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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wirthschaftsbesitzers, welches beim letzten Getreideaustreten im Spätherbste sich den Vorderhuf spaltete und jetzt noch den ihm spärlich zugetheilten Mais unnützer Weise frißt, geopfert werden müsse, um die Jagd zu sichern, d. h. um die vollgefressenen Wölfe in der Nähe des Aases festzuhalten, und der Vogt erhält deshalb auch den Auftrag, das Thier trotz seines elenden Zustandes noch heute Nacht in den Wald zu führen und dort nieder zu stechen, da man von der alten, unmenschlichen Sitte, es lebend anzubinden, denn doch absehen will, um nicht bei diesem und jenem Thierschutzvereinler zu verstoßen.

Der Auftrag wird ausgeführt, und noch ehe der Knecht wieder zu Hause angekommen ist, schmausen die Wölfe wacker von der erwünschten Beute, fressen sich ungestört den Wanst beinahe ebenso voll wie der böse Wolf im Märchen vom Rothkäppchen und thun sich in der Nähe nieder. Am folgenden Morgen aber ziehen auf weiten Umwegen unter Berücksichtigung des Windes fünfzehn bis zwanzig Schützen und die doppelte bis dreifache Anzahl mit tüchtigen Knitteln bewehrter Treiber nach dem Walde, umstellen den Theil desselben, in welchem die Wölfe liegen; ein Schuß giebt das Zeichen zum Beginn der Jagd, und unter Geschrei und Lärmen nähern sich die Treiber. Die Wölfe erheben sich schon beim ersten Geräusch, blinzeln und schnüffeln nach allen Seiten hin und suchen die Treiberlinie zu durchbrechen, werden aber durch einen Höllenlärm zurückgescheucht und kommen endlich schußgerecht vor die Schützen, welche mit mehr oder weniger Geschick und Glück ihre Schüsse abgeben und günstigen Falls einen oder den andern Wolf in das Jenseits befördern. Nicht selten, und namentlich wenn das Jagdrevier ein dichter Rohrwald ist, gelingt es den Wölfen, durchzubrechen, und die Jagd ist dann gründlich verdorben.

Ich muß sagen, der letztere Fall ereignet sich häufiger als der günstigere, und die meisten Wolfsjäger wissen von weit mehr ergebnißlosen als gelungenen Jagden zu erzählen. Wurde der Wind nicht gehörig beachtet, stellten sich die Treiber nicht lautlos genug auf, und gingen sie anfänglich nicht mit größter Ruhe vorwärts, oder hatte man gar übersehen, daß die Wölfe den Wald Nachts bereits wieder verlassen, oder schossen endlich die Jäger aus Unkenntniß oder vom Jagdfeuer hingerissen weiter auf Isegrim, als sein dicker Pelz gestattet, so ist alle Mühe umsonst, und die ebenso frechen, als namenlos feigen Raubthiere kommen glücklich durch und treiben ihr Unwesen von Neuem. Dann entschließt man sich endlich, angespornt durch die unterbrochenen Verluste an Hausthieren, zu umfassenderen Maßregeln; und wenn man vollends eines Morgens die Ueberreste eines zerrissenen Weibes oder Kindes aufspürt, mischt sich auch die hohe Obrigkeit in die Sache und veranstaltet eine Kreisjagd. Zu ihr werden zwei bis dreihundert Treiber aufgeboten, die Wölfe von sachverständigen Leuten genau abgespürt und nun am bestimmten Tage das großartige Treiben ausgeführt. Dann ist das Ergebniß in der Regel aus leicht begreiflichen Gründen ein besseres, obschon es wohl immer noch hinter Ihren Erwartungen zurückstehen mag.

Dies, mein verehrter Freund, ist der gewöhnliche Verlauf ungarischer Wolfsjagden, und ich begreife wahrlich nicht, weshalb Sie um solcher Kleinigkeit willen sich mit Ihren Freunden von Berlin aufgemacht und in dieser abscheulichen Winterkälte eine so weite Reise unternommen haben.“

Der also zu mir sprach, war Freund Herklotz in Wien, mit welchem ich schon seit Jahren im Briefwechsel stehe, und den ich heute zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht kennen gelernt hatte. So viel konnte nicht bestritten werden: das Wetter war bei unserer Abreise von Berlin abscheulich, nämlich unangenehm kalt und die Reise somit nicht ganz ohne Beschwerde gewesen; auch hatte man in Berlin in Freundeskreisen vorher bedenklich die Köpfe geschüttelt ob der tollen Idee, mitten im Winter zur Jagd nach Kroatien zu reisen. Für mich freilich handelte es sich keineswegs in erster Reihe darum, einen Wolf zu erlegen, sondern darum, im Kreise ansprechender und liebenswürdiger Menschen einige Tage zu verleben, ein von uns Nord- und Mitteldeutschen wenig besuchtes Land und seine Bewohner kennen zu lernen und mit Isegrim und Braun, welche mir in Norwegen und Spanien hartnäckig ausgewichen, zusammen zu kommen. Und die tolle Idee fand auch bei Anderen Anklang. Mein lieber Freund Hermes, mit welchem ich bisher blos dürftige Jagdgefilde der Mark durchstreift, schloß sich ohne langes Bedenken mir an; der Reisende Mohr fand, als er von der beabsichtigten Wolfsjagd in Kroatien vernahm, die Bremer Luft urplötzlich dick und unerquicklich; Rittergutsbesitzer Beer und der Reichsabgeordnete Gerlich erklärten sich ebenfalls für die Theilnahme; und so war eine Reisegesellschaft zusammen gekommen, welche jenes Kopfschütteln durchaus nicht berücksichtigt und sich heiteren Sinnes aufgemacht hatte, um wo möglich ein leichtes Abenteuer zu bestehen. So waren wir also abgereist und saßen jetzt guten Muthes im tiefen Keller beim weltberühmten Dreher’schen Biere und ließen uns von Freund Herklotz das Vorwort zu dem beginnenden Werke geben.

„Von Gefahr,“ fuhr dieser fort, „kann bei einer Wolfsjagd kaum die Rede sein; es sei denn, daß der Grund und Boden Hindernisse in den Weg legt. Daß die ungarischen Waldungen sich mit Ihren wohlgehegten Forsten nicht vergleichen lassen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen; es geschieht also gar nicht selten, daß einer oder der andere Jäger plötzlich in tiefen Schlünden oder Felsspalten verschwindet, welche der Schnee leichthin überdeckt, daß beim Stürzen sich sein Gewehr entladet und er dadurch andere Schützen gefährdet, oder aber, daß in den Rohrwaldungen das Eis unter den Füßen zusammenbricht, Einer in der Tiefe versinkt und ohne thatkräftigen Nebenmann in große Bedrängniß geräth. Was aber die Wölfe anlangt, so sind sie viel zu feige, als daß sie jemals den Jäger gefährden könnten, und ihre Jagd ist deshalb wahrhaftig kaum ernster zu nennen, als ein Treiben auf Hasen und Füchse. Ernste Zwischenfälle kommen höchst selten, heitere Einschiebsel in die Jagd dagegen desto öfter vor.“

Mancherlei derartige Jagdscenen schilderte Herklotz, und manches mir Neue und Wichtige aus dem Leben der Wölfe wurde hinzugefügt, so daß der Abend, außerdem verschönt durch andere Wiener Freunde, rasch verging und die Stunde des nächtlichen Heimgehens rascher als uns lieb herangekommen war. Vom herrlichsten Winterwetter begünstigt setzten wir Tags darauf unsere Reise fort, überfuhren beim prachtvollsten Sonnenschein den Semmering, welcher wie die ganze Alpenwelt ringsum ein Winterkleid von wunderbarer Schönheit trug, begeisterten uns gegenseitig im Anschauen der köstlichen Landschaft und kamen nach zwölfstündiger Fahrt in Agram an.

Fiedler, ein tüchtiger Buchhändler und ebenso tüchtiger Thierkundiger, dessen freundlicher Einladung wir Reise und Wolfsjagd überhaupt zu danken hatten, und andere Agramer Bekannten empfingen uns, und ersterer überraschte uns sichtlich erfreut mit der Nachricht, daß nicht bloß Wölfe in der üblichen Menge vorhanden seien, sondern sich auch ein mächtiger Bär in den Waldungen eines seiner Bekannten gezeigt habe. Mit herzlichem Danke nahmen wir die an uns ergehende Einladung unseres Gastfreundes an, in seinem Hause das Hauptquartier aufzuschlagen und von hier aus die verschiedenen Ausflüge zur Jagd anzutreten. Kannte ich doch bereits Fiedler’s und seiner anmuthigen Gemahlin Gastlichkeit und Zuvorkommenheit von einem früheren Besuche her, und wußte ich, daß wir gerade durch ihn nicht allein mit dem Kern der deutschen Bevölkerung Agrams, sondern auch mit den unserem Zweck am meisten entsprechenden Landeseingeborenen in Verkehr kommen würden.

Es liegt mir fern, hier eine Beschreibung Agrams, seiner Häuser, Straßen, Plätze, Bewohner, deren Trachten, Sitten und Gewohnheiten zu geben; nur bemerken will ich, daß wir in Fiedler’s und Albrecht’s Hause für die ferneren Tage vorbereitet und in dieser und jener Hinsicht unterrichtet wurden, um kroatische Sitten in ihrer vollen Bedeutsamkeit verstehen und würdigen zu können. Insbesondere bemühten sich die Genannten, uns ein Bild der allgemein üblichen und in höchst ansprechender Weise gepflogenen Gastfreundschaft der Kroaten zu entwerfen, gleichzeitig sich der wenig dankbaren Aufgabe unterziehend, uns für die Opfer zu weihen, welche wir dem hier noch unbestrittene Herrschaft übenden Gotte Bacchus zu bringen haben würden. Mit anderen Worten: ein Fest reihete sich an das andere; einer der Freunde suchte den anderen durch liebenswürdige Zuvorkommenheit zu überbieten; der Willkomm ging fleißig in der Runde, und der treffliche kroatische Wein entsiegelte auch unsere Lippen bei den Versuchen, der kroatischen, wahrhaft fließenden Beredtsamkeit es gleich zu thun.

Wir richteten unsern ersten Ausflug in die zwischen der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_277.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)