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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

das Gebüsch. Ich fuhr rasch mit dem Stutzen auf und hatte schon den Finger an dem Tupfer, da sprang ein Jäger, das Gewehr in Anschlag, mir gerade in den Schuß. Ich hörte nur noch den Knall meiner Büchse, ließ sie dann aus den Händen fallen und stürmte, von Entsetzen gepackt, immer tiefer in den Wald. Gepeinigt von namenloser Angst irrte ich die halbe Nacht umher, und erst da machte ich die Entdeckung, daß ich schon am Abend auf fremdes Revier gerathen war und nothwendig vom Jäger für einen Wildschützen gehalten worden war. Das raubte mir vollends alle Fassung. Mein Erstes war, daß ich mich noch in derselben Nacht meinem Collegen und Jagdgefährten anvertraute. Dieser rieth mir, die Gegend schleunigst zu verlassen, und besorgte mir von einem seiner Freunde Papiere und einen Paß. In der kurzen Zwischenzeit hielt ich mich bei ihm verborgen, als aber zu meiner heimlichen Abreise schon Alles bereit war, faßte ich in meiner Rathlosigkeit den Entschluß, mich meinem Vater zu entdecken und um seine Vermittlung in der unseligen Sache zu bitten. Hatte er sich auch die ganze Zeit über kaum um mich gekümmert, so hoffte ich jetzt dennoch auf seine Hülfe.

Erlaßt mir die Schilderung meines Empfangs im elterlichen Hause. Sie hatten dort, weiß Gott durch wen, schon von meinem Unglück erfahren, denn mein Verschwinden und die Verwundung des Jägers wurden natürlich rasch in Zusammenhang gebracht. Ich bot Alles auf, um meine Unschuld zu betheuern; aber mein Vater, ganz beherrscht von Konrad, der mich ihm als Wildfrevler und Mörder hingestellt, wollte mich gar nicht anhören. Umsonst war mein und meiner Schwester Flehen, umsonst umklammerte ich die Kniee des alten Mannes und bat unter Thränen, mir zu glauben und mich nicht zu verstoßen – er blieb unerbittlich und nannte mich die Schande seines Hauses. Da irrte mein Blick seitwärts, und ich gewahrte das triumphirende höhnische Lächeln meines Bruders, der ja schon seit Langem kein Mittel gescheut, mich förmlich aus dem Wege zu räumen. Das war zu viel – ich sprang auf und stürzte fort mit dem festen Vorsatze, nie wieder daheim zurückzukehren, wo mir so hart und grausam begegnet worden. So wanderte ich in meinem namenlosen Elend innaufwärts bis nach Wasserburg. Dort erhielt ich auf Verabredung mit meinem Freunde die erste sichere Nachricht über die Folgen jenes unglücklichen Zufalls. Wie eine Felsenlast fiel es mir von der Brust und ich athmete wieder freier auf. Der Schuß hatte zum Glück nur leicht gestreift und durch die Bemühung jenes braven Collegen und das Dazwischentreten meines Principals klärte sich auch das Mißverständniß auf, und der verwundete Revierjäger stand von jeder gerichtlichen Verfolgung ab. Mich konnte aber nichts mehr bewegen, in die alten Verhältnisse zurückzukehren, und ich kann heute noch kaum ohne Schauder an die erlittene Angst und an jenen Auftritt zu Hause denken. Mein Plan war zuerst, mich in den großen Hammerwerken Tirols nützlich zu machen, da kam ich in Eure Gegend und entschied mich rasch zu einem längern Aufenthalte. In der Bitterkeit meines Herzens aber wollte ich für die Meinigen verschollen sein, und jene Papiere, die von einem Forstpraktikanten stammten, verschafften mir leicht die erledigte Gehülfenstelle in Nußdorf. Beim Herumstreifen in Euren prächtigen Bergen hatte sich auch die Jagdlust auf’s Neue in mir geregt. Doch das war es nicht allein, was mich hier bannte. Ich fand, was ich lange vergebens ersehnt, ein liebendes Herz. Das Mädchen, dem ich mich zu eigen gab, ließ mich meine herzlosen Verwandten vergessen und machte einen so glücklichen Menschen aus mir, wie ich es nach dem Erlebten nur sein konnte.

Rathe ich nun recht, so sagen mir die Ueberbleibsel dieses Briefes, daß mein Bruder gestorben ist, meine gute Schwester, wenn sie überhaupt noch lebt, vielleicht auf den Tod krank lag und daß all’ Dies den verblendeten alten Mann mürbe gemacht und seinem verstoßenen Sohne wieder näher bringt. Ich werde heute noch mit dem Förster reden und bin entschlossen, zu meinem Vater zurückzukehren, sobald es mein dienstliches Verhältniß erlaubt, und doch thue ich es nicht mit der rechten Freude. Dort finde ich wohl wieder die alte Heimath, aber mit ihr auch alle trüben Bilder und Schmerzen, die sich an sie knüpfen, und hier, wo ich eine neue, schönere zu gründen gehofft, hier verschmäht mich das Wesen, das mir das liebste ist auf der Welt – und so soll ich denn wieder nur elend bleiben!“

Mit pfiffigem Lächeln erhob sich der Heu-Anderl von seinem Holzblock und trat auf den Jäger zu.

„Jetzt hab’ ich ihn lang’ genug angehört, den Jammer, könnt’ einen Stein erbarmen!“ rief er aus. „Da nehmt meine Hand, so aufrichtig hab’ ich’s noch keinem Jäger ’geben, und weil Ihr auch schon auf fremdem Reviere gejagt habt, seid Ihr erst recht mein Freund, und die Freundschaft mit dem Heu-Anderl hat gewiß noch Keinem gereut. Aber jetzt den Kopf in die Höh’, frisch in die Welt ’neingeschaut, denn da heroben bin ich alleweil nur lustige Gesichter gewohnt.“

Der Alte nahm auf der Ofenbank dicht neben dem Jäger Platz, und mit schlauem Ausdrucke den weißen Schnauzbart streichend, fuhr er vertraulich fort: „Daß Euch der Schatz die Lieb’ aufgesagt hat, da könnt’ sich höchstens ein Blinder d’rüber verwundern. Das dümmste Diendl müßt’s schon lang’ gespannt haben, daß Ihr der Resei schon wochenlang auf Tritt und Schritt nachsteigt, und die Hagen-Lene gehört gewiß nicht zu den Dummen.“

Die Bemerkung des Wildheuers brachte in der Gesellschaft eine lebhafte Bewegung hervor.

„Eifersüchtig wäre sie!“ rief der Jäger und es ging ihm plötzlich ein strahlender Hoffnungsstern am verdüsterten Liebeshimmel auf. Er hätte dem klugen Alten um den Hals fallen mögen und konnte nicht begreifen, wie er nicht selbst schon auf diese Lösung des Räthsels gekommen. Nun war Alles gut. Wenn sie nur irre geworden an seiner Liebe, wenn sie nur Zweifel in seine Treue setzte, sollte sie von ihrem Wahne bald geheilt sein.

„Jetzt geht mir ein Licht auf!“ rief auch Resei hoch überrascht aus, indeß der Flößer-Franzl, der wohl wußte, daß er selber das Ziel der Sehnsucht des Jägers gewesen, innerlich belustigt vor sich hin schmunzelte.

„Schau, die Lene!“ fuhr das Mädchen fort, sich zu verwundern. „Drum geht sie alleweil so trübsinnig ’rum, thut so geschämig und geht mir überall aus dem Weg. Das gute Madel, ist sonst meine beste Cameradin gewesen, erst seit sie ’s mit einem Jäger hat“ – hier färbte ein flüchtiges Roth der Verlegenheit ihre Wangen – „sind wir seltener zusamm’kommen. Und wie sie jetzt aussieht, völlig verschwinden thut’s, das arme Diendl! Das muß anders werden, der will ich den Kopf zurecht setzen und das auf der Stell’. Jetzt leidet’s mich schon nimmer da!“ Und das Mädchen sprang entschlossen auf und drängte rasch zum Gehen. Dann plötzlich ergriff sie des Forstgehülfen Hand.

„Herr Maxl, oder Herr Karl, wie ich jetzt sagen muß,“ sprach sie ihm tröstend zu, „den Kummer um die Lenerl gebt auf, die will ich schon zusamm’richten und das heut’ noch. D’rum macht nur schnell fort, Leut’! Und Dir sag’ ich behüt’ Gott, Anderl, ich komm’ bald wieder ’rauf.“

„Will’s hoffen,“ sagte der Alte und geleitete seinen Besuch vor die Thür, während sein Bub’, flink wie ein Eichhorn, die Leiter herabkletterte.

Die Sonne, die sich schon tief gegen die Bergspitzen im Westen neigte, beschien nur glückliche Gesichter in der heimkehrenden Gruppe. Bei einer Windung des langsam absteigenden Bergwegs, von wo aus man des Alten Hütte gerade noch erblickte, schickte der Franzl einen lustigen Juchzer hinauf, den gleich darauf der Glaasei mit geschwungenem Hute von oben herab beantwortete.




6.


Die Wirths-Resei eilte in ihrer Ungeduld voraus, um den Kahn am Ufer loszubinden, und war auch die Erste, die hineinsprang. Mit kräftigen Armen zog der Flößer die Ruder, nachdem das Mädchen auf dem mittleren Sitzbrett neben dem Jäger Platz genommen.

„Mir läßt’s keine Ruh’ nimmer,“ sagte sie, „und ich kann’s kaum erwarten, bis ich bei der Lene bin, und heut’ müßt Ihr noch zusamm’kommen, ich kann den armen Narren nicht länger leiden seh’n, und am End’ ist doch blos mein Franzl schuld. Aber eine Freundschaft,“ setzte sie hastig hinzu, „müßt Ihr mir auch thun, Herr Karl, ich hab’ auch ein Anliegen an Euch.“

„Von Herzen gern, wenn ich’s im Stande bin,“ erwiderte der Jäger und schaute ihr freundlich in’s Auge.

„O gewiß, ich weiß’s ja, meine Godl hält ein großes Stück auf Euch und ich will mir heut’ Abend einmal das Herz nehmen

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