen Wälder sind nämlich durch die heftigen Katastrophen, welche die Bildungsepochen der jungen Erde kennzeichneten, verschüttet, weggespült und begraben worden und haben im Erdboden unter dem Einflusse der Feuchtigkeit und Wärme jene Veränderungen erlitten, welche der kohlenstoffreichen vegetabilischen Substanz die Beschaffenheit der Braun- und Steinkohle ertheilen. So ist denn der Kohlenstoff durch die innere chemische Arbeit der vorweltlichen Wälder gesammelt und aufgespeichert worden, um heute eine so großartige Rolle in der Geschichte des Fortschritts der Menschheit zu spielen! Welch wunderbarer Zusammenhang!

Die vergleichende Untersuchung der Art und Weise, wie sich Thier und Pflanze dem Stoffmaterial der Außenwelt gegenüber verhält, lehrt also, daß die chemischen Vorgänge in den beiden Reichen der organischen oder belebten Welt im Großen und Ganzen principiell verschieden sind.

Anschauliche Darstellung des Kreislaufs des Stoffes.

Diese principielle Verschiedenheit zuerst hervorgehoben und damit das Dunkel des solidarischen Zusammenhanges zwischen dem Thier-, Pflanzen- und Mineralreich aufgehellt zu haben, das ist Lavoisier’s unsterbliches Verdienst.

Dieser Zusammenhang stellt sich aber als ein in sich geschaffener Kreislauf des Stoffes durch die drei Reiche der Natur dar.

Während die Pflanze einfach zusammengesetzte und hochoxydirte unorganische Verbindungen als Nahrung zu sich nimmt und dieselben unter Desoxydation oder Sauerstoffaustreibung in organische Stoffe verwandelt, verwandelt das Thier, das seine Hauptnahrung mittelbar oder unmittelbar aus dem Pflanzenreiche bezieht, die von der Pflanze erzeugten hochzusammengesetzten und sauerstoffarmen organischen Stoffe durch Oxydation und Spaltung zurück in einfache unorganische Verbindungen. – Die Pflanze eignet sich die Elementarstoffe aus dem Mineralreiche an und macht sie zu Bestandtheilen ihrer organischen Körpersubstanz. Diese organische Substanz und somit die in ihr enthaltenen Elementarstoffe werden Bestandtheile des Thierkörpers, die Bestandtheile und Elementarstoffe des Thieres aber werden wieder zu Bestandtheilen des Mineralreiches und so fort in ununterbrochenem Kreislaufe. Von jedem chemischen Elemente, das die organische Substanz des Thierleibes zusammensetzen hilft, läßt sich nachweisen, daß es, aus dem Mineralreiche von der Pflanze aufgenommen und in ihren organischen Verbindungen fixirt, als Nahrungsstoff in das Thier gelangte, um aus diesem wieder in’s Mineralreich zurückzukehren und diesen Kreislauf immer wieder von Neuem zu beginnen.

Werfen Sie einen Blick auf das große Diagramm, welches ich entworfen habe (siehe den beigebrachten Holzschnitt), um Ihnen den erörterten Kreislauf des Stoffes durch die drei Reiche der Natur einigermaßen anschaulich zu machen.

Die eine Hälfte der Kreisfläche, welche das ganze Universum bedeutet, soll uns die unorganische, die andere Hälfte die organische Welt darstellen; diese letztere zerfällt wieder in einen Quadranten, der das Pflanzenreich, und in einen zweiten, der das Thierreich repräsentirt.

Im Mineralreiche oder in der unorganischen Welt finden sich die vierzehn Elementarstoffe, welche letzten Endes zum Aufbau der organischen Welt dienen, in Form von einigen Mineralsalzen, von Ammoniak (NH3), Wasser (H2O) und Kohlensäure (CO2) vor. Sie finden diese Bezeichnungen in die ausgesparten weißen Täfelchen der rechten Hälfte des Kreises eingeschrieben. Verfolgen Sie nun mit dem Auge in der Richtung, welche die kleinen Pfeile angeben, wie dieses Stoffmaterial unorganischer Natur in den Quadranten des Pflanzenreichs eindringt! Sie bemerken, wie sich die punktirten, die Sauerstoffbahnen andeutenden Linien abtrennen, um wieder in den Raum des Mineralreichs zurückzukehren, wo sie sich in dem Täfelchen, welches mit O bezeichnet ist (d. h. „freier Sauerstoffvorrath der Atmosphäre“), sammeln, während die ausgezogenen Linien, welche die Bahnen des Kohlenstoffs, Wasserstoffs, Stickstoffs etc. bedeuten, ihren Weg fortsetzen und in einen dem Pflanzen- und Thierreichsquadranten gemeinschaftlichen weißgelassenen Streifen gelangen, innerhalb welches die Buchstaben C,H,O,N,S,Ph eingeschrieben sind. Dieser weiße Streifen mit den eingeschriebenen Buchstaben soll uns die hochzusammengesetzten und niedrigoxydirten organischen Verbindungen bedeuten, welche die Pflanze aus dem unorganischen niedrigzusammengesetzten, aber hochoxydirten Stoffmaterial unter Sauerstoffabscheidung erzeugt.

Der weiße Streifen mit den eingeschriebenen Buchstaben greift aber zur Hälfte in den Quadranten des Thierreichs hinein, um Sie daran zu erinnern und Ihnen anschaulich zu machen, wie die dem Thiere unentbehrlichen organischen Nahrungsstoffe und Körperbestandtheile aus der Pflanzenwelt stammen.

Die Bahnen der Elementarstoffe können Sie durch diesen weißen Streifen hindurch in den Thierreichsquadranten verfolgen. Hier jedoch lagert sich die Anordnung der Bahnen wieder um, und, indem die punktirten Linien aus dem freien Sauerstoffvorrath der Atmosphäre, welche in den Thierreichsquadranten eindringen, an die ausgezogenen Linien sich wieder anlegen, kommen die vierzehn Elementarstoffe wieder in Form von Kohlensäure (CO2), Wasser (H2O), Ammoniak (NH3) und Salzen in’s Mineralreich zurück. Dies soll Sie an die Verbrennungs- und Spaltungsvorgänge, durch welche sich im Thiere die regressive Stoffmetamorphose vollzieht, erinnern.

Jeder Elementarstoff vollendet, wie Sie deutlich verfolgen können, eine in sich geschlossene Kreisbahn, welche ihn in ewig wechselnder Vergesellschaftung und Gruppirung mit anderen Elementen durch die drei Reiche der Natur hindurchführt.

So haben Sie denn wohl den Eingangs in Aussicht gestellten tieferen Einblick in die Rolle gewonnen, welche der elementare Stoff bei dem Ablauf der Lebensvorgänge auf unserem Planeten spielt; hineingerissen in einen mächtigen Strom, der aus dem Mineralreich entspringt und seinen Lauf durch das Pflanzen- in’s Thierreich nimmt, um von da wieder in’s Mineralreich zurückzukehren, verändert der Stoff fortwährend seine chemische Anordnung und Gruppirung und seinen Ort im Raum.

Die ganze unendliche Fülle von Erscheinungen des organischen Lebens in der Natur – ja unser eigenes Menschendasein mit seinem ganzen Reichthum an intellectuellen und socialen Erscheinungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_355.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)