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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

willenlos geschehen, daß Resei sie bei der Hand nahm und mit einem kräftigen Ruck rasch vor den Jäger hinzog.

„So, da habt Ihr jetzt Euer Diendl, Herr Karl, sie ist Euch von Herzen gut, macht’s aus miteinander!“ rief die Wirths-Resei und lachte über das ganze schelmische Gesicht. „Laßt Euch,“ fügte sie vertraulich dem Jäger zuflüsternd bei, „bei der Hagenbäuerin keinen Verdruß anmerken; daß sie so grob war, ist ihr selber zuwider genug.“

Und während Lene mit dem erstickten Ausruf: „Mein lieber Herrgott, kann’s denn sein, nach so viel Leid und Elend, so viel Glück und Freud’!“ an die Brust des überglücklichen Jägers sank und, von seinem Arm umfangen, mit versagender Stimme gelobte, daß sie nie mehr an ihm zweifeln wollte – sprang Resei im Fluge den grünbewachsenen Hang empor, auf dem der zitternde Abendstrahl spielte. Sie war außer sich vor Freude und jubelte wie eine Lerche laut hinaus in den goldenen Abendhimmel, ungewiß, was sie im Grund der Seele augenblicklich mehr beglückte, daß sie und ihr lebensfrischer Franzl ein Paar würden, oder die Wiedervereinigung jenes schmerzensreichen Liebespärchens, die sie in ihrer Gutherzigkeit so rasch bewirkt.

Die Dämmerung war inzwischen hereingebrochen. Der Jäger und sein Mädchen saßen, innig aneinander geschmiegt, noch unter der Buche, und Lene horchte hoch auf über seine Mittheilungen und die frohe Aussicht, die sich ihnen jetzt eröffnete, indeß ihre Cameradin schon in voller Geschäftigkeit in der Wirthsstube waltete.

In halb freudiger, halb ängstlicher Erwartung sah Resei an diesem Abend Gast um Gast das Haus verlassen, und je leerer es in der Wirthschaft wurde, desto enger wurde es ihr unter dem Mieder und die frischen vollen Wangen flammten immer höher auf. Endlich hatte auch der letzte Zecher sich auf den Heimweg gemacht, sie hatte bis auf eins die Lichter ausgelöscht und die Krüge zusammengetragen. Die tägliche Abrechnung mit der alten Wirthin begann und war heute, an einem Wochentage, auch bald zu Ende.

„Gut’ Nacht, Resei, sei morgen bei Zeiten auf, weißt ja, es kommt in aller Früh der Kufsteiner Bot’,“ sagte die Frau, indem sie mit dem eincassirten Gelde zum Wandschränkchen schritt. Das schalkhafte Lächeln, das schon den ganzen Abend über das gute runde Gesicht gezuckt, wurde noch schelmischer, da sie keine Antwort vernahm und das Mädchen mit niedergeschlagenen Augen verlegen am Schenktisch zögern sah. „Nu, Resei,“ meinte sie nach einer Weile, „willst heut’ nicht in’s Bett?“

„Ja, Godl,“ ließ das Mädchen sich seltsam schüchtern vernehmen, „aber ich hätt’ zuerst noch ein Anliegen.“ Dabei getraute sie sich kaum aufzuschauen und zupfte eifrigst an ihrem Schürzenbande.

„Was ist’s denn, Resei?“ fragte die Alte scheinbar ganz harmlos.

Kurz athmend, mit halb abgewandtem Gesicht hub das Mädchen stockend an: „Weil die Godl neulich gesagt hat, ich soll vor ihr keine Heimlichkeit haben – so muß ich halt heut’ der Godl sagen, daß ich schon lang’ einen – einen Schatz hab’. Wir Zwei haben einander so viel gern, daß Eins für’s And’re könnt’ sein Leben lassen – und wenn ich den Buben nicht krieg’ – geh’ ich gleich lieber dem Inn zu!“

„Hoho, so schlimm wird’s wohl nicht werden!“ entgegnete die Alte und blickte mit komischem Lächeln über ihre Brille hinweg nach dem Mädchen, das immer noch halb abgewandt mit zitternden Fingern an der Schürze spielte. „Wer ist’s denn nachher eigentlich?“ forschte sie bedächtig. „Einen Namen wird er doch haben.“

„Ja, es ist – es ist – es ist der Flößer-Franzl!“ stieß Resei endlich hastig hervor. „So, jetzt ist’s in Gottes Namen einmal heraus, jetzt athm’ ich völlig leichter,“ fügte sie aufathmend hinzu und fuhr mit der Hand über die glühend heiße Stirn, als wollte sie sich den Angstschweiß abwischen.

„Hab’ weiter noch nichts gehört von dem Flößer-Franzl,“ sagte die alte Wirthin mit verstelltem Ernst, „als daß er stark auf’s Wildern geht.“

„Das ist aber auch Alles, was man ihm nachsagen kann,“ fuhr das Mädchen mit lebhafter Bewegung und raschen Tones zur Vertheidigung Franzl’s auf, und das ist auch grad’ keine Schand’! Er ist ein fleißiger, braver, ehrlicher Bursch’, er erhält seine alte Mutter ganz allein, und das sag’ ich der Frau Godl rundweg: einen Buben, der sich nicht traut, eine Gemse ’runterzuholen, den möcht’ ich meiner Lebtag’ gar nicht! Ist aber der Franzl erst der Meinige und ist ein hausgesessener Mann, nachher hat sich’s aufgehört mit dem Schießen, da bleibt der Stutzen schön ruhig am Nagel hängen.“ Erschrocken über sich selbst, daß sie sich zu solchem Eifer hatte hinreißen lassen, schaute sie jetzt der alten Godl ängstlich prüfend in’s Gesicht.

„Das ist alles recht, Resei,“ sagte diese, die sich nicht länger verstellen konnte, mit ihrem freundlichsten Lächeln, „aber bringen mußt mir ihn ja doch – ich kann nicht selber zu ihm gehen.“

„Ich wollt’ ja die Frau Godl grad’ drum bitten,“ rief das Mädchen mit ausbrechender Freude, „daß ich ihn auf morgen früh herbestellen dürft’.“ Und auf das schmunzelnde Nicken der Alten fiel sie ihr um den Hals, umfaßte sie, als ob sie dieselbe nie wieder loslassen wollte, und küßte im zärtlichsten Ungestüm wieder und wieder das gute runzlige Gesicht.

„Aber jetzt mach’ und geh in’s Bett, Resei,“ sagte die Wirthin gerührt und wehrte das stürmische Mädchen von sich.

Leicht und schwebend, wie von ihrem Glück getragen, flog Resei die Stiege hinauf nach ihrer Kammer, die ihr trotz der Dunkelheit voll Sonnenglanz erschien, und wartete am halbgeöffneten Fenster in lebhafter Ungeduld auf den Franzl, um ihm heute noch die große Freudenbotschaft zu verkünden.


(Schluß folgt.)




Vom wiedergewonnenen Bruderstamme.


II.


Auf dem Ottilienberge.


 Im stillen Klostergarten
 Eine bleiche Jungfrau ging,
 Der Mond beschien sie trübe –

 Uhland.


Wenn man auf der Plattform des Straßburger Münsters, die gerade in diesen Tagen der freudereichen, festlich begangenen Universitätseröffnung von vielen hundert aus Altdeutschland herbeigeeilten Fremden bestiegen worden ist, hoch über dem Alltagsleben der geschäftigen, lärmenden Welt steht, das Auge freudig auf den gewaltigen Kranz blauer Berge und weiter Fernen mit den verstreuten unzähligen Lichtpunkten der Dörfer und Städte gerichtet, dann glänzt uns auch in südwestlicher Richtung auf sargähnlichem Bergesrücken hellleuchtend ein prächtiger Diamant entgegen, dessen Funkeln von den sonnigen Wänden des Ottilienklosters herrührt.

Aber auch wenn wir uns auf niedriger, staubiger Heerstraße befinden, tritt jene charakteristische Bergsilhouette sehr oft hervor und blickt ernst auf die lachenden Fluren oder die dunkeln Waldeswipfel hinab. Nicht blos der Straßburger, sondern jeder Elsässer kennt den wolkenstrebenden blauen Berg mit seinem schmucken Klösterlein auf dem Rücken, das stolz über all’ die anderen Höhenzüge emporragt. Der Ottilienberg ist der Rigi der Elsässer. Besonders in der ganzen Straßburger Gegend ist er der populärste Punkt und ein Lieblingsaufenthalt aller derjenigen, welche weite Aussichten und schöne Bergcontouren sehen wollen. Auch jetzt, bei der Eröffnungsfeier der Universität, ist er das Ziel einer allgemeinen Wallfahrt der Festtheilnehmer gewesen, und diesen vor Allem mag unser heutiges Bild bei ihrer Rückkehr in die Heimath eine freundliche Erinnerung an jene ihnen gewiß für immer unvergeßlichen Tage bieten.

Es war im vorigen Sommer, als ich mich von dem am Fuß des Bergs gelegenen Klingenthal aus zum ersten Mal auf den Weg nach dem Nonnenkloster machte. In dem kleinen Wirthshäuschen nahm ich einen Jungen mit, der wir mein Gepäck trug,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_322.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)