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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Sawe und dem adriatischen Meer sich erhebenden Gebirge, die letzten Ausläufer der Alpen nach Südosten hin, weil wir von einem dort wohnenden kroatischen Edelmanne, Herrn v. Vranyczany, eine Einladung erhalten hatten. In Begleitung eines unserer Agramer Bekannten, des Herrn v. Lopaschitsch, Verwandten unsers Jagdgebers, brachen wir am Morgen eines Sonnabends von Agram auf und fuhren zunächst mit der Eisenbahn bis Karlstadt, einer kleinen, jetzt bedeutungslosen Festung an der Militärgrenze, von wo aus wir die unter der Regierung Maria Theresia’s erbaute schöne Kunststraße nach Fiume weiter benutzen konnten. Die Fahrt auf letzterer war so angenehm, als sie nur sein konnte. In ziemlich gerader Richtung zieht sich die trefflich angelegte Straße durch das wechselvolle Land, bald einen Hügel erklimmend und von der Höhe desselben eine weite Umschau gewährend, bald wieder in eines der Flußthäler hinabsteigend, im Großen und Ganzen dem Laufe der Kulpa folgend. Der Himmel war unbewölkt, die Luft klar und rein, und so lag das schöne Land im Glanze der Wintersonne vor uns auf Meilen hin erschlossen. Nach Süden und Südosten hin wurde der Blick begrenzt durch die höheren Bergketten der Militärgrenze, nach Westen und Nordwesten hin durch die Ausläufer der julischen Alpen; im Mittelgrunde verzweigen sich andere Bergketten zu einem förmlichen Netze: jede Wendung der Straße gab uns deshalb Gelegenheit, ein wieder etwas verändertes Landschaftsbild zu erschauen.

Soweit wir beurtheilen konnten, war die ordnende Hand des Menschen überall ersichtlich. Alle günstig gelegenen Berggehänge hatte man zu Weinbergen umgewandelt, in den Thälern und auf den ebneren Stellen Felder angelegt, welche von unvermuthet sorgsamer Behandlung Zeugniß gaben. Selbst die Dörfer, von denen viele an den Berglehnen hingen, erschienen uns freundlich und reinlich, jedenfalls weit besser, als wir erwartet hatten. Einen ganz besonderen Schmuck der Landschaft bilden die Kirchen und Capellen, welche auch hier, wie in Steiermark, regelmäßig auf den am meisten hervorragenden Punkten der Gegend angelegt wurden und deshalb auf Meilen weit sichtbar sind. Ich glaube dies ausdrücklich erwähnen zu müssen, weil wir uns in Gegenden, in denen Wölfe in Menge und auch noch einzelne Bären hausen, eine Wildniß vorgestellt hatten, während wir doch in ein von dem Menschen ziemlich vollständig in Besitz genommenes Gebiet gelangt waren.

Eine vierstündige Fahrt brachte uns nach dem Schlosse Severin, welches uns schon von fern her heimlich entgegenschimmerte. Die Straße kommt hier wieder bis auf einige hundert Schritte an die Kulpa heran, welche in dieser Gegend in einem tiefen und engen Thale, zwischen Bergen von drei- bis fünfhundert Metern bedingter Höhe dahinfließt und die Grenze zwischen Kroatien und Krain bildet. Auf einem von ihr in flachem Bogen umzogenen, steil abfallenden Vorberge liegt das Schloß, ein Bauwerk aus dem siebenzehnten Jahrhundert, in einer wirklich köstlichen Lage, etwa sechszig Meter über dem Spiegel des Flusses, welcher sein grünes Bergwasser nur deshalb langsamer dahinwälzt, weil es durch eine Reihe von Wehren von Strecke zu Strecke gestaut wird. Unweit des Schlosses, nach der Landseite zu getrennt durch einen hohen Damm, wahrscheinlich den Ersatz einer früheren Zugbrücke, liegt die Ortschaft Severin, unter deren Gebäuden das Stuhlrichteramt, die Schule und der Gasthof durch Größe und Bauart von den kleinen Häusern der Bauern weit mehr abstechen, als dies bezüglich der beiden Letztgenannten in unseren Dörfern der Fall zu sein pflegt.

Herr v. Vranyczany und seine liebenswürdige Gemahlin empfingen uns mit jener ungezwungenen Freundlichkeit und Gastlichkeit, welche Fremdsein augenblicklich vergessen machen und zwischen Wirth und Gästen ein Verhältniß herstellen, wie es zwischen längst bekannten Freunden besteht. Der Pfarrer eines nahegelegenen Dorfes, ein stattlicher und anziehender Mann, war zu kurzem Besuch anwesend und trug nicht unwesentlich bei, die bald lebhaft geführte Unterhaltung im Fluß zu erhalten. Wir wurden wenige Minuten nach unserer Ankunft zu Tische geleitet und hier nach altkroatischer Sitte willkommen geheißen. Es ist dies Willkommenheißen so bezeichnend für das Land und so anmuthend für den an das Alltagsleben gewöhnten Fremden, daß ich mir nicht versagen will, es mit einigen Worten zu beschreiben.

Nachdem das landesübliche Gemüse, Sauerkraut, aufgetragen, erhebt sich der Hausherr und fordert einen der vorhandenen Gäste auf, das Amt eines Tischherrn zu übernehmen, d. h. für Belebung der Tafelrunde Sorge zu tragen. Der Tischherr empfängt vom Hausherrn den Bilikum, das heißt Willkomm, einen mehr oder minder großen, meist auch eigenthümlich geformten Humpen, und den Schlüssel des Hauses, füllt das Glas bis zum Rande mit edlem Weine und setzt dem Fremden in geordneter und gefälliger Rede auseinander, daß es in Kroatien üblich sei, einem gern gesehenen Gaste Willkommen zu bieten und ihm damit alle Rechte eines Freundes des Hauses einzuräumen. Denn so wie der edle Wein die Freundschaft besiegele, so deute der beigelegte Hausschlüssel darauf hin, daß der, welchem man solche Ehre erweise, bei ferneren Besuchen jederzeit, sei es bei Tage, sei es bei Nacht, willkommen sein und als zum Hause gehörig betrachtet werden solle. Der Gast empfängt das Bilikum und hat die Verpflichtung, es in einem Zuge oder doch ohne den Humpen wieder auf den Tisch zu stellen, zu leeren und hierauf mit einigen Worten für die ihm erwiesene Ehre zu danken. So wandert der Humpen von einem Gaste zum anderen und schließlich in die Hände des Tischherrn zurück, welcher ihn ebenfalls im Namen des Hauses leert. Mit dieser feierlichen Begrüßung beginnt das Gelage; denn von nun an reiht sich ein Trinkspruch an den anderen, und zwar bestimmt es die ansprechende Sitte, daß man niemals einen Gast allein leben läßt oder, wie man in Kroatien sagt, antrinkt, sondern ihn immer in Verbindung bringt mit einer Dame, gleichviel ob mit einer gegenwärtigen und bekannten oder aber mit einer abwesenden und unbekannten. Der Angetrunkene hat sich in angemessener Weise zunächst im Namen der Dame und dann in seinem eigenen zu bedanken.

Es ist erklärlich, daß in guter Gesellschaft die Tafelrunde sich durch diese An- und Gegenreden, welche mit einer uns Deutsche fast beschämenden Beredtsamkeit vorgetragen werden, im hohen Grade belebt, um so mehr, als nach den Trinksprüchen zu Ehren der Gäste solche auf die Frauen, das Vaterland, den Landesherrn, die Freiheit, die Freundschaft der Völker etc. folgen, und unter Umständen, namentlich wenn es sich darum handelt, den Ruhm der Frauen zu feiern, ein und derselbe Trinkspruch von allen anwesenden männlichen Gästen ausgebracht werden muß, sei es auch nur, um zu sehen, inwiefern ein Jeder dem Thema neue Seiten abzugewinnen vermöge. Dabei wird tapfer, hier und da auch unmäßig getrunken; der übliche Tischwein ist aber so mild oder so wenig tückisch, daß das Gelage nur äußerst selten, in einem Hause wie das unseres Wirthes niemals, ausartet.

Uns flogen in diesem hochgebildeten Kreise die Stunden dahin wie Minuten, und die Unterhaltung war für uns um so spannender und fesselnder, als Wirth und Wirthin so wie der eingeborene Gast uns über Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Verhältnisse und Zustände Belehrung und Aufklärung verschafften.

Nach Aufhebung der Tafel kam die Unterhaltung selbstverständlich auf den Zweck, welcher uns hergeführt hatte, um so mehr, als unser Kaffeetisch auf dem Felle eines Bären stand, welches geradezu herausforderte, den Jäger nach Wild und Jagd zu befragen. Besagter Bär war vor zwei Jahren von Vranyczany in der Nähe von Severin und zwar mit einem glatten Doppelgewehre erlegt worden. Der kühne Schütze hatte das Ungethüm bis auf zwanzig Schritte an sich herankommen lassen und ihm dann die Kugel so an die richtige Stelle gesetzt, daß Petz sofort das Zeitliche segnete und zu seinen Vätern versammelt wurde. Unser Wirth machte wenig Aufhebens von der Sache, obgleich er die Gefahr, welche jede Bärenjagd mit sich bringt, durchaus nicht unterschätzte. Bis jetzt waren zwei Bären von ihm erlegt worden, welche sein Jagdgebiet durchwandert hatten, wie es regelmäßig zu geschehen pflegt, wenn sie aus den Gebirgen Krains nach den Bergwildnissen der Militärgrenze wandern und umgekehrt. Hier wie dort zählen sie noch zu den wenn auch nicht häufigen, so doch ständigen Raubthieren, und bei der Beschaffenheit der Gebirge und Wälder wird es auch noch gute Weile haben, bis sie vollständig ausgerottet werden können. Man jagt sie mit der größten Leidenschaft, mehr des Jagdruhmes halber als des Schadens wegen, welchen sie verursachen. Allerdings fallen auch sie gelegentlich über eine Herde her und reißen eines oder das andere Stück nieder; der Schaden aber, welchen sie anrichten, steht in gar keinem Verhältniß mit dem, welchen die noch ungleich häufigeren Wölfe dem Besitzthum des Menschen zufügen. Während des Sommers findet Petz so viel pflanzliche Nahrung, daß er sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_278.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)