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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

irgend eine priesterliche Verrichtung ihn hinausrief, stand jetzt die hohe Gestalt seines Vorgängers. Bruno hatte sich wenig verändert, nur ernster, ruhiger war er geworden, die düstere Gluth des jungen Mönches, dessen Inneres sich so leidenschaftlich gegen die Fesseln seines Standes aufbäumte, war der Festigkeit des Mannes gewichen, der sich bereits im Kampfe mit dem Leben versucht hatte. Die dunklen Locken bedeckten dicht und üppig auch jene Stelle des Hauptes, die einst die Tonsur getragen, und damit schien auch der letzte Rest des Mönchthums abgestreift von der stolzen Erscheinung, der man es nicht mehr ansah, daß sie sich einst im Ordensgewande mit den vorgeschriebenen Zeichen äußerer Demuth gebeugt hatte.

An der jungen, kaum neunzehnjährigen Frau an seiner Seite waren die drei Jahre fast spurlos vorübergegangen. Die langen braunen Locken wallten noch wie einst über Hals und Schultern, in den blauen Augen lächelte wieder das ganze sonnige Glück früherer Tage und das rosige Antlitz hatte den vollen Zauber der Kindlichkeit behalten, aber es lag doch ein Hauch von Ernst auf ihrem ganzen Wesen, der verrieth, daß sie jetzt wohl etwas Anderes kennen gelernt, als Kinderspiele und Kinderthorheiten, und daß sie keine unwürdige Gefährtin des Mannes sein werde, der nun wirklich gekommen war, sie „mit hineinzureißen in sein Leben voll Kampf und Streit“.

Bruno hatte ihre Hand ergriffen und führte sie dem Pfarrer zu. „Mein Weib!“ sagte er einfach, aber es lag eine ganze Welt von Leidenschaft und Zärtlichkeit in dem einen Worte. „Ich konnte nicht abreisen, Hochwürden, ohne Ihnen meine Lucie zuzuführen. Sie wollte mich nicht allein in’s Gebirge lassen, denn sie kann noch immer nicht vergessen, was mir einst hier drohte, und ich –“ er beugte sich zu ihr nieder und sah ihr tief in’s Auge, „ich wäre auch schwerlich ohne sie gegangen!“

In dem Gesichte des alten Pfarrers zeigte sich eine gewisse zaghafte Verlegenheit bei dieser Vorstellung; für den katholischen Priester haftete doch noch immer etwas von einem Sacrilegium an dieser Vermählung des einstigen Mönches, als aber Lucie halb schüchtern, halb freundlich zu ihm aufblickte und ihm mit kindlicher Vertraulichkeit die Hand hinstreckte, da siegte das Herz des alten Mannes über alle priesterliche Bedenken, er faßte die Hand der jungen Frau und drückte sie herzlich in der seinen.

„Wir sind gestern noch bis A. gefahren,“ fuhr Bruno fort, „um heute in aller Frühe hier zu sein und Sie möglichst unbemerkt aufsuchen zu können. Ihres freundlichen Empfanges war ich zwar sicher, aber ich möchte nicht, daß mein Besuch, wenn er bekannt würde, Ihnen Ungelegenheiten dem Stifte gegenüber bereitet. “

Der Greis lächelte. „Fürchten Sie nichts! Ich bin Jenen zu unbedeutend, als daß sie sich viel um mein Thun und Lassen kümmern sollten; das geschah nur, so lange Sie unter meinem Dache weilten. Ueberdies wird das Regiment im Stifte nicht mehr mit der alten Strenge gehandhabt, es wird jetzt Manches geduldet, was früher nicht ungestraft hätte hingehen dürfen.“

„Ich weiß es! Mit dem Prälaten ist die eigentliche Seele des Klosters gewichen, dessen Macht sich jetzt reißend schnell ihrem Ende zuneigt. Daß jener mächtige Arm auch noch aus Rom herüberreichen kann, habe ich erfahren! Manches Hemmniß, mancher Stein in meinem Wege kam unzweifelhaft von seiner Hand – es ist ihm dennoch nicht gelungen, mich unschädlich zu machen!“

Er wandte sich nach dem Fenster und blickte hinaus auf die Häuser des Dorfes, in die er als Priester so oft eingetreten war; der Pfarrer benutzte diese Bewegung, sich Lucie zu nähern und ihr hastig einige Worte zuzuflüstern, es schien fast eine Bitte zu sein. Die junge Frau fuhr überrascht auf und warf einen besorgten Blick auf ihren Gatten, erst nach einer wiederholten leisen Bitte des alten Geistlichen näherte sie sich ihm.

„Bruno, unser Hiersein ist doch nicht so ganz verborgen geblieben, als wir glaubten; der Herr Pfarrer hat bereits seit gestern Abend einen Gast im Hause, der Dich zu sprechen wünscht.“

„Mich zu sprechen?“ wiederholte Bruno befremdet und völlig ahnungslos, „und dazu wählt man diesen Ort und diese Stunde? Warum nicht Dobra, wo ich doch ganz offen zu finden war?“

Der Pfarrer schwieg verlegen, muthiges persönliches Eingreifen war seine Sache nicht und er mochte auch wohl von früheren Zeiten her den Starrsinn seines ehemaligen Caplans zur Genüge kennen, aber Lucie kam ihm zu Hülfe. Sie ergriff Bruno’s Hand und zog ihn rasch zu der Thür des Nebenzimmers, die in diesem Augenblick geöffnet ward – Graf Rhaneck stand auf der Schwelle.

Ein leichtes Zucken flog über sein Antlitz hin, als er die Beiden vor sich sah. Der Graf hatte vielleicht noch niemals so bitter seine Vereinsamung gefühlt, so tief die Oede und Leere seines jetzigen Lebens empfunden, wie hier beim Anblick seines Sohnes und des lieblichen jungen Wesens, das sich an dessen Seite schmiegte. Bruno dagegen war zurückgewichen, die Ueberraschung schien ihm im höchsten Grade peinlich zu sein, und als Lucie jetzt Miene machte, sich zu entfernen, hielt er sie heftig zurück.

„Du bleibst, Lucie! Ich habe keine Geheimnisse vor Dir, am allerwenigsten mit dem Herrn Grafen Rhaneck.“

Die junge Frau legte leise den Kopf an seine Schulter. „Laß mich gehen, Bruno!“ flüsterte sie bittend. „Dies einzige Mal muß ich Dich doch wohl Deinem Vater lassen, es würde ihm wehe thun, stände ich jetzt zwischen Euch!“

Ohne eine Antwort abzuwarten, zog sie ihren Arm aus dem seinigen und in der nächsten Secunde waren die Beiden allein. Der Graf kam langsam näher.

„Wir haben uns lange nicht gesehen, Bruno! Hat mein Sohn auch jetzt keinen Gruß, kein einzigem Wort für seinen Vater?“

Bruno schwieg, er schickte nur einen unruhigen und ungeduldigen Blick nach der Thür hinüber, in der Lucie mit dem Pfarrer verschwunden war, als wolle er sie selbst für diese kurze Zeit nicht im Schutze eines Anderen wissen; der Graf fing diesen Blick auf.

„Deine Gattin hat es herausgefühlt, wie furchtbar schwer es mir geworden wäre, Dir in ihrer Gegenwart zu nahen,“ sagte er ernst, „Du freilich hättest mir diese Demüthigung nicht erspart!“

Bruno sah in der That nicht aus, als wolle er dem Grafen irgend etwas ersparen oder irgend etwas gewähren. Vielleicht hätte Lucie doch besser gethan zu bleiben, der so lange verbannt gewesene feindselige Zug auf seiner Stirn regte sich wieder, auch nicht einen Schritt that er dem Vater entgegen.

„Jedenfalls habe ich diese Demüthigung nicht verschuldet!“ erwiderte er kalt, „denn ich habe diese Begegnung weder begehrt noch gesucht.“

„Ich wollte Dich wiedersehen!“ entgegnete Rhaneck weich. „Und um so mehr, als ich hörte, daß Du Dich vermähltest.“

Die Weichheit hatte hier stets die entgegengesetzte Wirkung, Bruno flammte wieder trotzig auf bei diesen Worten. „Ja, ich bin vermählt, und unsere protestantische Ehe wird nicht anzufechten sein! Wenn ich auch die Mönchsgelübde brach, meinem Weibe werde ich die Treue zu halten wissen, die ich ihr am Altare schwur!“

Die Lippen des Grafen zuckten wieder bei dieser schonungslosen Erinnerung. „Du kannst mir nicht verzeihen, was ich Dir und Deiner Mutter gethan!“ sagte er leise. „Hätte ich es wieder gut machen können, es wäre längst geschehen, aber meine zweite Ehe bindet mir ja die Hände bei jedem Schritt. Die erste anerkennen hieße Ottfried im Grabe und die Gräfin an meiner Seite rechtlos machen. Du mußt das doch begreifen.“

„Daß die hochgeborene Gräfin Rhaneck und ihr Sohn andere Rücksichten verdienen, als meine bürgerliche Mutter, die man ungestraft rechtlos machen durfte – nein, Herr Graf, das begreife ich nicht und werde es nie begreifen!“

„Bruno!“ Die ganze innere Qual lag in dem Tone, Rhaneck drängte sie nur mühsam zurück, als er gefaßter hinzusetzte: „Und wollte ich selbst das Aeußerste versuchen, Du hast den Namen Rhaneck stets von Dir gewiesen, Du würdest die Anerkennung von meiner Hand nicht einmal nehmen wollen.“

„Nein, niemals!“ erklärte Bruno mit unversöhnlicher Härte. „Was Sie mir thaten, deshalb klage ich Sie nicht an, wir waren quitt in dem Momente, wo ich die Fesseln brach, in die man schon meine Kindheit geschmiedet. Auch ohne den Grafentitel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_271.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)