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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Am 20. verlangte er nach dem heiligen Abendmahl und als ihm bemerkt wurde, daß dies nach Empfang der letzten Oelung nicht mehr nöthig wäre, sprach der Sterbende: „Es mag nicht nöthig sein, ist aber doch ein gutes Geleit für eine so lange Reise.“

Um sieben Uhr Morgens wurde demnach eine geweihte Hostie gebracht, die zu sich zu nehmen ihm jedoch außerordentliche Mühe machte. Beängstigt davon, ob er sie auch wirklich verschluckt habe und so ihrer göttlichen Segnungen theilhaftig werden könne, öffnete er den Mund und ließ nachsehen, ob sie auch in der That hinuntergegangen sei. Hierauf lag er lange bebend auf den Knieen, bis sich nach heftigem Erbrechen große Schwäche einstellte und er niedergelegt werden mußte.

Gegen acht Uhr Abends fragte Karl, ob die geweihten Kerzen bei der Hand wären, und als dies bejaht wurde, befahl er sie zu bringen. Allein er lag noch bis gegen zwei Uhr Morgens, den Gebeten seines Lieblingspaters lauschend, wo er diesen endlich unterbrechend sagte: „die Zeit ist gekommen, bringt mir die Kerzen und das Crucifix.“ Dies waren theure Reliquien, die er lange für diesen Augenblick aufbewahrt hatte. Die Kerze war vom Schreine der heiligen Jungfrau von Montserrat und das überaus schön gearbeitete Crucifix war in Toledo seiner sterbenden Gattin aus der Hand genommen worden und tröstete später auch seinen Sohn in seiner letzten Stunde. Der Kaiser griff hastig nach diesen Reliquien, als sie ihm von dem Erzbischof dargeboten wurden, und in jeder Hand eine derselbe haltend, betrachtete er einige Momente schweigend die Gestalt des Erlösers und drückte sie dann an seine Brust. Diejenigen, die ihm nahe genug standen, hörten ihn bald darnach, als gelte es einen Ruf zu beantworten, sagen: „Ja, Herr, jetzt komme ich.“

Damit entglitten Crucifix und Kerze seinen Händen und bald darnach war er todt.

Dieser Tod hat freilich nicht gerade etwas sehr Schreckliches, läßt aber immer doch unter aller Selbstbeherrschung, die Karl dem Fünften eigen war, eine große Beängstigung und das fieberhafte Bestreben sichtbar werden, ein quälerisches Gewissen zur Ruhe zu bringen.

In der That auch hatte dieser Regent sich vielerlei vorzuwerfen. Die Geschichte hat ihn allerdings sehr verschieden, manchmal sehr hart, manchmal sehr milde beurtheilt. Es sind ihm kalte Berechnung, Zweideutigkeit, Wortbrüchigkeit und schonungslose Härte gegen überwundene Feinde zum Vorwurf gemacht worden; dagegen hat man aber seinen Ernst, seine Würde, seine Sparsamkeit, seine Liebe zur Kunst, seine Mäßigung gerühmt, Berühmungen allerdings, die nicht eben sehr stichhaltig sind. Sein an sich haltendes, gemessenes Benehmen entstand aus Mangel an Temperament und Geist, aus Lust zur Intrigue, aus angeborenem Stolz und dem Wunsche zu imponiren; sein geringer Aufwand schrieb sich von seinem Geize her und sein Pflegen der Künste, das an sich nicht viel zu besagen hat, war nichts als ein wohlfeiles Feilschen nach Popularität. Seine Unmäßigkeit im Speisen ist notorisch, war aber nicht seine schlimmste Eigenschaft. Der deutsche, leider früh verstorbene Gelehrte Bergenroth, welcher im Dienste englischer Forschungen die spanischen Staatsarchive durchforscht hat, hat noch weit schlimmere Dinge zur historischen Evidenz gemacht. Karl der Fünfte war grausam und ein so blinder Fanatiker, daß er mit Wissen und Willen seine eigene Mutter Johanna unter dem Vorwande, daß sie wahnsinnig sei, in strengem und hartem Gefängnisse halten ließ, blos weil sie in Sachen des Glaubens und der Religion sich tolerant gezeigt.

Man hat die Thronentsagung des spanischen Königs und deutschen Kaisers, sowie seinen daraus folgenden Eintritt in das Kloster des heiligen Hieronymus zu Juste vielfach als einen Act philosophischer Resignation bezeichnet; allein nach Allem, was jetzt über Karl den Fünften vorliegt, ist weit eher anzunehmen, daß seine Abdankung und sein Klosterleben nur aus einem dunklen Drange seines Gewissens erfolgten und daß er glaubte, gravirende Unthaten durch Buße und Gebet vor den Augen des ewigen Richters tilgen zu können. Dieser Ansicht entspricht auch vollkommen sein bigottes und peinvolles Ende.

Noch kläglicher ist das Hinscheiden Karl des Neunten. Dieser unglückliche Monarch, der sich überreden ließ, in die abscheuliche Niedermetzelung der Hugenotten während der Bartholomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572 zu willigen, und der selbst während des gräßlichen Blutbades aus den Fenstern seines Schlosses auf seine Unterthanen geschossen haben soll, siechte in Reue und Gewissensbissen elend hin. Er fühlte es, daß ihn Keiner achtete, daß Alle ihn für einen schlechten Menschen hielten. Vergeblich trachtete er, durch die wildesten Jagden, durch angestrengte Leibesübungen sich zu zerstreuen; vergebens suchte er Beruhigung in Dichtkunst und Musik, die er schätzte und selbst übte. Täglich wurde er ängstlicher und finsterer. Wer den hochgewachsenen, mageren, bleichen Mann mit der mächtig gebogenen Nase und dem stieren Blick gebeugt einherschleichen sah, wurde von Grauen ergriffen. Er war ganz den Schrecknissen des bösen Gewissens preisgegeben.

Keinen Menschen konnte er mehr gerade ansehen; bei Audienzen hielt er die Augen meistens geschlossen; öffnete er sie, so wandte er den Blick in die Höhe, senkte ihn aber auch sogleich wieder scheu zu Boden. Schreckhafte Träume riefen ihm die Gräuelscenen der Bartholomäusnacht zurück; überall glaubte er sich von den Schatten der Ermordeten umringt. Solche Aufregungen hörten nicht auf. Die innere Angst verzehrte vollends die ohnehin schwachen Körperkräfte des Königs. In den letzten Wochen konnte er in keiner Stellung ruhig verharren; er zitterte fortwährend; am Ende soll ihm das Blut aus den Poren der Haut gedrungen sein. So starb er, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, am 30. Mai 1574.


(Schluß folgt.)




Ein Nationaldenkmal auf dem Niederwald im Rheingau.


Nun bricht der Lenz die letzte Kette,
Drein die Natur der Winter schlug,
Und mit den Lerchen um die Wette
Singt froh der Landmann hinterm Pflug.
Scheu girrt im Fichtenschlag die Taube,
Manch Vogelpaar, am Nestchen baut’s;
Es steigt im Busch aus dürrem Laube
Der grüne Stern des Maienkrauts. –
Zum Rhein, zum Rhein! Hinaus nach Westen!
Am besten schmeckt der Wein mir da,
Wo man ihn hat, den Wein, am besten! –
Gott grüß’ Euch, Rhein und Main und Nah’!

Der Rheingau! Dieser Hügel Zacken
Als Diadem der Rheinstrom trägt,
Der Rhein, der um den breiten Nacken
Den prächt’gen Scharlachmantel schlägt.
Dort zieh’ ich hin, ein lust’ger Reimer!
Da lacht das Herz bei Sang und Wein!
Bei Rüdesheimer, Geisenheimer,
Wer möchte da nicht heimisch sein?
Wenn ich, ein wonnevoller Zecher,
Das Gold des Rheingaus still empfah’,
Gönn’ ich den Göttern gern den Becher
Mit Nektar und Ambrosia!

Hier laßt mich sacht vor Anker gehen! –
Nach Winterstagen, rauh und kalt,
Wie mild die Frühlingslüfte wehen
Um Rebenhang und Flur und Wald!
Herrgott, wär’ dies Juwel der Erde
Gefallen je in Welschlands Hand,
Wer hätte Ruh’ und Rast am Herde,
Bis wir’s zurückerkämpft, gekannt?
Und war es nicht dies Rebgelände,
Nach dem der Franzmann gierig sah? –
Glückauf, damit ist’s nun zu Ende!
Deutsch ist und bleibt der Rhein! Hurrah!

Hier zog in jenen Julitagen
Das deutsche Heer zum Strand der Saar;
Hier hat das Dampfroß hingetragen
Der Kranken, der Zerschoss’nen Schaar.
Hier, in dem Eden deutscher Erde,
Vom Gott der Trauben hochgeweiht,
Wohlan, auf diesem Fleckchen werde
Ein Denkmal jener großen Zeit
Errichtet von dem ganzen Volke,
Dem zum Gedächtniß, was geschah,
Als aus des Pulverdampfes Wolke
Sich strahlend hob Germania!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_311.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)