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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Schürze die heißen Thränen aus dem sanften, einnehmenden Gesicht, „wie hast Du wahr gesagt, daß die Mannsbilder alle nichts taugen! Aber vom Maxl hab’ ich’s doch nie ’glaubt, daß er so sein G’spiel mit mir hat. Und ’s Wirths-Resei auch noch! Hat oft gesagt, der Maxl, daß ’s nicht halb so sauber (schön) wär’ wie ich und so viel keck, und daß er’s gar nie mögen könnt’. Und wie grundfalsch ist er nun! Gestern thut er mir noch so schön und bringt mir ein Sträußl und gleich d’rauf hinterbringt mir’s die alt’ Waben (Barbara), daß er schon die ganz’ Wochen der Resei nachschleicht, und ich könnt’ mich selber überzeugen. Und jetzt hab’ ich’s geseh’n, jetzt will ich aber auch von keinem Buben mehr was wissen – und bin das verlassenste Diendl auf der Welt!“

Bei den letzten Worten zog sie ein Blumensträußchen aus dem Mieder und betrachtete es voll Wehmuth. Dann nahm sie Blume um Blume und warf sie in die vorüberrauschenden Wellen, und als sie die letzte Blüthe in den Wogen treiben sah, war’s ihr, als versinke auch die letzte Hoffnung, die sie auf ihr Lebensglück gebaut. Wie kummermüde erhob sie sich, bedeckte mit den Händen das Gesicht, und während ihr die heißen Tropfen durch die Finger rieselten, schlich sie auf abgelegenen Fußsteigen zurück nach Brannenburg, von wo sie mit dem Morgengrauen an jene Uferstelle gekommen war.




2.


Das schwarzäugige Mädchen mit der Steinflasche stieg unterdessen schon rüstig den obern Sulzberg hinan. Je höher sie kam, desto tüchtiger schritt sie aus, und durch die lichte Waldung hindurch zeigte sich schon die strohgedeckte Hütte des Heu-Anderl, als sie mit einem Male neben dem Bergweg her auch dessen wohlbekannte Stimme vernahm.

„Was Tausend,“ sagte er und trat hinter einer Föhre hervor, „da ist ja gar die Wirths-Resei! Schon in der Früh’ so hoch heroben?“ Und der alte Schlaukopf stellte sich ganz überrascht.

„Grüß Gott, Anderl!“ rief ihm die Wirths-Resei lebhaft zu und streckte ihm die Hand entgegen, die der Alte herzhaft schüttelte.

„So, jetzt geh’, Alter,“ drängte das Mädchen, „geh’, heut’ mußt mich zum Franzl führen und das gleich! Seit vier Tagen weiß ich schon, daß er ang’schossen ist, und komm’ alle Früh’ ’rauf, länger halt’ ich’s jetzt nimmer aus. Muß seh’n, was mit mein’ Buben ist, wie’s um ihn steht. Und schau her, Anderl“ – hier öffnete sie ihre Schürze –, „das will ich ihm heut’ selber bringen.“

„Diendl, sei g’scheidt und folg’ mir!“ sagte Anderl mit bedächtiger Miene und vorsichtig gedämpfter Stimme. „Ich führ’ Dich schon zu Dein’ Buben, aber heut’ nicht. Meinst denn Du, der Anderl ist gar so dumm? Ich hab’ Dich schon geseh’n, wie Du vorhin über den Inn gefahr’n bist, hab’ aber auch geseh’n, daß der Jäger-Maxl von Nußdorf Dir nachstreicht und auch ’rübergefahr’n ist. Weil ich den Flößer-Franzl so gut versteckt hab’, daß ihn Keiner find’t, nicht einmal mit dem Schweißhund, denn ich hab’ die Fährt’ verwittert, jetzt denkt sich der Jäger, wo d’ Täubin alleweil hinstreicht, wird der Tauberer auch nicht weit sein. D’rum schleicht er Dir überall nach! Willst jetzt den Franzl verrathen, nachher geh’n wir hin, aber der Jäger wird uns gleich nachkommen.“

„Nix, Anderl, nix,“ sagte das Wirths-Resei heftig erregt und die schwarzen Augen blitzten, „eher kratz’ ich allen Jägern im Gebirg die Augen aus, daß s’ mein’ Buben nimmer zu seh’n kriegen!“

„Geh’ ’nüber, Diendl, nach Kirchwald,“ rieth der Alte im treuherzigsten Ton, „bet’ in der Capelle eine halbe Stund’, und unterwegs schau’ Dich fleißig um. Wenn Du nachher wieder ’rüber kommst, erzähl’ ich Dir Alles vom Franzl.“

„Ja, Anderl, ja,“ ließ sich Resei bereitwillig herbei, „ich komm’ in einer halben Stund’ wieder, aber da nimm Das jetzt und bring’s mein’ Buben.“ Damit kramte sie ihre wohlgefüllte Schürze aus und übergab ihm die Flasche.

„Gern, Resei, mach’ nur, daß Du weiter kommst!“ Und der Heu-Anderl schickte sich an, mit pfiffigem Lächeln und außerordentlicher Geschwindigkeit all’ den Proviant, den das Mädchen vor ihm auf dem thaufeuchten Rasen ausgebreitet, in seinen Rucksack zu packen.

Da kam Resei, nachdem sie sich hastig auf den Weg gemacht, noch einmal zurück und der Alte hatte kaum Zeit, eine saftige Schmalznudel sich aus den Zähnen zu reißen, als sie ihm dringlich zurief: „Erzähl’ fein g’wiß dem Franzl alles Lieb’s von mir!“

„Ja, Resei, geh’ nur, will’s schon recht machen!“ Damit wandte er, der sich eiligst Entfernenden kurz zunickend, alle Aufmerksamkeit wieder seinen Vorräthen zu, und während er fest kaute, murmelte er vergnüglich vor sich hin: „Saftig, saftig sind’s, die Nudeln, und einen Wecken Weißbrod hat sie auch mit’bracht, haben schon lang kein’s mehr gehabt. Wird da der Glaasei schau’n! Was ist denn in dem Papier drinn’?“ Dabei wickelte er ein Päckchen auf, vergnügt ausrufend: „Meiner Six, gar ein Fleisch, und noch dazu ein Braten! Freu Dich, Glaasei, heut geht’s hoch her beim Heu-Anderl!“

Dann entkorkte er die steinerne Flasche und hielt prüfend seine Nasenspitze an die Oeffnung. „Hm, hm,“ machte er, „entweder ist’s ein Kirschwasser, oder ein Nußgeist, macht aber nichts, ich nehm’ ein’ jeden. Mach’ dafür dem Franzl ein’ guten Schmarren (Gebäck aus Mehl und Schmalz), für den thut’s der auch, denn mit der Kost ging’ er mir leicht gar nimmer aus dem Nest ’raus.“

Erschrocken schleuderte er seinen vollgepackten Rucksack jetzt weit in das Gebüsch hinein und verbarg die Flasche in seiner Joppe, denn er hatte ziemlich in seiner Nähe auf dem steinigen Waldpfad Fußtritte vernommen. Ganz gemüthlich schlenderte er darauf seinem Häuschen zu und ließ den hinter ihm nachkommenden Jäger dreimal rufen, ehe er sich, eine überraschte Miene annehmend, mit dem Ausrufe umwandte: „Ah, der Jäger-Maxl! Schon so früh heut am Sonntag in die Berg heroben?“

„Du, Alter, da geh einmal her!“ rief ihm der Jäger in scharfem Tone zu. „Sag mir, gestern haben die Holzflößer drunten am Inn, gerade ehe sie abgefahren sind, einen Rehbock aus dem Gebüsch herausgezogen und haben ihn auf den Floß geschafft. Weißt nicht, Anderl, wie der dahin gekommen ist, he?“ Und er schaute dem Alten scharf in’s Gesicht, ob er kein Zeichen der Betroffenheit an ihm gewahre.

Mit dummdreister Miene gab Anderl die Auskunft: „Selber ist der Rehbock kaum hingelaufen, muß ihn schon Einer hin’tragen haben unter die Büsche – ich weiß von nichts.“

„Anderl, Anderl,“ warnte der Jäger mit erhobenem Finger, „gieb Acht, ich komm’ noch auf Deine Schlich’, nachher geht’s Dir aber auch schlecht! Du stellst Dich immer, als wüßtest Du von nichts – weißt gewiß auch nicht, wo die Wirths-Resei von Brannenburg immer hingeht, wenn’s den Sulzberg hinaufsteigt.“

„Ich bin zwar nicht die hohe Gerichtsbarkeit da heroben,“ bemerkte Anderl trocken, „aber das weiß ich schon.“

„Das kannst Du mir also sagen!“ rief der Jäger lebhaft und erfreut aus.

„Ja, nach Kirchwald geht sie ’nüber in die Capellen,“ nickte der Heu-Anderl und schaute gar aufrichtig d’rein.

„Nimm Dich in Acht, alter Lump!“ fuhr der in seiner Erwartung getäuschte Jäger gereizt auf. „Mich führst nimmer lang an der Nase herum! Sie geht wegen was Anderm herauf,“ fuhr er dann gemäßigter fort, „zu der Capelle macht man keinen so großen Umweg.“

„Was weiß ich,“ war Anderl’s gleichmüthige Antwort, „wird sich schon so verlobt (ein Gelübde gethan) haben.“

Der Jäger wandte sich unmuthig ab, pfiff seinem Hunde und schlug kopfschüttelnd den Fußsteig nach Kirchwald ein, während Anderl so laut vor sich hinbrummte, daß er es noch hören konnte:

„Ja, ja, das Madel muß was Sakrisch’ (Arges) am Gewissen haben, weil’s gar so schiech (traurig) thut.“

„Ich find’ den Franzl doch noch und müßt’ ich ihn ausgraben, wie einen Dachs aus seinem Bau,“ gab der Jäger zurück und verschwand mit beschleunigten Schritten in dem Nadelwald.

Anderl wartete noch einige Zeit, dann suchte er, leise kichernd, nach seinem gefüllten Rucksack. Da hörte er von Weitem schon seinen Buben lustig jodeln und als er ihn erblickte, winkte er ihm, eiligst herbeizukommen.

„Glaasei,“ sagte er, „jetzt steigst schnell ’nauf zu den Geißen, bleibst mir droben und schaust fleißig ’nüber nach Kirchwald.

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