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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Regens; diese lösen die Erdtheile, bewirken ganz allmählich dadurch die Zersetzung der Blöcke; in den niederen Regionen des Berges trägt der Wind Pflanzensamen in die Ritzen; die Wurzeln der nun sprossenden Pflänzchen treiben den einstigen Block in immer weitere Zerklüftung; es bildet sich eine leichte Erdschichte; der leichtblütige Sohn des Südens setzt seine Weinreben hinein, und nach fünfzig bis achtzig Jahren treibt der Oelbaum, die Feige, der Maulbeer in dem von unten und oben durchglühten Boden seine Früchte, die von ganzen Wäldern von Weinreben umsponnen und umrankt werden, bis der Alte vom Berge es wieder einmal für gut findet, einen seiner glühenden Gesellen thalabwärts zu schicken, Städte, Villen und Pflanzungen zu zerstören, und einen weiteren zu jenen vielen schwarzen Armen zu fügen, die, vom Scheitel des Berges aus gesehen, sich wie die Füße einer riesigen Kreuzspinne oder eines Polypen in die blühende Welt hinausstrecken.

Dem Studium auf dem Vesuv machte schließlich sein nicht weniger ungezogener Wüstengenosse, Sirocco, ein Ende. Kaum noch konnte ich die letzte nothwendige Studie fertig und in Sicherheit bringen, da blies es von der Sahara her mit so unwiderstehlicher Gewalt und jagte durch die feinsten Fugen der Fenster und Thüren Asche und Staub derart zollhoch herein, daß ich meine sieben Sachen zusammenraffte, den Hut auf dem Kopfe festband, und eiligst mich aus dem Staube machte, der gemischt mit nadelscharfen feinen Steinchen durch die Lüfte brauste.

Vier Wochen lang umfing mich nachher die Schönheit Capris, das Eldorado aller Künstler; Pagano’s Palmen, Orangen und Wein stimmen dort prächtig zusammen mit dem völlig ungezwungenen Zusammenleben der fast ausschließlich aus Deutschen bestehenden Besatzung des Hauses. Nach Titeln, selbst nach Namen wird nicht gefragt, die deutsche Sprache und das deutsche Gesicht genügen, um in den Kreis der Stammgäste aufgenommen zu werden, als „Herr Landsmann“, unter welche Rubrik ohne Weiteres auch der Wiener, Baseler etc. gerechnet wird, was aber „im Reiche draußen“ noch nicht ganz officiell anerkannt sein soll.

„Was macht wohl heute der Vesuv?“ war auch dort an jedem Abend die stehende Frage, und man wanderte hinab zum Bel visto und blickte hinüber, ob er blos rauche oder auch feurig in’s Land und Meer hinaus leuchte. Mehr und mehr stieg der Wunsch in mir auf, bei der Heimreise nun auch einmal zum Vergnügen dem Kobold einen Besuch zu machen. Gesagt, gethan; noch ein Abschiedwinken den Begleitern zu, in die Barke gesprungen, das Segel aufgezogen und hinaus flog der Nachen wie eine Möve mit breitgespannten Schwingen, hinaus in die tiefblaue Fluth dem orangeblüthenduftigen Sorrento zu. Kurze Rast dort, dann ging’s mit einem Wagen weiter die ihrer Schönheit wegen weltberühmte Straße entlang über Meta, Vico nach Castellamare, nachdem der Nothweg kurz vorher passirt war; ein Bergsturz hatte die schöne Kunststraße kurz vorher zerschmettert und seine riesigen Trümmer lagen nun zu beiden Seiten des neuen Weges und in dem dort seichten Meere umher. Ohne Aufenthalt ging es von Castellamare weiter Pompeji zu.

Wie ein gewaltiger Jäger, seine mächtige Pfeife dampfend, mit Behagen auf den erlegten Edelhirsch niederschaut, so ragte der Vesuv an dem sonnenhellen Tage ruhig, aber stark qualmend über sein Opfer empor, dessen zertrümmerte Herrlichkeit an Säulen, Hallen, Wandgemälden, Foren und Tempeln wir schauten. Einen schmerzlicheren Eindruck als alle die Ruinen machte mir aber die im kleinen Museum in Pompeji aufbewahrte Gruppe einer Mutter und Tochter, die zusammengekrümmt und aneinandergeschmiegt sich gegen den allerwärts niederstürzenden Staubregen zu schützen suchten, in dieser Stellung starben und allmählich versteinerten, sowie der noch in voller Jugend blühende Leib einer hoffnungsvollen Frau, die leicht zusammengekrümmt daliegt in der Stellung, in welcher ihr südlich schöner Körper mit dem umhüllten Doppelleben eine Beute des Gesammtvernichters wurde.

Es war am Abend des 24. April, als ich in Pompeji – wieder in fast ausschließlich deutscher Gesellschaft – von der Tafel weg rasch vor das Haus gerufen wurde, um das sonderbare Gebahren des Vesuvs zu sehen; die ganze Gesellschaft sprang auf und vor uns lag der Berg mit einer lodernden, die ganze Fläche aller Krater einnehmenden Feuersäule, während ein breiter, ebenfalls hochaufleuchtender Lavastrom sich in der Richtung nach Neapel von der Spitze herunter ergoß, und der dumpfe Donner trotz anderer Windrichtung bis zu uns herunter drang. Ein Gelehrter aus Norddeutschland, ein fester Mann, und seine schlanke deutsche Frau hatten schon vorher mit mir ausgemacht, daß wir früh am andern Morgen die Besteigung des Berges vornehmen wollten; die neue Erscheinung machte uns hierin nicht irre, und früh um fünf Uhr sprangen wir in die Sättel der schon bereitstehenden Pferde. Es ging in scharfem Trabe erst ein Stück entlang dem Trümmerwall Pompeji’s, dann durch reiche Felder und Gärten dem dicht am Fuße des Vulcans liegenden Dorfe Bosco Reale zu; gleich hinter demselben steigt der Boden rascher, die Gärten hören allmählich auf, einige kümmerliche Weinberge strecken sich noch in die Gebiete der Asche und der zerbröckelnden Lava hinein, bis endlich jede Spur von Vegetation aufhört und wir in der Aschenwüste und den Staubwirbeln steil aufwärts ritten, was die kleinen, aber sehr zähen Pferde mit einer merkwürdigen Ausdauer und Raschheit zu Stande brachten; eine Stunde lang ging es in dieser Weise hinauf, dann sprangen wir von unseren Thieren, übergaben dieselben dem Hüter, und nun ging’s an ein frisches, aber mühsames Indiehöheklettern.

Im glänzenden Gegensatze zu zwei jungen üppigen Französinnen nebst desgleichen Begleiter, welche wir am Tage vorher in den Ruinen von Pompeji hatten in Tragsesseln herumtragen sehen, stieg die zartgebaute, aber willensstarke deutsche Frau rüstig den Berg hinan, jede Hülfe der Sesselträger und Seilzieher entschieden von sich weisend. So erreichten wir nach wieder dreiviertelstündigem Steigen den Rand des Steilabfalles, und hatten nun das Brummen, Lodern und Schießen in dichter Nähe, nur noch durch die leicht geneigte Ebene des inneren Aschenkegels von den Kratern getrennt; dort rasteten wir eine Viertelstunde, genossen die herrliche Aussicht über Land und Meer und die erfrischende Einsicht in ein paar mitgebrachte Weinflaschen und Orangen. Etwa vierzig Fuß unter dem obersten Gipfel liegt scharf in den schiefen Bergabhang ein fünf Fuß weites Loch eingeschnitten, aus welchem sich im Vorjahre eine solche Fülle von Lava ergoß, daß dieselbe das ganze Campo di Somma überschwemmte. Wir stellten uns dicht an den Rand und warfen mit dem Fuß Erde und Sand hinunter; die Hitze und der Zug in demselben war aber so stark, daß die eingeworfenen Bodentheile wie aus einer Flinte abgeschossen wieder heraus und uns über die Köpfe flogen.

Ein paar Schritte noch zur Spitze, und vor uns lagen die Krater in einer so allseitigen und mächtigen Thätigkeit, wie ich dieselben noch nie auch nur annähernd schon gesehen hatte. Der eine der vier Kratertheile, und zwar der größte, lag als sanfte muldenförmige Wiege, den Boden mit weißer Schwefelblüthe bedeckt, zwar ruhig da, aber am Kreuzungspunkt der Schneidelinien der drei anderen hatte sich, wahrscheinlich durch den gewaltigen Ausbruch am Abend vorher, ein großer kreisrunder Trichter gebildet; um ihn genauer zu sehen, sprang ich rasch, trotz der Warnung des Führers, durch die Mulde des ersten und an der Wand des inneren Trichters empor, die anderen zwei folgten, und wir sahen staunend hinunter in einen unergründlichen purpurschwarzen Schlund, der nahe der Oeffnung mit einem mächtigen Gewölbe aus Bimsstein nach einer Seite hin überbrückt war, und in nicht häufigen Pausen einen dicken, finster schwarzgrauen Qualm ausstieß, ohne Steine zu werfen, aber mit einem gurgelnden, rumpelnden Ton. Dagegen hatte sich an der Seite des großen Ringes, welcher die Einzeltheile des großen Gesammtkraters umschließt, ein neues Loch aufgethan, welches in wildem Krachen Gluth, Steine, Lava und rothen Dampf auswarf. In ähnlicher Weise trieben es die beiden anderen thätigen Glieder des Hauptkraters; der sogenannte kleine Krater jedoch war in den vier Wochen, in welchen ich ihn nicht gesehen hatte, um das Doppelte angewachsen an Höhe und Breite; wie ein riesiger, schwarzer Cyklopenzuckerhut starrte er trotzig am Bergrand in die Lüfte und schleuderte aus seiner hohlen Spitze Flammenmassen, welche den hoch aufwirbelnden Dampf rosig färbten, während die massenhaft ausgeworfenen glühenden Lavafetzen sich an seinen heißen Außenwänden im Zurückfallen festsogen und hierdurch unverdrossen an seinem Größer- und Weiterbau fortarbeiten.

Lange, lange sahen wir in das berauschend schöne Schauspiel; rasch zeichnete ich eine Skizze des heutigen Standes der Dinge, dann strichen wir am Außenrand des Gesammtkraters hin, bewunderten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_326.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)