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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nicht; es muß die Gelegenheit gefunden werden, die öffentliche Bühne zu betreten, und dazu gehört politischer Einfluß. Die Senatoren müssen aus den Einwohnern des betreffenden Staates gewählt werden, und so mußte Karl Schurz, wenn er Aussicht haben wollte, Mitglied dieser wichtigen Körperschaft zu werden, sich in einem Staate niederlassen, in welchem das deutsche Element seinen Einfluß geltend machen konnte. Nur in einem solchen Staate durfte man hoffen, daß die Amerikaner bewogen werden könnten, einen Deutschen, und wären seine Verdienste auch noch so groß und seine Talente auch noch so hervorragend, in die Versammlung zu wählen, in welcher Männer wie Daniel Webster, Henry Clay, Stephen Douglas, Thomas Benton und Andere unsterblichen Ruhm sich erworben hatten. Ein solcher Staat ist Missouri, mit seiner weit verzweigten deutschen Bevölkerung.

Die Stadt St. Louis, eine der bedeutendsten Städte, enthält ein deutsches Element, gewichtig nicht blos durch Zahl, sondern ebenso auch und vielleicht noch in höherem Grade durch seine Bildung und Intelligenz. Das Deutschthum von St. Louis nimmt wohl den ersten Rang unter allen Städten in den Vereinigten Staaten ein, in welchen eine namhafte deutsche Bevölkerung gefunden wird. Dort war der geeignete Platz für Karl Schurz, um unter seinen Landsleuten die ihm gebührende Anerkennung und dadurch unter den Amerikanern den erforderlichen Einfluß zu erlangen. Es bot sich ihm eine günstige Gelegenheit, einen Antheil an der „Westlichen Post“, einer bedeutenden und einflußreichen deutschen Zeitung in St. Louis, zu erwerben und in deren Redaction einzutreten, letzteres wohl nur nominell, denn er scheint nicht, daß Karl Schurz selbst viele journalistische Thätigkeit in dem Blatte entwickelt. Diese Stellung als Vertreter der Presse, welche in den Vereinigten Staaten von Amerika allerdings eine Großmacht ist, trug ohne Zweifel viel dazu bei, daß die gesetzgebende Versammlung des Staates Missouri bei erster Gelegenheit den ersten deutschen Senator erwählte.

So trat also Karl Schurz in jene Hallen, in welchen die größten Staatsmänner, welche der amerikanische Freistaat hervorgebracht, das Wohl des Vaterlandes berathen hatten, in jene Körperschaft, welche in früheren Zeiten unter einem Washington, Jefferson, Madison, Monroe, Jackson der Stolz des Landes gewesen, welche aber in neuester Zeit viel von ihrem Glanze verloren hatte. Immerhin zählt der Senat der Vereinigten Staaten auch heute noch Leute von staatsmännischer Bedeutung, einen Trumbull, Charles Sumner, General Logan, aber die Männer aus dem Süden, welche, was auch immer ihre Vorurtheile in Bezug auf das „besondere Institut“ der Negersclaverei gewesen sein mögen, doch immerhin durch große politische Befähigung hervorragten, sie sind heute ersetzt, oder vielmehr ihre Sitze sind eingenommen durch verdorbene nördliche Politiker, welche im Süden nach Aemtern jagen, die sie in ihren eigenen Staaten nicht erhalten konnten, oder durch Persönlichkeiten, welche ihrer schwarzen Hautfarbe, die sie früher zu Parias der Gesellschaft gestempelt hatte, heute den Eintritt in den Senat verdanken.

Man kann zugeben, daß Karl Schurz weder in seiner diplomatischen, noch in seiner kriegerischen, noch in seiner journalistischen Laufbahn besonders Ausgezeichnetes geleistet hat; in den Hallen des amerikanischen Senates aber hat er Gelegenheit gefunden, sich als einen bedeutenden Redner, als einen Staatsmann ersten Ranges und als einen ehrlichen Politiker von wahrhaft freisinnigen Grundsätzen zu bewähren. In dieser Beziehung ist er ein echter Deutscher, der die Freiheit um der Freiheit willen liebt, die Grundsätze, die er für richtig und wahr erkannt hat, muthig und furchtlos und unbekümmert um persönlich nachtheilige Folgen vertritt und politische Corruption aus tiefster Seele haßt und mit aller Kraft verfolgt. Daß ein solcher Mann unter seinen Landsleuten in Amerika Liebe und Verehrung und unter den Eingebornen Achtung und Bewunderung finden mußte, ist natürlich. Karl Schurz ist heute der populärste Mann unter den Deutschen in den Vereinigten Staaten, bewundert und geschätzt von den ehrlichen Amerikanern und gefürchtet und gehaßt von allen corrumpirten Politikern.

Es waren hauptsächlich vier Vorkommnisse, bei denen Karl Schurz sich als scharfblickender Staatsmann bewährt hat. Zuerst zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, als er im Senate den von der Regierung abgeschlossenen Kaufvertrag über die Insel St. Domingo bekämpfte. Seiner Beredsamkeit und seinen scharfsinnigen Auseinandersetzungen hauptsächlich verdankte die Regierung die erlittene Niederlage, die ihm Präsident Grant auch nie vergessen hat. Die sofortige Absetzung eines Verwandten von Karl Schurz von einem einträglichen Staatsamte war die kleinliche Rache dafür. Ein Antrag auf Untersuchung großartiger Betrügereien im Zollhause in New-York, an dessen Spitze ein intimer Freund des Präsidenten stand, gab Karl Schurz Gelegenheit, seine Grundsätze über die in der Regierung und allen ihren Zweigen nothwendige Ehrlichkeit und Reinheit zu entwickeln, und sein Auftreten in der Frage über den Verkauf von Waffen aus den Regierungsarsenalen an das Gambetta’sche Frankreich, in der zweiten Periode des Krieges mit Deutschland, bewies, daß Karl Schurz, während er die Liebe zum Heimathlande treu im Herzen bewahrt, vor Allem für die Ehre der Nation einsteht, deren Glied er geworden ist. Wird diese Ehre durch freveln Bruch der Neutralitätspflichten gegenüber einem befreundeten Staate, oder durch niedrigen Schacher von Dienern des Volkes verletzt, so ist es die Pflicht des wahren Patrioten, durch offene Verdammung der schuldigen Einzelnen den gefährdeten Ruf des Ganzen zu retten. Karl Schurz hat diese Pflicht muthig erfüllt, und wohl konnte Präsident Grant ausrufen: „Das ist Tell’s Geschoß!“

Bei der Amnestiefrage trennte sich Karl Schurz von seinem Freunde, dem Senator Sumner von Massachusetts, und ging mit der Regierung. Die hochherzigen Gesinnungen des deutschen Senators gegenüber dem besiegten politischen Feinde waren in zu großem Abstande von dem engherzigen Fanatismus des Puritaners von Neu-England. Während dieser die Theilnehmer an dem Rebellionskriege immer noch von dem Vollgenusse der politischen Rechte ausschließen will, ist der deutsche Senator bereit, den Frieden zwischen Norden und Süden durch Versöhnung und Vergessen zu bekräftigen. Schon in Missouri hat er einer solchen Politik des Entgegenkommens zum Siege verholfen. Durch die dortige, noch während des Krieges zu Stande gekommene, nach dem Urheber der gehässigen, rechtsverkümmernden Bestimmungen die Drake-Verfassung genannte Constitution war Jeder von der Ausübung der politischen Rechte ausgeschlossen, der nicht beschwören konnte, nicht nur daß er keinen thätigen Antheil an der Rebellion der Sclavenhalter genommen, sondern daß er niemals auch nur für dieselbe Sympathie gehegt, so daß Mancher, der später für die Sache der Union geblutet, der aber vielleicht in der ersten Zeit des Bürgerkrieges auch nur ein günstiges Wort für die Südstaaten geäußert, seines Wahlrechts beraubt war.

Karl Schurz hat das Verdienst, in Verbindung mit Gratz Brown, dem jetzigen Gouverneur des Staates, und in Verbindung mit den deutschen Republikanern von St. Louis jene Drake’sche Verfassung zum Falle gebracht und durch die Abstimmung der Bürger dies unversöhnliche und gehässige, Tausende rechtlos machende Gesetz entfernt zu haben. Daß heute der ehemalige Sclavenstaat Missouri des inneren Friedens und der ruhigen Entwicklung seines Wohlstandes sich erfreut, während in Georgien und anderen südlichen Staaten noch die Wunden bluten, ist der hochherzigen von Karl Schurz vertretenen Versöhnungspolitik zu verdanken.

Daß die Deutschen in Amerika stolz sind auf ihren Landsmann, der muthig dem Unrechte gegenübertritt, wo immer und unter welcher Gestalt und Form es ihm begegnet, ist nicht zu verwundern. Seine Haltung ist so ganz dem deutschen Charakter, wie ihn Karl Schurz selbst in den Debatten über den Waffenverkauf geschildert hat, angemessen. „Die Deutschen in Amerika,“ sagte er, als ihm die Vertheidiger des Waffenschachers vorwarfen, er wolle die deutschen Stimmen in’s Lager der Demokraten führen, „die Deutschen sind Feinde der Corruption, wo immer sie sich zeigt. Sie haben dies in New-York bewiesen, als es sich darum handelte, der corrupten Stadtverwaltung ein Ende zu machen. Sie werden auf ihrem Posten sein, wenn auch in höheren Regionen die Reinigung nöthig werden sollte.“

Ja, die Deutschen sind Idealpolitiker; sie sehen und suchen im Freistaat die höchste Vervollkommnung der Rechtsidee und darum hassen sie Unehrlichkeit im öffentlichen Leben. Welch hohen Rang übrigens Karl Schurz auch bei den ehrlichen Amerikanern einnimmt, darüber wollen wir die anglo-amerikanische Presse sprechen lassen. „Karl Schurz,“ sagt eines der bedeutendsten Blätter, „hat durch seine Rede (über den Waffenverkauf) ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_262.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)