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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 20.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Beim Alten am Sulzberg.


(Fortsetzung.)


Doch was war Das? Langsam entsank dem Franzl die Axt – der Jäger hatte rasch seinen Stutzen von der Schulter gerissen und schleuderte ihn weit von sich. Mit vorgestreckter Hand und friedlicher Geberde eilte er auf die Gruppe zu.

„Von mir hast Du nichts zu fürchten, Franzl,“ rief er hastig, „ich komme nicht in böser Absicht und habe dringend mit Dir zu reden.“

Staunen drückte sich in allen Mienen aus, und als traue er der Versicherung nicht recht, trat der Flößer-Franzl einen Schritt zurück.

„Ich glaub’ es wohl,“ erklärte der Jäger, „daß Euch Allen mein Auftreten hier unbegreiflich ist; aber kommt in’s Haus, dort soll sich Alles aufklären.“ Und er ergriff den widerstrebenden Burschen bei der Hand und trat mit ihm in’s Häuschen.

Den Jäger mit mißtrauischen Blicken bewachend, ging die Wirths-Resei den jungen Männern nach. Der alte Wildheuer aber schüttelte fortwährend den grauen Kopf und wisperte dem Mädchen zu: „Jetzt bin ich froh, daß ich nicht viel Verstand’ hab’, denn da d’rüber könnt’ Einem sein bissel Spiritus noch gar ausrauchen. Hält’ eher geglaubt, daß ein Hase in einen Fuchsbau schlüpft, wie die Zwei in mein Häusl.“

So große Gesellschaft war auch dort gewiß selten versammelt und sie füllte den beschränkten Raum darin ganz aus. Der große Ofen, nur aus Ziegelsteinen und Lehm aufgeführt, ragte weit in das rauchgeschwärzte Stübchen hinein. Auf der rohgezimmerten breiten Bank vor demselben nahm der Jäger mit dem Flößer-Franzl Platz. Die Wirths-Resei rückte sich einen dreibeinigen Schemel an den alten Tisch, und Anderl faßte Posto auf dem großen Holzblocke, auf welchem er seine Sensen dengelte. Glaasei aber kletterte an einem Leiterchen durch die Oeffnung in der Decke flugs hinauf zum Heu, das in einem engen Raume über der Thür lag, die nebenan in den Stall zu den Geißen führte, und zugleich den Futtervorrath und für Vater und Sohn die Schlafstelle bildete.

Alle waren auf’s Aeußerste gespannt auf die in Aussicht stehende Eröffnung, und die Neugierde wuchs noch mehr, als der Jäger-Maxl die Ueberreste jenes Briefes hervorzog.

„Kennst Du Das, Franzl?“ war seine Frage, und er breitete mit zitternder Hand die abgerissenen Blätter vor dem Flößer aus.

„Ja, ja, freilich wohl, das habt Ihr halt in meiner Joppe gefunden,“ bestätigte Franzl, ohne, wie es schien, auf die Sache besondere Bedeutung legen.

„So erzähl’ mir und nur schnell, wo und wie ist das in Deine Hand gekommen?“ drängte ungestüm der Jäger.

„Nu, das kann ich schon sagen,“ meinte Franzl gleichmüthig. „Ihr wißt’s ja selber, daß von uns aus Holz- und Kohlenflöß’ ’nuntergehen über Passau und Linz und bis Wien. Unterhalb Passau, wo’s in die Donau geht, bleiben wir allemal einen Tag dort im Ländwirthshaus, weil die Flöß’ für die Donau aneinander gehängt werden. Dort im Wirthshaus setzt sich neben mir – es wird voriges Jahr im October gewesen sein,“ besann sich der Franzl, „ich hab’ gerad’ meinen Janker (Jacke) getrocknet, weil drauß’ so ein böses Wetter war – setzt sich also neben mir Einer hin und fragt mich aus von meiner Heimath, wo die Fahrt hingeht und so allerhand. Es war ein kleines altes Mannerl, hat mir recht gefallen, und ich muß ihm auch gefallen haben, denn er war so gemein (freundlich) mit mir und war dengerscht (doch) ein feiner Herr, soll in der Näh’ dort eine Eisenschmelze und ein großes Hammerwerk haben.“

Die Blicke der gespannt aufhorchenden Zuhörer richteten sich auf den Jäger, denn die Blässe, die sein Gesicht überzog, und das Zucken seines Mundes ließen auf eine tiefe innere Erschütterung schließen. Nur der Flößer-Franzl, der seine Scheu vor demselben vollständig überwunden, bemerkte nichts und fuhr treuherzig in seiner Mittheilung fort: „Wie die Wirthsleut’ draußen waren, hat er zu mir gesagt: ‚Ich frag’ Dich nicht umsonst; wär’ ich nicht so alt und gebrechlich, ging ich selbst in Deine Heimath. Mich hat schweres Unglück getroffen; aber gern wollt’ ich Alles verschmerzen, hätt’ ich nur meinen ältesten Sohn wieder.‘ Auf Das bin ich näher zu ihm hingerückt und hab’ ihn ein wenig trösten wollen; er hat mir aber mit der Hand abgewehrt und mir weiter erzählt, daß ein Sohn von ihm heimlich fort ist und nichts mehr von sich hören läßt. Auf vieles Nachfragen hat er zuletzt ’rausgebracht, daß er sich in unserer Gegend herinn’ aufhalten soll. Er hat gleich an alle Landgerichte geschrieben, hat aber bis jetzt noch nichts Gewisses erfahren können. Ich hab’ ihn gefragt, wie sein Name sei, und da sagt’ er mir: ‚Karl Steiner.‘“

Rasch fuhr sich der Jäger mit der Hand über das Gesicht, um seine Herzensbewegung zu verbergen, und winkte mit der andern dem Erzähler, fortzufahren.

„Er hat ihn mir auch beschrieben, daß es ein schmächtig’s Bürschl ist mit lichtem Haar und ohne Bart, soll ein kurzes blaues Röckl tragen und eine Studentenkappe. Ich hab’ ihm gesagt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_317.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)