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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Zwecke geweiht worden ist, als ein freiwilliges Opfer für die gemeinsame „Malstätte“ deutscher Ehre und Größe. Sind die Opfer auch groß, welche unser Volk während und nach dem Kriege dem nationalen Zwecke und Kampfe gebracht, die angeforderte und nöthige Summe zur Aufführung dieses Erinnerungstempels, was ist sie für uns, für die nunmehr größte Nation der Welt? An diesem Umstande, am Mangel der Mittel, wird der schöne Gedanke nicht scheitern, wir sind dessen gewiß.

So schwierig es war, die Stelle für die Errichtung des Denkmals in anschaulicher Weise wiederzugeben, so dürfte doch unseren Lesern die vorliegende Zeichnung genügenden Anhalt geben, denn nicht unbekannt sind diese Punkte einem großen Theile des deutschen Volkes, vor Allem aber sind sie bekannt unseren heimgekehrten Siegern und den vielen Vergnügungsreisenden, deren Schaaren Jahr aus Jahr ein hier vorüberfluthen.

Von Rüdesheim zeigen sich noch die letzten Häuser mit der Rheinhalle und der Landebrücke der Bingerbrücker Dampfschiffe. Oben der Tempel des Niederwalds. Der in bester Beleuchtung vorspringende Bergrücken ist der Rammstein (Rammstädter Kopf), ein Edelweinberg, ausersehen als concurrirender Punkt mit dem weiterhin spitz hervortretenden Leingipfel, beide durch Flaggenstangen bezeichnet, weil zwischen diesen Punkten die Wahl zur Zeit noch schwankt. Dem Leingipfel gegenüber mündet die Nahe, an deren rechtem Ufer Bingen, am linken das vielgenannte Bingerbrück liegt. In der Ferne erscheint der Durchbruch des rheinischen Schiefergebirges, der Beginn des Bingerlochs und der Mäusethurm, während den Bergvorsprung des rechten Rheinufers der Ehrenfels krönt. An der in den Rhein hervorspringenden spitzen Bergzunge ist der Mühlstein sichtbar, in welchem das Herz des auf Schloß Johannisberg begrabenen Dichters und rheinischen Geschichtsforschers Nicolas Vogt auf dessen eignen letzten Wunsch eingemauert ist.

Die Gartenlaube glaubte ihren Lesern das Bild veranschaulichen zu sollen, wie es den meisten Rheinreisenden vom vorüberfahrenden Dampfer aus erscheint.

Soll aber das Denkmal des zu Grunde liegenden Gedankens würdig und dem gewählten Standorte entsprechend hergestellt werden, so muß das Unternehmen, wie in der Idee, so auch in der Wirklichkeit zu einem nationalen sich gestalten, getragen von lebhafter Zustimmung und bereitwilliger Mitwirkung in allen Theilen des deutschen Vaterlandes und darüber hinaus bei den Landsleuten in der Fremde, in allen Schichten der Gesellschaft ohne Rücksicht auf Verschiedenheit der Anschauungen in politischen und religiösen Dingen.

Und wie in den Pfingsttagen hier auf den Höhen des Niederwaldes Ober- und Niederrhein zu gemeinschaftlichen Volksfesten von Alters her zusammenströmen und frohen Herzens den rheinischen Brudergruß tauschen, so wandele auch durch diese Rebenhügel in Zukunft der Wanderer aus dem Süden und Norden unseres großen und schönen Reiches mit freudigem Herzen, und wenn sein Blick vom Fuße unseres nationalen Denkmals hinausschweift in die herrlichen Lande, so denke er des großen Kampfes, des mit vielen und leider schweren Opfern erreichten Sieges – er denke aber auch der Ehre und Größe des deutschen Namens, der sich den gebührenden Ehrenplatz wieder erkämpft nach manchem Sturm und Drang, und der zu glänzen bestimmt ist nach der Wiederaufrichtung des deutschen Reiches, über alle Nationen der Erde. Deß zur Erinnerung sei jenes Nationaldenkmal ein „Malstein“ an jener Stelle, wo das geeinte Deutschland die Wacht hielt und hält, für jetzt und alle Zeiten!

Ferd. Heyl.




Blätter und Blüthen.


Der Geist der preußischen Schulregulative. Die „Gartenlaube“ schilderte kürzlich in einem Aufsatze die Bildung und das Leben eines Lehrers in dem preußischen Schullehrerseminar zu M. Verfasser der folgenden Zeilen hatte Gelegenheit, die von Mehreren ausgesprochene Ansicht zu hören, daß jener Aufsatz hie und da Uebertreibungen enthalte. Freilich hat darin die sittliche Entrüstung die Feder des Verfassers geführt und aus dieser Stimmung heraus wäre es erklärlich und verzeihlich, wenn er im Einzelnen die Farben vielleicht etwas zu stark aufgetragen hätte. Aber den Geist, der als Ausfluß der Schulregulative sich in jenem Seminar geltend machte, hat er sicherlich richtig gezeichnet. Hier der Beweis.

Ich versetze mich zurück in das Jahr 1856. Vor meiner Seele steht das Seminargebäude zu N., ein ehemaliges Mönchskloster. Die langen Gänge in demselben sind finster, dunkel die Zellen, in denen je nach ihrer Größe sechs oder zwölf Seminaristen wohnen. Es ist gerade „Studirstunde“, d. h. eine der Stunden, in denen sich die Seminaristen auf die Lectionen des folgenden Tages vorzubereiten haben. Sie sitzen an ihren Pulten. Die Thür von Zelle Nr. X wird geöffnet. Der Director tritt herein. Leise klappen verschiedene Pultdeckel zu. Der Director geht um. Mit dem schnellen Blick eines Feldherrn hat er das Ganze gemustert, und gesehen, daß jeder Seminarist Bibel oder Gesangbuch oder Katechismus vor sich aufgeschlagen hat. Da freut sich sein großes Herz über diese Früchte seiner Arbeit im Weinberge des Herrn. Nur auf einem Seminaristen ruht sein Blick mit finsterm Grimm. Die arme Seele rechnet gerade, statt in der Bibel zu lesen. – Der Director geht weiter in die Nebenzelle. Die Seminaristen athmen auf. Die Pultdeckel werden wieder in die Höhe gehoben und heraus aus dem Pulte wandern all die profanen Bücher, die man beim Eintritt des Directors, um demselben kein Aergerniß zu geben, mit wahrer Kunstfertigkeit fast unvermerkt hatte verschwinden lassen. Es sind das die Bücher, aus denen die Seminaristen ihr bischen Geschichte, Geographie, Naturwissenschaft und Rechnen lernten. Aber auch mancher Band von den verpönten Werken Schiller’s, Lessings oder Goethe’s war darunter. Denn der Geist der „sogenannten Classiker“ läßt sich von dem Geiste der Regulative nicht so schnell austreiben.

Ein anderes Bild. Ein Seminarist aus der ersten Classe hält in der Uebungsschule seine Lection über ein Thema aus der biblischen Geschichte. Ein Gebet des Seminaristen leitet die Lection ein. Seine Stimme ist bewegt, sein Haupt tief auf die Brust gesenkt, er wagt nicht sein Antlitz zu seinem Gott zu erheben, denn er weiß es, daß der Herr unser Gott ein starker, eifriger Gott ist – und daß der das Gebet und die Lection recensirende Director in seiner Nähe ist und ihn genau beobachtet. Die Lection geht im Ganzen gut und der Seminarist ist überzeugt, sein Möglichstes geleistet zu haben. Da kommt die Stunde der Recension. Der Seminarist zittert, denn der Director hat zwei unfehlbare Eigenschaften. Wenn er die Brille auf der Nase hat, vindicirt er sich die Fähigkeit, jedem Menschen in’s Herz sehen zu können, und wenn er einen Seminaristen über irgend ein Gotteswort seine Lection hat halten hören, so weiß er genau, ob bei demselben das Herz mitgesprochen hat. Unser Seminarist hat sich nun zwar bemüht, sein Herz nach Möglichkeit sprechen zu lassen, aber siehe, der Director sagt ihm, es wäre Alles eitel Arbeit des Kopfes gewesen. Richtig freilich ist, daß unser Docent nicht zu den Wiedergeborenen gehörte, die, circa zehn an der Zahl, in einer Zelle auf ihren Knieen allabendlich gemeinsam den Gott Israels um Vergebung ihrer Sünden anflehten.

Und wie gut meint es auch sonst der Director! Wie ermahnt er die Abiturienten, sich möglichst um eine „Dorfstelle“ zu bewerben, „wo eine Kirche ist“! Wie oft sagt er ihnen, daß die Schulmeisterei erst durch ihre Verbindung mit der Kirche ihre wahre Weihe erhalte! „Das Küsteramt ist die Krone der Schulmeisterei!“ Wie oft ruft er dies große Wort mit erhabener Begeisterung aus, und wie tief trifft sein Blick der Verachtung das Weltkind unter seinen Abiturienten, das in Sehnsucht nach einer „Stadtstelle“ auf diese Krone so freiwillig verzichten will! Und wie oft und deutlich läßt er merken, daß die Censurnummer des Abgangszeugnisses doch schließlich von dem im Seminar bewiesenen Glaubensleben abhänge!

So könnte ich noch Vieles erzählen, könnte genau berichten, wie in die finsteren Klostermauern alle Jahre dreißig Jünglinge ihr frohes, reines Herz und ihre Ideale trugen, und wie alle Jahre dreißig wieder hinauszogen, meist geknickt, arm und verkümmert an Kopf und Herz. Ich könnte erzählen, wie die Heuchelei und der Verrath privilegirt wurden etc. Doch vorbei, vorher!

Nur ein Bild noch will ich vor dem freundlichen Leser aufrollen. Er möge mir erlauben, ihm den Oberlehrer des Seminars vorzustellen. Derselbe ist wie der Director von Hause aus Theologe, aber er besitzt zwei Dinge, die der Director nicht besitzt, ein warmes fühlendes Herz und eine ausgebreitete Kenntniß unserer deutschen Literatur. Er kennt und bedauert die Geistes- und Gemüthsarmuth seiner Seminaristen. Da die Regulative die „sogenannten Classiker“ vom Seminar-Unterricht ausschließen, so beschließt er privatim wöchentlich eine Stunde der Muße seiner Seminaristen mit einem Vortrage über deutsche Literatur auszufüllen. Da sitzen die Seminaristen zu seinen Füßen – das Wort von den Idealen der Menschenbrust, um die es sich allein zu leben verlohnt, wird wieder in den öden finstern Hallen gepredigt, und manch braves Herz lernt wieder an die Menschheit glauben. – Aber ach, es ist ein kurzes Glück! Kaum zwei- bis dreimal hat der geliebte Lehrer seinen Vortrag gehalten, und dann nicht mehr. Zwar erschien er zur bestimmten Stunde wieder auf dem Katheder, jedoch nur, um seinen Seminaristen mit zitternder Stimme vorzutragen, daß ihm die weitere Fortsetzung seiner literar-historischen Vorträge untersagt worden sei. – Die Seminaristen wußten von wem. Da schwur manch heißes Jünglingsherz ewigen Groll der pfäffischen Finsterniß.

Der Oberlehrer weilt nicht mehr unter den Lebenden; sein Geist aber lebt in manchen seiner Schüler fort und in mancher treuen Brust hat der wackere Mann seinen Denkstein. Und sicherlich dürfen wir hoffen, daß von nun an auch in den preußischen Schullehrerseminaren die dunklen Zimmer und die Dunkelmänner ihre Rollen ausgespielt haben und daß sich dafür das freie Licht des Tages und der Aufklärung in die Hallen ergießen wird, in denen die Lehrer unseres Volkes zu ihrem edlen und schönen Berufe herangezogen werden.




Kleiner Briefkasten.

A. K. in L. Ihr Wunsch wird schon in einer der nächsten Nummern durch Abdruck einer neuen Erzählung aus dem Kriege von Levin Schücking,Die Diamanten der Großmutter“ erfüllt werden.

H. G. in M. Ueber den Ausbruch des Vesuvs folgt in nächster Nummer ein Originalbericht vom Maler Heck, an den sich später Illustrationen, nach der Natur aufgenommen, reihen werden.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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