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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 15.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.


Von E. Werner, Verfasser von „Ein Held der Feder“.


(Fortsetzung.)


Im Stifte sollte das feierliche Todtenamt für den jungen Grafen Rhaneck gehalten werden. Der Rang und Name des Verstorbenen und die Umstände seines Todes erhoben diese Feier zu einer außergewöhnlichen, die selbstverständlich all den kirchlichen Pomp und Glanz beanspruchte, den ihr düsterer Charakter nur gestattete. Der ganze Adel der Umgegend erschien, um den Eltern seine Theilnahme zu beweisen, aber auch die sämmtlichen Dorfschaften, welche unter der Herrschaft des Stiftes oder des Schlosses Rhaneck standen, hatten ihre Bewohner gesandt, es galt ja dem Neffen des Prälaten und dem Sohne des Majoratsherrn. Die Landleute drängten sich noch sämmtlich in dem Klosterhofe, um zu sehen, wie der Prälat an der Spitze seiner Geistlichkeit und begleitet von dem Adel und den Beamten der Umgegend sich in die Kirche begeben werde.

Die Gräfin Rhaneck hatte den ersten furchtbaren Schlag einigermaßen überwunden, aber ihr Zustand gestattete ihr noch immer nicht, einer so aufregenden Feier beizuwohnen, der Graf dagegen war erschienen und hatte sich bis zum Beginn derselben in die Gemächer seines Bruders zurückgezogen.

Seine Uniform trug heute die Abzeichen tiefer Trauer, und wer ihn so sah, wie er im Armsessel saß, den Kopf in die Hand gestützt, das Auge düster vor sich hinstarrend, der hätte in ihm kaum den noch immer schönen, lebenskräftigen Mann wiedererkannt, die wenigen Tage hatten ihm etwas Greisenhaftes gegeben. Der Prälat, der kalt, selbstbewußt und energisch wie immer neben ihm stand, erschien heute als der Jüngere von Beiden.

„Quäle Dich und mich doch nicht mit solchen Sorgen, Ottfried!“ sagte er nachdrücklich. „Die Beweise gegen diesen Günther sind nicht erschöpfend genug, um ihm ernstlich etwas anzuhaben. Wir können ruhig der Untersuchung zusehen, im schlimmsten Falle bleibt es uns immer noch, unseren Einfluß geltend zu machen, um das Aeußerste zu verhüten.“

Rhaneck’s Antlitz hellte sich nicht auf, trotz dieses Zuredens. „Du hast ihn schon einmal vergebens geltend gemacht, als es sich darum handelte, die Untersuchung überhaupt zu verhindern, es gelang Dir nicht.“

Der Prälat zog die Stirn in Falten. „Dieser neue Landrichter ist eine höchst unbequeme Persönlichkeit, die erste dieser Art, die man uns nach E. schickte; ich werde sorgen, daß er nicht allzulange dort bleibt. Aber ich wiederhole es Dir, diese Kette von Zufälligkeiten war genug, Günther zu verhaften, nicht ihn zu verurtheilen, dazu gehören andere Beweise, man wird ihn wegen Mangels derselben freisprechen müssen.“

„Und damit einen ewigen Makel auf seine Ehre werfen.“

„Willst Du es unternehmen, ihn davon zu reinigen, so thue es!“ sagte der Prälat scharf.

Der Graf machte heftig eine abwehrende Bewegung und wandte sich nach dem Fenster, seine Augen schweiften theilnahmlos über die Landschaft draußen, aber man sah es, seine Gedanken waren ganz wo anders. Der Prälat schwieg, doch ein leiser Ausdruck von Befriedigung lag in seinem Blick; ihm war es vielleicht nicht unlieb, daß die Untersuchung gerade diese Wendung genommen; wurde damit doch ein Feind unschädlich gemacht, der mit seinen Neuerungen und seiner Autorität die ganze Gegend bedrohte; was galt ihm die bedrohte Freiheit und Ehre dieses Mannes! Er war künftig machtlos dem Volke gegenüber, wenn ein solcher Flecken an seinem Namen haften blieb.

„Hast Du – hast Du die Maßregeln ausgeführt, von denen Du mir schriebst?“ fragte der Graf plötzlich. Die Frage kam bebend und leise von seinen Lippen und er wandte sich dabei nicht um, um dem Auge des Bruders begegnen zu müssen.

„Ich habe!“ erwiderte dieser ruhig. „Das Hochgebirge war seit drei Tagen abgeschnitten von uns, erst seit gestern sind die Wege wieder passirbar, ich habe das sofort benutzt, um einen Boten hinaufzusenden. Er bringt Benedict meinen Befehl, N. unverzüglich zu verlassen und nach dem Kloster abzureisen, das ich ihm bezeichnete. Der Bote muß ihn gestern noch erreicht haben, und jetzt ist er jedenfalls schon auf dem Wege nach seinem neuen Bestimmungsorte.“

„Und nach welchem Kloster hast Du ihn gesandt?“ Es klang durch die Frage wieder etwas von der früheren Angst hindurch.

„Ottfried, die Angelegenheit liegt in meinen Händen,“ sagte der Prälat kalt, „laß sie mich auch allein zu Ende führen. Es handelt sich jetzt nur darum, Benedict fern zu halten, und zu verhindern, daß man ihn zu einem Zeugniß herruft, ich werde es verhindern – wegen des Weiteren frage mich nicht.“

Mit einem schweren Seufzer ließ sich der Graf wieder nieder. Sein Bruder hatte richtig gerechnet, er ließ den einst so leidenschaftlich vertheidigten Schützling widerstandlos in seinen Händen – der Schlag hatte zu hart getroffen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_237.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)