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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wenn von dort der Jäger-Maxl ’rüberkommt und geht auf die Mailach-Alm zu, gegen den Geißgraben hin, nachher thust ein’ Juchzer ’runter – da kenn’ ich mich schon aus. Geht er aber gegen die Daffner-Alm auf die Tellwand zu, nachher laufst geschwind ’runter zu mir.“

Als Preis für die richtige Lösung seiner Aufgabe zeigte der Alte dem Jungen eine große Schmalznudel, und als wären ihm plötzlich Flügel gewachsen, so flüchtig schoß der Glaasei davon. Er aber begab sich nach seiner Behausung und verbarg die erbeuteten Schätze in einem Wandschrank seines Stübchens, der ihm als Proviantkammer diente und in den Felsen hineinführte. Doch von der Flasche konnte er sich nicht trennen und liebäugelte noch mit ihr, als er schon wieder vor die Thür trat.

Das weite Thal erglänzte bereits im vollen Sonnenschein und glitzernd zogen die Gewässer durch die grünen thaufrischen Sommerfluren, nur die hohen Zinken und Hörner der Berge schwammen noch in einem bläulichen Duft. Auf allen Pfaden sah man die ländlichen Kirchgängerinnen wieder zurückkehren in ihre zerstreut liegenden Gehöfte. Alle männliche Begleitung fehlte, denn der Bauer, ob Gebirgsbewohner oder Flachländer, will, wenn er seinem Seelenheil genügt hat, auch den Körper nicht verkümmern lassen und richtet nach der Kirche seinen Weg gewöhnlich gleich gegen das Wirthshaus. So hatte sich die Wirthsstube in Brannenburg rasch mit Gästen gefüllt und durch das ganze Haus konnte man in allen Tonarten nach der schönen Resei rufen hören. Doch von dem flinken Mädchen, das zur Bewirthung so vieler durstigen Zecher unumgänglich nöthig war, zeigte sich keine Spur.

Die Angst um den geliebten Buben hatte die Wirths-Resei alle häusliche Sorge, alle Dienstpflicht vergessen lassen. Fest entschlossen, heute nicht zu weichen, bis sie über sein Schicksal Gewißheit habe, erschien sie wieder vor der Hütte des Wildheuers. Beinahe hätte sie ihn überrumpelt mit der Flasche in der Hand, deren Inhalt er schon mehrmals einer gründlichen Prüfung unterzogen und als ein seltenes Labsal befunden hatte.

„Ja, Resei, bist schon wieder da von Kirchwald?“ lautete sein Willkomm. „Kommt aber nicht der Maxl nach?“

„Hab’ kei’ Sorg’, Anderl,“ erwiderte das vom raschen Gang erhitzte Mädchen „so lang’ ich gemerkt hab’, daß er mir nachstreicht, bin ich den Heimweg ’gangen. Wie er das gesehen hat, ist er um’kehrt in die Berg’ ’nauf, ich bin aber durch’s Holz hinein und den graden Weg zu Dir ’rauf und geh’ jetzt nimmer fort, bis Du mir nicht Alles vom Franzl genau erzählt hast.“

„Ja, recht gern, Diendl, aber auf Eins muß ich noch warten,“ sagte der Alte und schaute eine Zeit lang nach der sonnigen, grünen Höhe hinauf, wohin Glaasei die Geißen zu treiben pflegte. Da ertönte von glockenheller Stimme ein Juhschrei, der lange in den Bergen fortschallte.

„Jetzt geh’ ’rein in d’Stuben, Madel,“ sagte Anderl vergnügt, „jetzt sind wir sicher.“

Das Mädchen hatte kaum hinter einem rohgezimmerten Tische auf der Ofenbank Platz genommen, als sie mit warmen Worten sich lebhaft an den Alten wandte.

„Anderl, ich sag’ Dir halt viel Dank, daß Du so zu uns haltst. So oft ich die Tag’ heroben war, hab’ ich Dich nie gefunden, Du hast mir aber fleißig Botschaft sagen lassen. Ich hab’ zwar gleich erfahren,“ fuhr sie geläufig fort, „was da heroben geschehen ist, und daß Du’s nur weißt, Anderl, am Mittwoch Abend sitz’ ich im Herrenstübl’ bei uns, hab’ grad’ dem Jäger von unserer Herrschaft sein Bier ’bracht, da kommt der Forstgehilf’ von Nußdorf ’rein.“

‚Heut’ hab’ ich einmal Einem da droben,‘ schreit er wie wild den Andern an, ‚am Heuberg Eins ’naufg’flickt, daß er d’ran denkt. Mich ärgert nur, daß mir der Schuß zu früh ab’gangen ist, waidwund hab’ ich ihn geschossen und tüchtig hat er geschweißt (geblutet), aber doch ist er mir aus’kommen. In’s Dickicht ist er mir ’nein, hab’ gesucht, bis ’s bald Nacht ’worden ist. Da, das hat er zurück’lassen!‘

Und da hat der rothbartete Kerl eine Joppen und ein’ Hut am Tisch ’neingeworfen. Wie ich den Hut und das schöne Sträußl’ d’rauf seh’, das ich vorige Woche erst am Markt zu Rosenheim ’kauft hab’, hab’ ich mich am Stuhl eingehalten, denn ich hab’ ’glaubt, ich muß umsinken. Um’kehrt hab’ ich mich, weil ich gespürt hab’, daß ich kasweiß ’worden bin. … Das ist ein Leid, Anderl,“ sagte sie mit nassem Blick und tiefe Wehmuth zitterte aus ihrem Ton – „und ich darf mir nichts merken lassen, denn wenn’s mei’ Godl (Pathe) erfahren thät’, daß ich einen Schatz hätt’, da wär’s geschehen um mich. Muß dem Kerl noch ein Bier auch bringen, hätt’ ihm lieber ein Rattengift hingestellt. Resei, hab’ ich nur gedacht, geht’s jetzt, wie’s will, heut’ mußt noch in der Nacht ’nauf am Heuberg – da seh’ ich, daß mir schon lang’ vom Stadel hervor Dein Glaasei zuwinkt. Denk’ Dir die Freud’, wie mir der Bub’ sagt, Du hast den Franzl gut aufgehoben, ich soll mich nicht kümmern. Anderl, das vergeß ich Dir nie, unser Herrgott wird Dir’s auch vergelten und ich bleib’ g’wiß nicht hinten. Aber jetzt verzähl’ mir nur, wie ist’s denn zu’gangen?“

„Sag’, mei’ Diendl,“ fragte der alte Schalk in wahrhaft väterlichem Ton, „wie magst denn leiden, daß Dein Bub’ auf’s Wildern geht?“

„Ja, schau, Anderl,“ sagte Resei treuherzig, „ein jeder Mensch muß sei’ Freud’ haben. Wie muß sich der Franzl nicht plagen, wenn er alle vierzehn Tag’ mit dem Holzfloß nach Passau und Linz fährt! Er muß sakrisch arbeiten im Holz droben und wenn er da ’s Wild so um sich ’rumstreichen sieht, juckt’s ihn halt auch manchmal. Ich kann mir auch nicht denken, daß unser Herrgott die Hirsch’ und Gemsen alle blos für die Herrischen erschaffen hat, und nachher thut seiner alten Mutter ein Gulden oder zwei auch manchmal wohl. Hab’ ihm zwar öfters schon ’s Wildern verboten, aber wenn er halt auf d’Nacht kommt und zieht verstohlens ein paar Gemskrickerl ’raus und sagt schön’ staad (still): ‚Resei, das ist ein Capitalbock gewesen!‘ nachher g’freut’s mich dengerscht (doch) auch wieder, und ich muß Dir sagen, Anderl,“ fügte das Mädchen mit lebhaftem Gesichtsausdruck und energischer Handbewegung bei – „ein’ Buben, der kei’ Schneid’ (Muth) hat, möcht’ ich nicht, eine Schneid’ muß er haben! Jetzt erzähl aber Du, Anderl, hast g’wiß auch mein’ Franzl recht gern.“

„Bin ihm g’rad’ nicht feind, aber die Jäger alle, die hab’ ich Dir gar so gern, so gern, daß ich Dir sie gleich fressen könnt’ mit sammt dem Rucksack,“ versicherte der Heu-Anderl mit komischem Ingrimm. „Drum thu’ ich ihnen auch manchen Gefallen. Schleicht Einer ein Wild schon staad an und ich seh’s, schrei’ ich g’wiß gleich recht laut und dumm: ‚Grüß Gott, Jäger, gute Jagd!‘ Hat mir zwar noch Keiner anders ’dankt, als mit: ‚Dich soll der Teufi holen!‘ das thut aber nichts. Pürscht Einer den ganzen Tag auf Gemsen an und ich bin in der Näh’, kommt’s mir nicht d’rauf an, daß ich ein’ Stein aus der Felswand rausschlag’ und die armen Thierl’n verspreng’. Weißt, Resei, die Freundschaft stammt noch aus der Zeit, wo mei’ Alte noch gelebt hat, aber die G’schicht’ ist jetzt zu lang zum Erzählen. Mich haben sie g’rad’ so gern, die Jäger, daß mich Jeder in’s Zuchthaus brächt’, wenn er bei mir ein Körnl’ Pulver riechet, aber der Anderl ist ihnen zu schlau. Wer den d’rankriegen will, muß früh aufsteh’n.“

„Aber, so sag’ doch, Alter, wo haben sie denn den Franzl geschossen?“ fuhr das Mädchen dazwischen, die schon lange ihre Ungeduld kaum mehr bemeistern konnte.

„Nu, das ist ganz einfach. Droben am Heuberg hat er gegen Abend ein’ Gemsbock geschossen, droben muß’s aber nicht recht sauber gewesen sein, denn er hat sich nicht ’traut, ihn aufzubrechen, und hat ihn ’runtergeschleppt bis gegen die Schöngangalm. Dort hat er ein verstecktes Platzl gefunden, sakrisch warm war’s auch, da zieht er die Joppen aus und bricht ganz gemüthlich sein’ Gemsbock auf. Aber, Diendl, weil wir jetzt g’rad’ vom Warmsein reden, mir ist ganz schwül und hab’ ein’ tüchtigen Durst – dürft’ ich nicht ein’ Schluck thun?“ Und der Heu-Anderl griff nach der Steinflasche.

„Nu, meinetwegen,“ willigte Resei ein, „aber daß noch was für’n Franzl d’rin bleibt!“

„O g’wiß!“ betheuerte der Alte und setzte rasch zu einem tiefen Schluck an. Schmunzelnd wischte er dann mit dem Aermel über den weißen Schnurrbart und fuhr neugestärkt in seinem Berichte fort:

„Hitzig, leichtsinnig, wie halt die jungen Leut’ sind, hat er sich weiter nicht umgeschaut, da schreit ihn mit einem Mal der

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