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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Der Mond breitete schon sein volles mildes Licht über die wunderschöne Landschaft, als die letzten Gäste das Wirthshaus verließen und ihren Gehöften zuschritten. Nur Drei von der Gesellschaft, der Franzl, Anderl und sein Bub’ nahmen, mit allerlei Handwerksgeräth und mit Kraxen beladen, ihren Weg in der sternhellen Nacht gegen den Inn. Die Tochter der Berge sollte recht nach Gebirgesart die Reise zu Wasser in die neue Heimath machen und ein dort bereit gehaltenes Floß zogen die Männer nun näher an das Gestade. Dann ging es rüstig an ein Hämmern und Zimmern, und als kaum der Morgen graute, war schon eine prächtige Hütte auf dem Floß erbaut. Der junge Glaasei hatte die Nacht über fleißig Kränze gewunden, die das ganze Floß, den Eingang zur Hütte und selbst die Ruderstangen schmückten. Blauweiße Fähnchen, von Resei heimlich besorgt, flatterten schon lustig im Morgenwinde und prüfend spazierte Anderl am Ufer auf und ab und betrachtete mit scharfem Auge das gemeinsame Werk. Kopfschüttelnd wendete er sich dann an Franzl, der eben noch zwei frischgrüne Tannenbäumchen am vorderen Rande des Flosses aufrichtete.

„Eins fehlt halt dengerscht (trotzdem) noch, Franzl,“ sagte er, „ein Paar Eichenbuschen mit einer Scheibe in der Mitt’ müssen noch her. Das gehört sich für ein’ Jäger.“

„Ist recht, Anderl, aber mach’, sonst kommt uns die ganze Gesellschaft auf den Hals.“ Und das Sägen und Hämmern tönte auf’s Neue durch die Morgenstille.

Im schönsten Glanze der aufgehenden Sonne lag das Thal, als vom Wirthshause her sich ein langer festlicher Zug bewegte. Der alte Schulmeister hatte alle musikalischen Kräfte des Dorfes aufgeboten und unter Geigen- und Trompetenklang kamen Karl und Lene, von dem halben Dorf begleitet, an’s Ufer.

Sie schienen tief ergriffen, als sie das reichgeschmückte Fahrzeug erblickten, an dessen Rudern vier stattliche Gebirgssöhne die Hüte schwangen und dem Brautpaare ein Hoch ausbrachten. Ueberaus herzlich war der Abschied von all’ den guten Menschen und kaum ein Auge blieb trocken. Die alte Wirthin und die Hagengütlerin weinten die hellen Thränen, die jungen Bräute lagen sich lange in den Armen und als die schwarze Resei, der es ein großer „Verdruß“ war, daß sie nicht länger dablieben, um auf ihrer Hochzeit zu tanzen, die Cameradin fragte, ob sie denn, so weit von den Bergen, nicht das Heimweh fürchte, schaute das blonde Mädchen mit einem Blick auf ihren Karl, der es klar sagte: „Wo er ist, ist meine Heimath, mein Leben, mein Himmel!“ – Der frühere Jäger schüttelte dem Förster, dem Franzl, dem Anderl wortlos die Hand und als sein feuchter Blick nochmal über all’ die prächtigen Gestalten und treuherzigen Gesichter hinglitt, blieb er auf dem kleinen Glaasei haften, der kein Auge von dem schönen Floß verwandte, und plötzlich, als ob es ihn dränge, außer seiner Liebe noch eine lebendige Erinnerung an die herrliche Gebirgsgegend mitzunehmen, sagte er zu dem Buben: „Glaasei, wenn Du mit willst – Du sollst es gut haben bei uns, ich will für Dich sorgen.“

Der Knabe schwieg betroffen – der Antrag kam so unerwartet, es klang so verlockend, auf dem prächtigen Floß in die Welt hinaus zu reisen! Der alte Anderl aber schaute ängstlich auf den Buben, daß er so lange mit der Antwort zögerte. Doch dieser, der mit glühendem Gesichte vor sich hingestarrt, hatte kaum das Haupt erhoben, so zeigte er mit ausgestrecktem Arm nach den Bergen, die ihre riesigen Häupter und Zacken in den im Morgenlichte rosig glänzenden Himmel streckten, zeigte nach dem Wilden Kaiser drüben, dessen rauhe Schroffen im Silberglanze leuchteten, und fragte mit funkelndem Auge: „Sagt selber, Herr, ob Einer fort geh’n kann, der da daheim ist?“

„Jetzt kenn’ ich Dich als meinen Buben!“ rief der Alte voll Freude aus und er hob den echten kleinen Oberländer an die vor Bewegung klopfende Brust. Wenige Minuten später gab er seinem Sprößling einen Wink und sie verloren sich unbemerkt zwischen den Bäumen.

Die Stunde der Abfahrt hatte geschlagen. Das junge Paar und die alte Mutter, der der Abschied von der Heimath doch recht nahe ging, hatten das Fahrzeug bestiegen, und als das Floß vom Ufer mit Stangen abgestoßen war, wollte das Hochrufen und Hüteschwenken kein Ende nehmen und die heiteren Musikklänge, die des Schulmeisters Taktschlag kräftig zusammenhielt, fielen rauschend ein.

Schon schwamm das Floß in Mitte des stolzen Flusses, da krachte plötzlich ein Böllerschuß und rollte in hundertfältigem Echo donnerartig durch die Berge. Alle schauten überrascht hinter sich nach der Waldblöße, aus der eine leichte Rauchwolke aufstieg. Karl Steiner aber trat an den Rand des Flosses und schwenkte mit bewegter Miene nochmal seinen Hut, wie ihm der Flößer-Franzl zurief: „Das war der letzte Gruß vom Heu-Anderl am Sulzberg!“

Th. Messerer.


Sclavenfang in Afrika.

Ueber die brutalen Sclavenjagden der Europäer und Aegypter in Ost-Sudan ist schon Vieles geschrieben worden. Weniger bekannt sind die Raubzüge der im „Lande der Schwarzen“ hausenden braunen Nomaden islamitischer Religion gegen ihre heidnischen Nachbarn, die Neger.

Versetzen wir uns einmal in die Steppen Sennaars unter einen Stamm Beduinen, dessen Duar oder Zeltenlager eben eine Abtheilung Dromedarreiter entsendet, um aus dem benachbarten Territorium der Denka-Neger Sclaven zu holen. Unsere Schilderung beruht auf eigenen Anschauungen.[1]

Der Gum, d. h. die Streifpartei, gegen vierzig bis fünfzig Mann stark, besteigt seine großen, klapperdürren, eckig geformten Dromedare. Manchem Theilnehmer gewährt ein Holzsattel mit gespreizten Sitzbrettern Halt, eine Ueberlegdecke von Schaf- oder Ziegenfell kann Nachts zur Lagerstätte dienen. Andere entbehren dieses Geräthes und halten sich nur durch den Schluß ihrer hageren, aber nervigen Schenkel auf dem blanken Buckel des Reitthiers fest. An der Sattelbeuge Einiger hängen ein paar Lederschläuche voll Wasser oder voll Lebensmittel, als Christdornfrüchte, Sirchkorn, trockenes Fleisch, vielleicht ein halbes Dutzend Zwiebeln. Selten gönnt man sich die Mitnahme eines Kuhhorns voll Brodwürze, welche letztere, aus Salz, Kümmel und rothem Pfeffer bestehend, dem übrigen Essen beigemengt wird.

Den Gum umdrängen die Mitglieder des Stammes. Die Dromedare brüllen und gurgeln. Weiber heben ihre Kleinen empor zu den Reitern, mancher Vater herzt innig sein Bübchen oder Mägdlein. Dirnen in der Blüthe ihres Wachsthums, den schlanken Leib mit dem Franzengurte geschmückt, wechseln zärtliche Blicke mit jüngeren Kriegern. Ein greiser Beduine, halb blind, von der Jahre Last gebeugt, streckt die Knochenhände empor und recitirt Koranverse. Tiefernstes „Gefällt’s Gott“ antwortet aus dem Munde der Mannen. Unter dem schrillenden Abschiedsgekreisch der Weiber setzt sich der Gum in Bewegung. Ein Mitglied des letzteren improvisirt in Molltönen ein arabisches melancholisches Liedchen auf irgend einen berühmten Häuptling, auf Weiberschönheit, Löwenstärke, oder auf den bevorstehenden Raubzug. Die Uebrigen heulen die letzten Strophen als Chor in langsam verschwellenden Cadenzen nach. Ihren Blicken entschwinden allmählich die Mattenzelte des Duar hinter den Riesenhalmen des Steppengrases, den Büschen der Akazien und Kappern.

Ohne Aufhören geht es vorwärts. Die Freibeuter gönnen sich nur wenig Ruhe, sie vermeiden es sogar, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, bei Nacht Feuer anzumachen. Die Dromedare werden beim Lagern an den Schenkeln gefesselt. Ein Theil der Krieger bettet sich, das meist einzige Kleidungsstück, eine Ferda oder Baumwolltuch um den wohlgefetteten Körper wickelnd, auf die Erde mitten in’s Dickicht, Andere halten ringsum Wacht. Die Räuber sprechen nur wenig und leis miteinander,


  1. In der Einleitung zu dem von uns in Nr. 1 des Jahrgangs 1871 der Gartenlaube abgedruckten Artikel über inner-afrikanische Antilopenjagden ist die Angabe enthalten, der rühmlichst bekannte Afrika-Reisende Dr. G. Schweinfurth habe dem Verfasser die Materialien zu jener Darstellung geliefert. Allein diese Angabe beruht auf einem redactionellen Versehen, da Dr. Schweinfurth dem Verfasser zwar schätzenswerthe Notizen über Mancherlei mitgetheilt, übrigens aber mit jener früheren Darstellung nichts zu thun hat. Dieselbe ist vielmehr den Tagebüchern des Verfassers und des Dr. Th. Kotschy entnommen.
    D. Verf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_343.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)