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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

So eigenthümlich Vieles in dem Mitgetheilten erscheinen muß, so ist darin doch eine starke Seite der Engländer zu beachten. Sie thun sich gleich zusammen, wenn einem Uebelstande abzuhelfen ist, und verlassen sich keineswegs auf den Staat und das papierne Gesetz, sie greifen in die Tasche und tief, wenn es sein muß, und der Gegenstand oder die Person, für die sie eintreten, sie hinlänglich interessirt. Sie sind durchaus nicht kalt, und die Viscounteß D’Alte, welche jene sechsundsechszigtausend Thaler spenden wollte, steht keineswegs allein da. Sie sagt: „Rindfleisch muß es geben, so sorge man dafür, daß die armen Rinder möglichst schmerzlos getödtet werden; hier ist mein Beitrag.“ So weit, als die Indier, daß sie die Rinder gar nicht schlachten, gehen die Engländer nicht; ohne Rindfleisch können sie sich die Welt nicht denken. So sinnen sie wenigstens darauf, wie das Schlachten human eingerichtet werden könne, und wenn auch oft genug die Pferde hinter dem Wagen angespannt werden und wenn das Wort eines thierfreundlichen Fuchsjägers „Fuchsjagden muß es geben, aber es ist infam, einen lahmen Fuchs zu jagen!“ auch seltsam genug klingt, so wollen wir uns dennoch schon mit Abschlagszahlungen begnügen und weder die „Mäßigkeitsvereine“, noch die „Vereine gegen Thierquälerei“, weil sie nicht durchgreifend und nicht nach unserm Recept curiren, unfreundlich ansehen. Sie wirken ohne Zweifel humanisirend.

Zu den Einrichtungen der königlichen Gesellschaft gegen Thierquälerei gehört auch die Anstalt für verlorene und verhungernde Hunde, welche Freitag den 10. und Sonnabend den 11. Mai in Willis’s Rooms, Kingstreet, St. Jamesstreet, London, einen Bazar abhält. Mrs. Hillas, Park Villa, Brighton, hat sich gütigst bewegen lasten, Beiträge an Verkaufsgegenständen von Thierfreunden zur Beförderung nach London entgegenzunehmen.

Bei dem einflußreichen, ja allerhöchsten Schutz, dessen sich die Gesellschaft erfreut, ist es wohl keinem Zweifel unterworfen, daß der vornehm angelegte Bazar einen glänzenden Erfolg haben wird. Ein Bazar, wo sich die vornehme Welt einige Stunden vor Tische trifft und etwas Musik anhört, hat immer Erfolg. So war vor einigen Monaten hier in Brighton ein Bazar für ein Hospital für Kinder, dem angesehene Damen aus der Stadt sich als Verkäuferinnen und hübsche junge Mädchen zum Herumtragen und Anbieten zur Verfügung gestellt; und es wurden über 7330 Thaler gelöst.

Das zeitweilige Asyl für verlorene und verhungernde Hunde steht in Lower Wandsworth Road, Battersea, unter der Leitung von James Johnson und einem eignen Ausschuß, welcher jetzt die Wohlthaten der Anstalt auszudehnen und das Asyl bequemer einzurichten wünscht. Die Anstalt wurde durch das Bedürfniß der ungeheuren Stadt, in deren Straßen verlorene und heimathlose Hunde in großer Anzahl umherirrten, hervorgerufen, die vor dem Verhungern gerettet, ihren Eigenthümern wieder zugestellt, wenn nicht reclamirt, mit einer neuen Heimath versorgt oder im Nothfall anderweitig verwandt werden sollten.

Das Asyl soll kein dauerndes für alte ausgediente Lieblinge, noch weniger ein Hospital für die Heilung kranker Hunde vornehmer Herren sein, sondern nur, wofür es sich ausgiebt, ein Ort, wohin wohlgesinnte Leute wirklich heimathlose und verhungernde Hunde senden können, die sie auf der Straße finden.

Das Comité wünscht besonders hervorzuheben, daß es ein großes Unrecht gegen die milde Anstalt und eine große Grausamkeit gegen die armen Thiere ist, aus bloßer Laune oder um einer geringen Unbequemlichkeit zu entgehen, Hunde in das Asyl zu bringen. Während nämlich der wirklich heimathlose Hund sehr bald seine Dankbarkeit zeigt, wenn er mit Futter und Obdach versorgt wird, härmt sich natürlich der Hund, der aus einem Hause hergebracht wird, das er als seine Heimath hat ansehen lernen, und der von einem Herrn kommt, der vielleicht bis dahin gut gegen ihn gewesen ist und den der arme Hund ernstlich liebt, wie Jeder gern glauben wird, der den gefühlvollen und zuthulichen Charakter dieses Thieres kennt.

Das Comité kann dem Publicum nicht genug die Gottlosigkeit vorhalten, absichtlich Hunde zu verstoßen und einem qualvollen Hungertode in den Straßen der Stadt auszusetzen. Es rieth den Mildgesinnten, zweifelhafte Fälle der Polizei mitzutheilen und, wenn sie den Hund in’s Asyl schicken und gerade weit von Hause sind, den Botenlohn zu deponiren und erst gegen Quittung auszahlen zu lassen. Es seien oft schöne, immer nützliche Hunde in dem Asyl zu finden; wer daher einen anzuschaffen wünsche, möge sich nur hinbemühen.

Im Jahre 1870 wurden neunhundertfünfundsiebenzig Hunde mit einer neuen Heimath versorgt oder ihren Eigenthümern zurückerstattet. Das Comité hat eine Hypothek auf die neuen Gebäude des Asyls aufgenommen, und der Bazar soll dazu dienen, diese abzutragen und die laufenden Kosten der Anstalt zu decken.

Das in den vorstehenden Zeilen Mitgetheilte, das ich meinem Nachbar, einem eifrigen Thier- und Menschenfreunde, verdanke, hat so viel Eigenthümliches, daß Einiges vielleicht der Erklärung bedarf. Wir wissen, wie unendlich weit unter den schwierigsten Umständen Hunde sich nach Hause finden; sollte das in London anders sein? Gewiß nicht. Es ist aber wohl oft der Fall, daß Familien zu Schiffe fortgehen und die Hunde zurückbleiben; auch die Eisenbahn kann ein solches Abhandenkommen der Heimath des Hundes herbeiführen. Sodann giebt es aber auch einzelne Hunde, die sich nicht so zurecht finden wie andere. Sonst möchte es selbst in London schwer sein, einen Hund mit Willen zu verlieren, wenn er sich wieder nach Hause zu finden entschlossen ist.

Zur Entstehung des Asyls hat der größere Werth des Hundes und die ganz besondere Schätzung, die er in England erfährt, ohne Zweifel sehr beigetragen. Eine Dame meiner Bekanntschaft hat ein häßliches kleines Schooßhündchen, das sie mit 333⅓ Thaler bezahlt hatte, und sie versicherte mir, das sei es unter Brüdern werth. Wegen dieses Phantasiewerthes, den gewisse „echte“ Racen haben, giebt es denn auch eine äußerst schlaue Gesellschaft von Hundedieben. Diese stehlen aber keine „gemeinen“ Hunde, sondern nur die theuren Sorten, und daher bleibt eine so ansehnliche Ernte für das Asyl übrig. Daß der Engländer im Ganzen den Hund besonders hoch stellt, kann man auch daran sehen, daß er ihn Sir nennt und daß die englische Philosophie ihm unbedenklich alle geistigen Eigenschaften zuertheilt, die sie selbst besitzt.

Es wäre viel darüber zu sagen, daß den Grausamkeiten gegen die Menschen noch in manchen Gebieten nicht genug Einhalt geschieht, daß in diesem reichen Lande viele Menschen die bitterste Noth leiden, doch das gehört nicht hierher, und jede Milderung der Gesinnung muß man willkommen heißen, wo sie sich auch zeigt.

Es war hier die Absicht, diese englischen Eigenthümlichkeiten mitzutheilen, und es wird nicht uninteressant sein, wenn wir uns nach dem 11. Mai erkundigen, wie der Bazar ausgefallen ist.




Aus dem Todtentanz der Geschichte.

Von Feodor Wehl.
1. Wie Fürsten und Monarchen sterben.

Der Tod ist die letzte Handlung des Daseins und muß also mit diesem in einem gewissen psychologischen Zusammenhange gedacht werden. Man stirbt einigermaßen, wie man gelebt hat, das will heißen: die geführte Existenz reflectirt auf das Hinscheiden, breitet ihren verdunkelnden Schatten oder ihre verklärenden Lichter auf dasselbe dergestalt aus, daß sich daraus bis zu einem gewissen Grade deren Schuld oder Verdienst erkennen lassen. Und da Regenten, Herrscher, Fürsten überhaupt in weit höherem Maße, als gewöhnliche Menschen Anlaß und Gelegenheit zu Verdienst und Schuld sich geboten sehen, so ergiebt sich die Folgerung gewissermaßen von selbst: die Exempel aus ihren Kreisen an dieser Stelle voranzustellen. Erscheinen sie doch seltsam genug. Wir sehen die größten und strahlendsten Regenten sonderbarer Weise vereinsamt und in fast menschenfeindlicher Stimmung dahinscheiden; dagegen unglückliche, nicht selten durch eigene Schuld in’s Verderben gestürzte Monarchen einen gewaltsamen Tod mit großer Würde und Ruhe erleiden.

Fast möchte man glauben, daß Natur und Geschichte hierin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_309.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)