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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Beute. Entweder nun bleiben die geraubten Denka Knechte ihrer Sieger oder sie werden an durchziehende Händler verkauft, um vielleicht als Verschnittene, auch als einfache Diener, in die Harems von ägyptischen und türkischen Herren zu wandern oder als Soldaten in die Monturen gesteckt zu werden. Immer erwartet sie dann ein günstigeres Loos, als die rohe und rücksichtslose Behandlung bei ihrer Einfangung und beim Transport zum Duar erwarten ließ. Denn der Sclave ist im Orient mehr ein Kind im Hause, der Soldat in Aegypten ist nicht zum Schlimmsten daran.

Laßt nun die Reiter auf abyssinischen Pferden sitzen, statt der langen Locken feine Haarzöpfe, statt der Ferdas weitärmlige Hemden tragen, statt des Schwertes eine Lanze führen, so habt Ihr die Bagara-Beduinen, welche in ganz ähnlicher Weise die Schillukneger des weißen Nil bekämpfen und berauben, Neger, die den Denka übrigens sehr nahe stehen.

R. Hartmann.


Pariser Bilder und Geschichten.
Die kleinen Rentiers.
Von Ludwig Kalisch.

In Paris, der thätigsten Stadt der Welt, bilden die verschiedenen Classen der Nichtsthuer einen höchst anziehenden Gegenstand der Beobachtung. Wie es nämlich in Paris unzählige Thätigkeiten giebt, so giebt es hier auch unzählige Arten, die Zeit todtzuschlagen. Ich will nicht von den Millionären sprechen, die doch schon durch die Verwaltung ihrer Millionen, durch die vielfachen Ansprüche, welche die Gesellschaft an sie macht, zu einer gewissen Beschäftigung gezwungen sind, noch von dem losen Gesindel, das aus Arbeitsscheu sich den Lebensunterhalt nöthigenfalls mit langen Fingern aus den Taschen der Unvorsichtigen holt, sondern von den vielen kleinen harmlosen Rentiers, die nur ein paar Mal im Jahre einige Coupons abzuschneiden haben, und die zwar sorgenlos leben können, aber an nichts Ueberfluß besitzen, als an Zeit.

Diese Rentiers bestehen großentheils aus Leuten, die sich in reiferem Mannesalter von den Geschäften zurückgezogen, aus Specereikrämern, die während ihrer gewürzreichen Laufbahn sich mancherlei kleine Freiheiten ihren Kunden gegenüber erlaubten, das dickste Papier zu den Düten verwendeten, kleine Kieselsteinchen unter die Kaffeekörner mischten, und öfter als billig war der Wageschale einen geheimen Stoß versetzten, damit die Waare schwerer scheine als das Gewicht, das oft viel leichter war, als es hätte sein sollen. Neben den Krämern müssen hier die kleinen Restaurateure genannt werden. Diese wußten sich ebenfalls während ihrer Geschäftsthätigkeit mit ihrem nicht schwer zu beschwichtigenden Gewissen abzufinden. Sie suchten die Leichtgläubigkeit ihrer Kundschaft mit Hülfe jesuitischer Saucen so viel wie möglich auszubeuten. Sie setzten derselben Hasenpfeffer vor, in welchem so viel Pfeffer und so wenig Hase war, daß der scharfsichtigste Gast nicht sehen konnte, wo der Hase im Pfeffer lag; Kaninchen-Ragouts von solchen Kaninchen, die noch vor Kurzem auf den Dächern der Nachbarschaft miaut hatten, und Fische, die schon mehrere Tage, bevor sie aufgetischt, den Geist aufgegeben hatten. Sehr zahlreich sind auch unter diesen Rentiers die zurückgezogenen Marchands de vin vertreten, die Weinwirthe nämlich, die in niederen Kneipen ihren Kunden niemals reinen Wein einschenkten und, wenn sie Wasser in den Wein gossen, weniger den Wein als das Wasser verdarben.

Diese und noch viele andere Classen haben ein paar Jahrzehnte unablässig gearbeitet, in der Absicht, einige Jahrzehnte gemüthlich von den Strapazen ausruhen zu können. Sie wählen sich, sobald sie ihre Absicht erreicht haben, eine Specialität des Nichtsthuns, je nach ihrem Geschmack, nach ihrer geistigen Befähigung, nach ihrer Gemüthsbeschaffenheit, oder wie es ihnen gerade der Stadttheil erlaubt, in welchem sie wohnen.

Es giebt unter ihnen solche, die blos die freudigen Ereignisse aufsuchen. Sie fehlen niemals bei Trauungen in oder vor den Kirchen, wo sie das geschmückte Brautpaar und dessen Sippe betrachten, sich nach den Vermögensverhältnissen und dem Leumund der betreffenden Familien sorgfältig erkundigen, als ob ihr eigenes Interesse mit im Spiele wäre. Nach vollzogener Trauung begeben sie sich wohl auch in die Sacristei, um den Neuvermählten und deren Eltern die Hand zu drücken und für die lebhaften Glückwünschungen den Dank der Betheiligten entgegenzunehmen. Da in Paris die kirchlichen Trauungen besonders zahlreich an Sonnabenden stattfinden, so freuen sich diese Nichtsthuer auf den letzten Tag der Woche, wo sie ein halbes Dutzend Brauthände in die ihrigen nehmen und unter heißen Theilnahmsversicherungen rütteln und schütteln können.

Es giebt Andere, deren melancholischem Temperamente die freudigen Ereignisse widerstreben, und die deshalb in traurigen Ereignissen ihre Zerstreuung suchen. Sie fehlen bei keiner Beerdigung in ihrem Stadtviertel. Sie stellen sich bei den Familien ein, die von einem Todesfall heimgesucht worden, äußern ihre Beileidsbezeigung durch Händedrücke nach rechts und links, fahren sich auch wohl mit dem Schnupftuch über die Augen, steigen dann in einen der Leichenwagen, lassen sich gemüthlich von den schwarzen Pferden nach dem Kirchhofe ziehen und nach beigewohnter Bestattung wieder in ihren Stadttheil zurückführen.

Für eine große Anzahl dieser Rentiers ist der tägliche Besuch der „Morgue“ eine Hauptzerstreuung. Die Morgue ist, wie die meisten meiner Leser wissen, das am östlichen Ende der Cité-Insel befindliche Gebäude, wo die in der Seine oder auf öffentlicher Straße gefundenen Leichen von Personen ausgestellt werden, die bereits unkenntlich geworden, oder deren Identität nicht ermittelt werden kann. Diese Leichen bleiben nun volle zweiundsiebzig Stunden auf marmornen Tischen hinter Glasthüren den Blicken des Publicums ausgesetzt. Die Kleider jedes dieser Unglücklichen, die entweder Opfer des Meuchelmords, oder eines grausamen Zufalles sind, am häufigsten aber Selbstentleibung verrathen, sind über jedem der erwähnten Tische aufgehängt, so daß die Angehörigen, selbst wenn die Leiche ganz unkenntlich geworden, die Identität derselben leicht daran finden können. Es werden in dieser düstern Anstalt jährlich an sechshundert Leichen ausgestellt, und man kann sich leicht denken, welche herzzerreißende Scenen hier stattfinden. Gar Mancher, der die Morgue besucht, um seine öde Neugierde zu befriedigen, hat hier die Leiche seines Bruders, seines Vaters, oder irgend eines theuern Verwandten oder Freundes gefunden. Derartige Scenen veranlassen, bei der Gutmüthigkeit und Gesprächigkeit der Pariser Bevölkerung, stundenlange Unterhaltungen, die einem fixen Romanschreiber unerschöpflichen Stoff bieten.

Für die Classe der Nichtsthuer, die eine Hauptzerstreuung in heftigen Emotionen suchen, bildet auch der Platz Roquette, wo die Hinrichtungen stattfinden, einen gewaltigen Anziehungspunkt, und es giebt in dieser Classe gewiß Viele, denen es nicht unangenehm wäre, wenn das furchtbare Blutgerüste dort wenigstens ein paar Mal wöchentlich aufgerichtet würde. Bei der Hinrichtung des Arztes Lapommeraie sah ich auf dem genannten Platze eine Gruppe Männer, die viel über das Benehmen der Verurtheilten unmittelbar vor der Vollziehung des furchtbaren Actes plauderten. Der Eine sprach vom Priester Verger, dem Mörder des Erzbischofs von Paris, und äußerte dabei seinen Unwillen über die Feigheit, die dieser Verbrecher vor seiner Hinrichtung verrathen. Man mußte ihn vom Lager reißen, auf’s Schaffot schleppen und so sehr war sein Gesicht durch die Todesangst verzerrt, daß ihm der Mund ganz schief stand. Ein Anderer citirte als lobenswerthes Gegentheil das ruhige und gefaßte Benehmen Orsini’s, der mit festen Schritten das Blutgerüst betrat, ohne eine Miene zu verziehen der Hinrichtung seines Landsmanns und Mitschuldigen Pieri zusah und dann selbst sein Haupt unter das Fallbeil legte. Ein kleines altes Männchen in der Mitte der Gruppe erzählte dann von dem kalten gleichgültigen Betragen einer Frau vor ihrer Hinrichtung, und als ihm einer der Anwesenden widersprechen wollte, sagte er, indem er behaglich eine Prise nahm: „Mein Herr, seit zweiunddreißig Jahren wohne ich den Hinrichtungen regelmäßig bei; ich habe keine einzige derselben verfehlt und darf mir wohl ein Urtheil erlauben.“ Die Uebrigen betrachteten nun den Alten mit einer gewissen Bewunderung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_346.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)