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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

schon einmal den Prälaten so bedenklich gemacht, schlug wieder hell auf in dem Antlitz des jungen Mannes, und auch in Günther’s Kopf begann jetzt eine Ahnung aufzudämmern, aber er sah es an der finsteren Stirn und den festgeschlossenen Lippen Bruno’s, daß dieser sich kein Geständniß werde entreißen lassen, und entschlossen, keine Offenheit zu erzwingen, die ihm nicht freiwillig geboten ward, forschte er für jetzt nicht weiter. Dennoch war es ein fast peinliches Nachdenken, das ihm die unerwartete Entdeckung aufzwang. Seine rosige kinderfrohe Lucie und diese düstere vulcanische Natur! Unmöglich! Und doch mußte bereits ein Einverständniß zwischen ihnen bestehen, wer lehrte sie sonst im Augenblicke der höchsten Gefahr bei ihm Schutz und Hülfe suchen? Auch Bruno mochte wohl fühlen, daß er sich verrathen hatte, aber er schwieg beharrlich und so ward die Fahrt meist stumm zurückgelegt. Erst als das Schloß von Dobra vor ihnen auftauchte, wandte sich Günther wieder an seinen jungen Nachbar:

„Sie haben es mir verweigert, mein Haus als das Ihrige anzusehen, und doch hätte ich jetzt unter Allen wohl das erste Recht, Ihnen dort ein vorläufiges Asyl zu bieten. Ihre Rückkehr nach dem Stifte ist mit dem heutigen Tage eine Unmöglichkeit geworden, dies öffentliche Preisgeben der Klosterehre verzeiht man Ihnen nie. Soll ich nicht einmal wissen, wohin Sie zunächst Ihre Schritte lenken wollen?“

„Ich wollte für’s Erste nach N. zurück, und dann –“

„Nach N.?“ unterbrach ihn Günther rasch. „Um Gotteswillen nicht! Es liegt noch im Bereich des Stiftes, haben Sie nicht genug an der einen Erfahrung? Wollen Sie einen zweiten – Unglücksfall abwarten?“

Bruno schüttelte den Kopf. „Fürchten Sie nichts, die Verfolgung hat ihren Zweck verloren. Als es sich darum handelte, meinen Abfall zu verhindern, mein Schweigen um jeden Preis zu wahren, da war ich in Gefahr, da konnte man beides nöthigenfalls mit meinem Tode erkaufen; jetzt, wo der eine unwiderruflich vollzogen und das zweite öffentlich gebrochen ist, jetzt bin ich sicher!“

„Auch vor der Rache des Abtes? Sie führten einen tödlichen Streich gegen ihn, die Worte des Priors haben ihn moralisch vernichtet.“

„Ich ahnte es beinahe, wie der Elende sich rächen würde!“ sagte Bruno finster. „Hätte ich’s abwenden können, es wäre geschehen, aber ich mußte den Prälaten dem Aeußersten preisgeben, um Sie zu retten – es ist mir so schwer geworden, wie vielleicht ihm, als er mich preisgab!“

Bernhard sah ihn mit dem Ausdruck äußerster Befremdung an. „Ich begreife Sie nicht, Bruno! So sprechen Sie von dem Manne, der Ihren Tod befahl?“

„Er opferte mich seiner Ueberzeugung, wie er seinen Bruder, wie er dessen Sohn geopfert hätte, wären sie ihm feindlich in den Weg getreten. Er kennt eben nur Eins, die Macht und Ehre seiner Kirche, und vor dem Priester muß jede Regung des Menschen nieder in den Staub. Ich kann sein Handeln begreifen, auch wenn ich es verurtheilen muß, und mich wird er in Zukunft nicht mehr angreifen. Mit nutzlosen Verbrechen befleckt sich dieser Mann nicht, er steht eben so hoch über gemeiner Rache, als er von jeher über gemeinem Hasse stand.“

„Das war wieder einmal der Rhaneck, den man jetzt hörte!“ In Günther’s Stimme klang ein leiser Vorwurf mit durch. „Sie haben auch etwas von der rücksichtslosen Härte des Geschlechtes, Bruno, das alles niedertreten möchte, wo es sein eignes Wollen gilt! Sie sind weit mehr der Neffe Ihres Oheims, als Sie je der Sohn Ihres Vaters waren. Wollen Sie dem Prälaten auch die Eingriffe in das Leben Ihrer Mutter verzeihen?“

Ein Strahl von Haß blitzte wieder auf in dem Auge des jungen Mannes. „Ihm? Er hat sie nie gekannt! Ihm war sie eine Fremde, Eingedrungene in den Namen und Rang seiner Familie, er hatte keinen Schwur zu wahren, keine Gelübde zu halten; wenn er sie vernichtete, so geschah es mit jener eisernen Consequenz, die nun einmal die Grundlage seines Charakters bildet; ihn klage ich am wenigsten an. Auf den Gatten, der sein Weib zu vertreten und zu schützen berufen war, und der es statt dessen in solcher Weise preisgab, aus diesen allein fällt der größte Theil der Schuld!“

„Haben Sie eine Erklärung mit Ihrem Vater gehabt?“ fragte Günther forschend.

„Mit dem Herrn Grafen Rhaneck, meinen Sie?“ es lag eine schneidende Zurechtweisung in dem Tone. „Ich glaube, er war nicht abgeneigt, jenen Titel auch gegen mich geltend zu machen. Ich habe ihm gezeigt, daß ich das Andenken meiner Mutter zu ehren weiß und daß unsere Wege in alle Ewigkeit aus einander gehen.“

„Sie gehen zu weit! Graf Rhaneck hat dennoch –“

„Ich bitte, schweigen Sie davon!“ unterbrach ihn Bruno heftig. „Ich kann bei dem Namen nun einmal nichts fühlen als Haß und Erbitterung, und ich will keine Beziehung zu ihm anerkennen, weder dem Grafen noch einem Anderen gegenüber.“

Bernhard schwieg, er sah wohl, daß er diesen Punkt nicht berühren dürfe, wenigstens jetzt noch nicht.

„Sie werden für’s Erste doch wohl hier bleiben müssen,“ begann er nach einer Pause von neuem. „Ihr persönliches Zeugniß wird bei dem nun beginnenden Processe nicht entbehrt werden können.“

Bruno lächelte bitter. „Mein Zeugniß ist mit meinem heutigen Auftreten und meiner den Gerichtsbeamten gegebenen Erklärung zu Ende. Der Proceß wird nicht stattfinden!“

„Weshalb?“ fuhr Günther betroffen auf. „Sie wollen doch nicht behaupten, daß man es wagen könnte, jetzt noch die Sache niederzuschlagen, nun sie einmal in den Händen der Richter ist?“

„Nein! So weit reicht der Arm des Stiftes denn doch nicht, und selbst die Allmacht Roms würde daran scheitern. Aber Sie vergessen, daß der Prior sich vorläufig noch im Klostergewahrsam befindet, bis die Formalitäten seiner Auslieferung erfüllt sind. Man wird ihm gerade noch Zeit lassen, das Geständniß und vor allem die Anklage gegen den Abt zu widerrufen, und dann wird man – unachtsam sein. Er wäre der erste Mönch, der in solchem Falle nicht Thür und Thor zur Flucht offen gefunden hätte; jedes ferne Kloster öffnet dem Schuldigen seine Pforten, wenn es sich darum handelt, ihn der so sehr gehaßten weltlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen.“

„Möglich! Man müßte also versuchen, den Landrichter –“

„Versuchen Sie nichts! Es scheitert alles, wenn der Orden ihn retten will, und er wird um keinen Preis dem Lande das Schauspiel eines solchen Processes gönnen. Glauben Sie denn, ich hätte es gewagt, die Gedächtnißfeier eines Todten mit meiner Anklage zu entweihen, hätte ich die Zeugenschaft Anderer dabei entbehren können? Er wäre vorher geflohen; nun geschieht es wenigstens nach dem Geständniß, das Ihre Ehre reinigt von jedem Verdachte.“

„Jedenfalls werde ich dennoch dem Landrichter die nöthigen Winke geben!“ sagte Bernhard lebhaft. „Uebrigens, was auch geschehen mag, der Eindruck jenes ersten Geständnisses und jener Worte gegen den Abt bleibt ungeschwächt. Das Verbrechen an sich würde man vielleicht mit der Zeit vergessen, aber daß es befohlen ward, befohlen werden konnte, das erschüttert die Macht des Stiftes bis in ihre innersten Grundvesten hinein. Die blinde Verehrung dafür ist zu Ende für alle Zeit!“

Die Ankunft in Dobra machte der weiteren Unterredung ein Ende. Hier wurde Günther bereits erwartet, der Landrichter hatte seine „Abscheulichkeit von vorgestern“, wie Fräulein Reich noch immer hartnäckig die Verhaftung nannte, dadurch wieder gut gemacht, daß er sofort vom Stifte zu den Damen herübergekommen war, ihnen die betreffenden Nachrichten zu bringen. Lucie hing noch in stürmischer Zärtlichkeit am Halse ihres Bruders, Franziska dagegen wandte sich sogleich nach der ersten warmen Begrüßung an dessen jungen Begleiter.

„Sie sind jedenfalls Herr Pater Benedict, von dem der Landrichter uns erzählt hat!“ begann sie in ihrer ungenirten Weise. „Ich kann es mir denken! Einen Anderen von der Sippschaft drüben hätte uns Herr Günther schwerlich mitgebracht. Ich habe sonst eine entschiedene Antipathie gegen Alles, was Kutten trägt, denn – entschuldigen Sie, Hochwürden – es steckt gewöhnlich nichts Gutes dahinter; Sie aber sind eine Ausnahme, Sie sind ohne Zweifel ein vortrefflicher Mensch, obgleich man es Ihrem Gesicht und Ihrer Kleidung nach eigentlich nicht vermuthen sollte; – ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“


(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_240.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)