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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Orleans weg. Da sagten die Franzosen: C’est la premier vol de l’aigle. Da nun vol zugleich Flug und Diebstahl heißt, ist das Wortspiel vortrefflich. Ein witziger Höfling wurde einmal von Ludwig dem Fünfzehnten aufgefordert, er möge ihn, den König selbst zum Subject eines Witzes machen. Der Hofmann antwortete einfach: „Der König ist kein Subject.“ (Sujet: Gegenstand und Unterthan.) Heine sagte von seinen satirischen Schriften, daß er aus ihnen und aus seinen Feinden Ducaten geschlagen habe und zwar so, daß er die Ducaten bekommen und seine Feinde die Schläge.

Professor Kuno Fischer in Jena hat ein vortreffliches kleines Buch: „Ueber die Entstehung und die Entwickelungsform des Witzes“ geschrieben, welches wir dieser begehrlichen, unfreien, nutzlosen Zeit mit diesem unseren Aufsatze, der sich vielfach daraus bereichert hat, dringend empfehlen. Er erwähnt als eines der besten bon mots das Friedrich Wilhelm’s des Vierten. Der kleine dicke Bürgermeister, über dessen Wanst sich in ungeheurer Ausdehnung eine stattliche weiße Weste wölbt, hält ihm in sehr kaltem Wetter eine nie enden wollende Rede. Da unterbrach ihn der König sehr wohlwollend und rief: „Mein Lieber, erkälten Sie sich nicht Ihren Montblanc.

Erstens welcher Contrast zwischen dem Pathos des Redners und diesem Schneegebirge von weißer Weste und dann noch obendrein die Vorstellung, als könnte sich der Montblanc erkälten!

Ein anderer Bürgermeister blieb in der Rede an denselben König gleich im Anfange stecken. Sie fing an: „Tausende grüßen Dich und abermals Tausende grüßen Dich!“ Und da er es nicht weiter konnte, nahm er noch einmal einen Anlauf von vorn: „Tausende grüßen Dich und abermals Tau–“. „Danke schön, danke schön!“ unterbrach ihn der König, „grüßen Sie Alle wieder, aber hübsch Jeden einzeln.

Das Wortspiel ist wesentlich Doppelsinn und wird dann leicht zur Zweideutigkeit. Jeder anständige Mensch wird hier stets den Unterschied achten und doppelsinnige Worte nur dann gebrauchen, wenn keiner derselben das Licht zu scheuen braucht und beide Sinne sofort klar hervorblitzen. In der Zweideutigkeit versteckt sich immer die eine Seite des Doppelsinnes. Das ist zugleich der Tod des Witzes, weil dieser sich blos vollzieht, wenn beide Deutungen sich mit gleicher Lichtkraft zu einem hellleuchtenden Knallgasblitze vereinigen.

Zu dem Komischen oder Lächerlichen gehören immer zwei Subjecte: ein thätiges und ein leidendes. Ersteres im Bewußtsein des Richtigen, Wahren oder Schönen schiebt dem Irrigen, Unwahren oder Häßlichen sein besseres Bewußtsein unter, wodurch ein Zusammenstoß und ein sich entladender Blitz in dem thätigen entsteht. Da muß man dann eben lachen. Und durch diesen Proceß wird der Wahrheit oder Schönheit in dem lächerlich werdenden Gegenstande sein Gericht und Recht gethan. Das Häßliche, der Irrthum wird thatsächlich ausgelacht, d. h. durch Lachen ausgetrieben. Dies vollzieht sich in den verschiedensten Formen. So ist zum Beispiel ein sehr willkommener Gegenstand für den Witz die Confusion der Vorstellungen und der Rede. Wer sich verspricht, wohl gar öfter hintereinander Confusion, „Gallimathias“ oder Maculatur spricht, wird am schnellsten und liebsten ausgelacht. Hier hatte ein ehemaliger Professor in Gotha einen wirklichem Ruhm erworben. Es giebt einen ganzen Band von ihm gesprochener Druckfehler seiner Zunge. „Alexander der Große wurde in Abwesenheit seiner Eltern geboren.“ „Luther ritt, in einem Planwagen versteckt, nach der Wartburg.“ „Von jetzt an sollen sich die Fehlenden immer auf die letzte Bank setzen, damit ich gleich sehe, wer eigentlich fehlt.“

Eine mindestens dreifache Confusion ist folgende. Ein berühmter Berliner Arzt wird in einer Gesellschaft neben Friedrich Tieck, den Bildhauer und Bruder des berühmten Romanschriftstellers Ludwig Tieck, gesetzt und ihm vorgestellt. Bei Tische ruft er, um dessen Wohl zu trinken: „Vivat Oranien!“ Niemand begriff, was er wollte. Man verstand die in diesen beiden Worten liegenden drei Confusionen erst später: er hatte nämlich erstens Friedrich mit Ludwig Tieck, dann diesen mit Tiedge, dem Dichter der „Urania“, und endlich „Urania“ mit „Oranien“ verwechselt. Mehr kann man mit zwei Worten kaum leisten.

Auch das bloße Versprechen, sowie das Stottern der Verlegenheit ist ein Lieblingsgegenstand des Komischen. Wenn einer flucht und mehrmals ruft „Schwech und Pefel“ und dann es richtiger zu machen glaubt, wenn er „Pefel und Schwech“ schreit, oder ein Anderer statt „Bildergalerie“ nach einander „Bildergalderie, Gallerbilderie, Gilderbalderie, nein Baldergillerie“ etc. stottert, so hat ein gutes Zwerchfell lange zu thun, um sich den Eindruck wieder lachend auszuschütten. Ein berühmter Alterthumsforscher ließ sogar viel lächerlichen Unsinn drucken, was ihm übrigens unzählige andere Schriftsteller mehr oder weniger bändereich nachgemacht haben. Vom Nil in Aegypten sagt er: „sein Wasser kann zu einer wahren Leidenschaft werden.“ Vom altrömischen Colosseumtheater heißt es: „Achtzig Thore brachten die Zuschauer auf die Spitze und entleerten diese Spitze ebenso schnell.“ „Eine tiefe Schlucht dringt von links hinauf.“ „Das Schulgeld wird von jetzt an halbjährlich in Quadratzahlungen entrichtet.“ „Das Turnen giebt den Lehrern Gelegenheit, die Schüler auch von einer ‚anderen Seite‘ kennen zu lernen.“ Ein dummer Schauspieler gab einmal den Schiller’schen Tell und fing den Monolog „Durch diese hohle Gasse muß er kommen“ mit einem tiefsinnig auf seine Stirn gedrückten Finger an. Niemand dachte an den Geßler, sondern an die hohle Gasse seines Gehirns.

Mit solchem und überhaupt allen Arten von Unsinn spielt der Witzige und Wissende, namentlich der Mutterwitz sehr gern und erfüllt damit sogar eine sehr angenehme Pflicht. Die herrliche Naturgabe des Mutterwitzes ist in dem gar stattlichen Herrn, dem Abte Bürger’s, seinem Schäfer und dem kurrrigen Kaiser unsterblich gefeiert worden. Wer nicht wissen kann oder will, dem macht der Mutterwitz gern etwas weis. Und der mutterlose Witz oder Aberwitz, der leicht zum Wahnwitz werden kann, sollte überall mit allen möglichen Waffen des wahren Witzes zu allen Tempeln, in welche er sich eingeschlichen, hinausgekitzelt werden. Auch das witzige Abfertigen giebt dem, der es kann, ein sehr angenehmes Gefühl geistiger Ueberlegenheit und freien Spiels über die festesten und besten Autoritäten. Fischer führt folgende zum Beispiele an: Herzog Karl von Würtemberg fragt auf einem Spaziergange einen handwerklich thätigen Färber: „Kann Er auch meinen Schimmel blau färben?“ „Ja wohl, Durchlaucht, wenn er das Sieden vertragen kann!“ Friedrich der Große läßt sich einen berühmt gewordenen Geisterbeschwörer aus Schlesien kommen und fragt ihn: „Also, Er kann Geister beschwören?“ „Zu Befehl, Majestät, aber sie kommen nicht.“

Hierher gehört auch, was man foppen, schrauben, zum Narren halten, zum Besten haben oder rheinisch „utze“, weiter im Norden „hutzen“ nennt.

Wenn diese Spiele des Uebermuthes nicht in Hohn und Bosheit ausarten, sind sie berechtigt, denn Irrthum und Unsinn, namentlich wenn er mit Autorität und Anmaßung auftritt, kann nicht oft und vielfältig genug abgeblitzt werden. Es ist sogar oft gut, sich für diesen Zweck selber die Narrenkappe aufzusetzen, um als lustiger Narr alle Arten von Verkehrtheiten mit der Pritsche zu klatschen. Als die Fürsten sich noch Hofnarren hielten, brauchten sie keine Constitution, keine Parlamente. Man kann oft die schärfste, tiefste Wahrheit in Form eines Unsinns sagen. Sie kommt wissenschaftlich ästhetisch unter dem Namen Oxymoron, d. h. zugespitzte Dummheit, witziger Unsinn vor. Beispiele:

„Ein Messer ohne Klinge und Griff,“ witziges Sinnbild der Volksrechte in scheinconstitutionellen Staaten. „Zweischläfrige Kirchenstühle“. „Beredtes Schweigen“. „Die Sprache erfunden, um Gedanken zu verbergen.“ Der Jean Paul’sche Recensent: „Ich kann dieses Buch nicht einmal recensiren, geschweige lesen.“ Insofern heut zu Tage sehr geistvolle, wahrheitsliebende, edle Charaktere nur mit besonderen Hindernissen vorwärts und emporkommen und in keinem Schwindel und Gewaltwesen brauchbar sind, ist auch folgendes Oxymoron sehr treffend: „Die Menschen, die nichts taugen, sind bekanntlich fast noch immer die besten.“

Man sieht hier, wie der Witz gern die Form des Gegensatzes, des Contrastes und des Epigrammes annimmt, um verborgene oder umdunkelte Wahrheiten dadurch um so rascher und schlagender aufblitzen zu lassen. Schauspieler und sonstige Lieferanten an die große Menge glauben immer: jemehr Kunden, jemehr Beifall, desto höher ich und meine Leistung; aber die urtheilslose Menge ist gewöhnlich ein schlechter Richter. Deshalb rief der berühmte griechische Redner Phokion, als er lebhaft beklatscht wurde: „Was habe ich Dummes gesagt?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_299.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)