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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Als Herr d’Avelon seinen Platz an dem runden Tische wieder einnahm, war hier eben eine Pause in dem Gespräch eingetreten. Max sah sehr zerstreut und wie in Gedanken verloren auf die ruhig an ihrer Stickerei arbeitenden Hände Valentinens; Hartig musterte sein Gegenüber, den Herrn Gaston de Ribeaupierre, der sein hübsches und nur ein wenig verlebtes Gesicht von ihm abgewandt hielt und blasirte Blicke über den unter ihnen liegenden Garten schweifen ließ – er gestand sich, daß er von diesem Herrn Gaston keinen sehr günstigen Eindruck erhalte; der kaum dreißig Jahre zählende junge Mann hatte etwas Weltmüdes und dabei Grämliches, vielleicht Tückisches in den kleinen Fältchen um die Nasenwurzel herum, das keineswegs für ihn einnahm. Der Hausherr warf, als er sich gesetzt, verstohlen einen prüfenden Blick auf die Anwesenden: weder sein Fortgehen noch sein Aussehen schien aufgefallen zu sein; wie beruhigt legte er sich in seinen Sessel zurück und es klang ganz unbefangen, als er nach einer kleinen Pause, den Kopf halb abwendend, so daß er den beobachtenden Augen Ellen’s, die neben ihm Platz genommen, entging, fragte:

„Die Herren haben uns noch nicht gesagt, aus welchem Theile Deutschlands Sie sind … Sie tragen preußische Uniform … aber Preußen ist heute so groß …“

„Ich bin aus Königsberg – weit hinten aus dem echten Preußenlande,“ fiel Max rasch ein – „mein Herr Camerad hier ist sogar der russischen Grenze ziemlich nahe geboren, in Tilsit … wir nehmen Beide dort bürgerliche Stellen ein, mein Camerad ist Schulmann und ich bin der Verwalter eines Amtes in der Administration der Provinz.“

Hartig blickte Max bei dieser Erklärung höchst überrascht an, aber ein bedeutungsvoller, sogar ein wenig drohender Blick, den er von seinem Gefährten erhielt, schloß ihm den Mund … er begann sehr eifrig an der Spitze seiner Cigarre zu wickeln.

„Aber Sie heißen Daveland; ich denke, ich habe Rheinländer gekannt, die diesen Namen trugen?“ fragte d’Avelon still aufathmend weiter.

„Wohl möglich,“ versetzte Max; „ich habe gehört, daß es in der Wesergegend eine Familie des Namens geben soll, mit der die meinige jedoch in keiner Beziehung steht. In alten Zeiten mögen sie zusammengehangen haben … Sie wissen, von jenen westlichen Gegenden Deutschlands aus ist unser ferner Osten in den Zeiten des deutschen Ritterordens bevölkert worden …“

Max Daveland hatte diese Antwort mit derselben Unbefangenheit gegeben, womit Herr d’Avelon anscheinend seine Fragen gestellt. Miß Ellen allein bemerkte an den Zügen des Hausherrn, daß die Worte des fremden Officiers eigenthümlich aufhellend und wie den Druck einer höchst peinlichen Spannung lösend auf ihn gewirkt hatten. Seine Stimme nahm einen hellen, wie freudigen Ton an. Er forderte seine Gäste auf, ihm, bis das Diner servirt sei, auf einem Rundgange durch seine Besitzung zu folgen Seine Besitzung sei sein Stolz, sagte er, er habe sie selber erworben, ja halb selber geschaffen, und seine Gäste entgingen nun einmal dem Schicksal, sie bewundern zu müssen, nicht. – Die Treppe zum Garten schritt er dann mit ihnen so fest und selbstsicher und unbefangen sprechend hinab, daß Miß Ellen ihm höchst erstaunt nachblickte.

Auch Herr Gaston von Ribeaupierre blickte ihnen nach, allen Dreien mit einem keineswegs wohlwollenden Blick.

„Welche Idee,“ flüsterte er dabei sehr ingrimmig, „uns diese widerwärtigen Deutschen auf den Hals zu ziehen!“

„Es ist weniger eine Idee, als ein Ungeschick, was sie uns hergezogen hat, Herr von Ribeaupierre,“ antwortete Valentine ein wenig spitz.

„Wissen Sie das so sicher, daß es ein Ungeschick war, Fräulein Valentine?“

„Ich denke, Sie werden sich gehütet haben, geflissentlich und wie ein Gamin Einen dieser Deutschen zu beleidigen, die jetzt die Herren hier im Lande sind.“

„Sie sind sehr bereitwillig, diese Herrschaft anzuerkennen, Valentine,“ versetzte Gaston geärgert.

„Was kann man an Thatsachen ändern – selbst Ihr tapferes Corps Neufchateauscher Franctireurs ist nicht dazu im Stande, Monsieur Gaston!“ lautete die spitz gegebene Antwort.

„Wir werden dies abwarten, bis das Corps organisirt ist und sich mit denen von Langres verbunden hat … aber freilich, Ihr Vater ist der Ansicht, daß die Franzosen nur zu Niederlagen prädestinirt sind.“ … Gaston lachte bitter auf. „Wir sind zu chevaleresk, um tapfer zu sein!“ setzte er hinzu.

„Das ist freilich ein Vorwurf, dessen Lächerlichkeit schon durch Ihr Benehmen gegen unsere Gäste bewiesen wird.“

„Ich finde eben, daß Ihr Benehmen gegen Ihre Gäste meinen Beitrag von Höflichkeit völlig überflüssig macht. … Sie leisten das Menschenmögliche darin!“

„Mein Gott, Eure ewigen kleinen Gezänke!“ fiel hier Miß Ellen ein, „Du hörst doch, Valentine, aus Herrn von Ribeaupierre redet nur ein Anfall von Eifersucht!“

Valentine zuckte die Schultern und schwieg. Gaston v. Ribeaupierre fand es ebenfalls nicht der Mühe werth, zu antworten. Er stand auf und schlenderte eine Weile die Terrasse auf und ab. Dann verschwand er im Innern des Hauses.

Die beiden Damen hatten unterdeß schweigend ihre Arbeit gefördert. Als Gaston nicht mehr in ihrer Nähe war, sagte Miß Ellen mit einem forschenden Blick auf Valentine:

„Dein Vater wird sich einmal wieder im Deutschreden üben können, jetzt, wo er mit den Herren allein ist! Er muß doch recht lange in Deutschland gewesen sein, um es so gut und so gern zu sprechen?“

„Ein paar Jahre, denk’ ich,“ versetzte Valentine zerstreut. „Seine Vormünder haben ihn hingeschickt, um auf einer landwirthschaftlichen Schule dort den Ackerbau zu studiren.“

„In Deutschland? Seltsam – so viel ich weiß, ist man darin in Belgien viel weiter – auch in England.“ …

„Möglich – aber die Wissenschaft der Sache wird vielleicht in Deutschland besser gelehrt.“

Miß Ellen schwieg eine Weile nachdenklich. Dann hub sie wieder an:

„Und er hat nie irgend etwas verrathen über ein merkwürdiges Erlebniß, eine bedeutungsvolle Erinnerung, welche sich für ihn an Deutschland knüpft?“

Valentine sah fragend zu Miß Ellen auf.

„Wie kommst Du darauf, Ellen?“

„Ich meine nur. Ich glaube, diese deutschen Officiere haben in ihm etwas wachgerufen, ihn an etwas erinnert, was nicht sehr erfreulicher Natur sein muß … seine Erkundigung nach der Herkunft dieses Herrn von Daveland war nicht so unbefangen, wie sie scheinen sollte, aber die Antwort offenbar beruhigend für ihn. Ich würde mich nicht wundern, wenn es zu Tage käme, er hätte in Deutschland ein Fräulein von Daveland geliebt, eine Frau des Namens entführt oder einen Herrn Daveland im Duell erschossen.“ …

„Ach – wie Deine Phantasie arbeitet!“ lächelte Valentine. „Frag’ ihn doch, er hat vor Dir keine Geheimnisse!“ setzte sie mit einem leisen Aufzucken der Lippen, das entweder schmerzlich oder neckend war, hinzu.

„Er hat Eins!“ erwiderte Miß Ellen, gedankenvoll sich über ihre Arbeit beugend.

Ein Diener kam aus dem Salon und brachte eine Botschaft von Herrn Gaston v. Ribeaupierre. Herr Gaston lasse sich bei den Damen entschuldigen, er habe sich eines dringenden Geschäfts, das ihn daheim erwarte, erinnert und sei deshalb nach Hause geritten.

„Ah, desto besser!“ sagte, als der Diener gegangen war, Valentine wie erleichtert aufathmend. „Er war sehr unliebenswürdig heute!“

Miß Ellen warf ihr einen halb verwunderten, halb strafenden Blick zu.

„Du mußt gestehen, daß Du ihn schlecht behandelt hast!“ sagte sie.

„Was schadet es – er kommt ja doch zurück!“ antwortete Valentine mit einem Seufzer.

Nach einer Weile kehrten Herr d’Avelon und seine Gäste vom Hofe her auf die Terrasse zurück. Sie sprachen Deutsch zusammen und waren in eifriger Unterhaltung; es war auffallend, wie gute Freunde der Hausherr und Max Daveland in der kurzen Zeit geworden; sie schienen in den wichtigsten Fragen des praktischen Lebens von einer merkwürdigen Uebereinstimmung; sie redeten von Communal-Verwaltung, von dem Einfluß des Schutzzollsystems, von der Arbeiterfrage und stets hatte der Eine den Grundsätzen des Anderen seine Billigung zu geben. Es war in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_351.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)