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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Kattun, die Möbel selbst von polirtem Ahornholz. Unter denselben befindet sich eine Art Gartenstuhl, eine Arbeit des Kronprinzen.

Bekanntlich hat von den Söhnen Friedrich Wilhelm’s des Dritten jeder ein Handwerk lernen müssen, auch bei dem Enkel ist diese löbliche Sitte festgehalten worden, und der Sohn hat einen Stuhl hergestellt, weit, fest und solide, damit sein Vater auf demselben so recht behaglich sich ausruhen könne. Auf einem anderen Stuhle liegt ein altes Kissen in Tapisserie, es ist eine Arbeit der Königin Louise, daneben auf einem Tische ein kleiner Strauß von künstlichen Kornblumen, der dem Kaiser von einer armen Wittwe[WS 1] bei irgend einer Gelegenheit verehrt wurde und schon seit Jahren an dieser Stelle liegt.

Draußen fängt es an dunkel zu werden; der Kaiser erhebt sich, nachdem er etwa zwei Stunden gearbeitet hat, knöpft den Rock wieder zu, nimmt die Militärmütze und schreitet die Treppe hinab. Auf einem Absatz derselben ist in einem runden Gestelle eine Sammlung von Stöcken der mannigfaltigsten Art, dünne und dicke, kunstvoll geschnitzte und ganz schmucklose. Der Kaiser nimmt sich den einfachsten, ein Weichselrohr, das er schon seit dreiunddreißig Jahren benützt und das er sich mit eigener Hand in seinem Parke geschnitten hat; es hat weder Krücke noch einen Knopf, es ist der einfache Stock, wie er von der Wurzel geschnitten ist. Damit beginnt nun der Kaiser seinen Abendspaziergang durch den Park. Manchmal nimmt er sich den Flügeladjutanten vom Dienst zur Begleitung, diesmal ist er allein, rüstig schreitet er vorwärts, die Höhe hinter dem Schlosse hinan. Zwischen den runden Wipfeln des Laubholzes beginnen schon die schlanken Kiefern emporzusteigen, dann kommt eine Strecke, wo der Park aufhört und der Kiefernwald anfängt; aber wie frisch, wie kräftigend ist der Harzduft, den die Palme des Nordens ausströmt! Der Kaiser ist auf dem höchsten Punkte von Babelsberg angelangt, er hält still, um Auge und Herz an dem prachtvollen Landschaftsbild, das sich vor seinen Augen aufthut, zu laben. Zu seinen Füßen liegen die Zinnen und Thürme des Schlosses, vor ihm nach allen Seiten breiten sich die weiten seeartigen Buchten der Havel aus, über die sich in kühnem Bogen die Brücke von Glienicke wölbt. Die ganze Fläche ist vom Abendsonnenlicht beleuchtet und in der rosenrothen Fluth baden sich die Schwäne, die diese Wasserstrecke zu Tausenden bevölkern.

Rechts aus dichten grünen Wipfeln schauen Schinkel’s edle, classische Gebilde aus Stein, die Schloßgebäude von Glienicke; links auf einer der Anhöhen von Babelsberg hebt sich in glühender Beleuchtung die schlanke granitne Siegessäule aus grünem Laubmeer empor. Weiter unten verschwimmen im Dufte des Abends die Thürme und Kuppeln der Stadt, und weiterhin rings nach allen Seiten fällt der Blick auf sanft gewellte Hügel, auf dunkles und lichtes Grün und dazwischen auf einen silbernen Wasserstreifen, und überall ruht der Segen der Natur, ein wunderbarer Friede, der Wald und Flur und das Herz des Menschen erfüllt. Das ist einer der größten Reize dieses Besitzes, daß fast jedes Fenster des Schlosses einen andern Aussichtspunkt bietet, aber hier oben ist der schönste von allen.

Nach einer Weile setzt der Kaiser seinen Spaziergang fort; es begegnen ihm die Leute, die in dem Parke arbeiten; er kennt sie und geht freundlich grüßend an ihnen vorüber, bleibt wohl hier und da bei Einem stehen, nach Diesem und Jenem fragend, und setzt dann seinen Weg nach dem nördlichen Ende des Besitzthums, nach dem Portierhause, fort, das den Eingang von Glienicke her behütet; er überschreitet den breiten Fahrweg und geht eine Reihe von steinernen Stufen hinab nach dem Maschinenhause, das die Bewässerungsanlagen speist und das an einer der Buchten der Havel liegt. Er wendet sich links den Pfad an der Havel entlang und biegt in einen gar anmuthigen Weg ein; rechts ist das Wasser, links die ansteigende Höhe und das Ganze ein dichter Laubgang. Nach etwa zwanzig Minuten tritt der Spaziergänger aus demselben in eine offene lichte Stelle hinaus, in einen halbrunden Ausbau, hart am Wasser. Hier steht ein aus Stein gehauener altersgrauer Bildstock, wie man deren in katholischen Gegenden Süddeutschlands sehr häufig im freien Felde sieht. Der Kaiser bleibt einen Augenblick vor der Steinsäule stehen.

Im Jahre 1849 im Feldzuge gegen die Insurgenten in Baden, am 29. Juni, hielt der damalige Prinz von Preußen an demselben Bildstocke. Damals stand dieser auf dem Felde zwischen Bischweiher und Muggensturm, und die Kugeln der Insurgenten bestrichen das Bildwerk unaufhörlich; aber das hinderte den Prinzen nicht, das Denkmal alter Zeiten aufmerksam zu beobachten und zu seinem Adjutanten, dem Grafen Pückler, zu äußern, daß er vor seiner Abreise etwas Aehnliches für den Park von Babelsberg bestellt habe. Der Großherzog von Baden hatte das erfahren, in die Krone des Bildstockes das Eiserne Kreuz und Inschrift und Jahreszahl des betreffenden Tages als Erinnerung anbringen und dem Prinzen als Geschenk anbieten lassen. So fand das Bildstöckchen aus dem Süden hier an der Havel eine Stelle.

In der Fortsetzung seines Spazierganges kommt der Kaiser an einem Hause vorüber, das etwa hundert Schritte vom Wasser zurückliegt. Es ist in demselben Stile wie die Schlossgebäude gehalten, elegant und geschmackvoll; aber durchaus einfach von Ausdehnung sieht es wie das Landhaus eines wohlhabenden Privatmannes aus. Es war in den beiden ersten der vierziger Jahre erbaut; die jetzige Kaiserin hatte selbst den Plan dazu gezeichnet; es sollte ein Haus für ihre Hofdamen werden, aber dann bekam es eine andere Bestimmung.

Bis zu Ende des vierten Jahrzehnts konnte man in den Gartenanlagen und in den Spielplätzen, die das Haus umgeben, jeden Sonntag eine fröhliche, kecke, muthwillige Knabenschaar sich tummeln sehen; ihr Mittelpunkt und ihr Anführer war ein Altersgenosse, schlank, blondhaarig, blauäugig, der jetzige Kronprinz des deutschen Reiches, der hier mit seinem Gouverneur den größten Theil seiner Jugendzeit verlebte. So bieten sich überall dem promenirenden Herrn Erinnerungen und Beziehungen aus seinem Leben dar, überall Marksteine desselben. Nicht weit vom Hause führt ein Weg wieder bergan, diesen schlägt der Kaiser ein, er gelangt nach etwa zehn Minuten in eine Obstplantage. Die edlen Fruchtbäume sind nach französischem Muster an terrassenförmig aufsteigenden Mauern aufgezogen. Der Kaiser schreitet die Spaliere ab, er trifft auf einen jungen Mann, der einigen Gärtnerburschen, welche die Obstcordons überdecken, Anweisungen giebt, es ist der Hofgärtner Kindermann. Derselbe begleitet den Kaiser weiter durch die Obstplantage, zeigt ihm die Ansätze zu den Früchten und die Aussichten für die Ernte, auch einige neue Exemplare, die kürzlich angekommen sind, dann reicht ihm der Kaiser die Hand, sagt ihm „Gute Nacht“ und tritt seinen Rückweg nach dem Schlosse an. Die Nacht ist fast herein gebrochen und die Pfade sind dunkel geworden, nur ab und zu leuchten durch das Laub die Laternen des Schlosses. In diesem angekommen, nimmt der Kaiser in Gesellschaft des Flügel-Adjutanten ein einfaches Abendbrod ein, und zwischen zehn und elf Uhr begiebt er sich zur Ruhe. Aus all den blühenden Jasmin- und Rosenbüschen im Parke aber tönt der Gesang der Nachtigallen und ihre entzückenden Töne schallen unter dem Rauschen der Fontainen in die grüne, sternenbeglänzte Sommernacht hinaus.

„Ach, wäre ich doch Geheimerath geworden!“ pflegte Friedrich der Große zu sagen, wenn in früher Morgenstunde der Kammerdiener ihn weckte und er noch etwa Lust zum Schlafen hatte. So mag auch manchmal der Kaiser denken, nach solch einem wonnigen Juniabend, wenn des anderen Morgens früh der Wagen vor dem Schlosse hält, der ihn nach dem Stationshäuschen von Nowawes zurückbringen soll. Dort steigt der Kaiser in den von Potsdam kommenden Zug ein, der ihn aus dem idyllischen Frieden von Babelsberg nach Berlin in den Drang der Geschäfte zurückbringt.

Georg Horn.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe hierzu Nachträgliches in Heft 37
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_258.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)