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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

befehlen zu lassen. Um nicht seinem Familienfest sehr mögliche Störungen zu bereiten, gab Herr Garbe dem Verlangen ohne Widerstand nach.

Man sollte nun denken, die eine Rücksicht wäre – unter gebildeten Nationen – der anderen werth. Anders dort. Plötzlich gefällt es einem Buchhändler in der belebtesten Straße der Stadt, der Calle del Cabo, ein Schmähbild auf Kaiser Wilhelm, den Reichskanzler und Moltke auszuhängen. Empört über die Verhöhnung, die man damit sich vor der hiesigen und anderen fremden Bevölkerung gegen die Deutschen erlaubt, forderten diese nun ihren Generalconsul Pius auf, die Beseitigung des Schmähbildes zu veranlassen. Diesmal war’s jedoch etwas Anderes. „Carricaturen seien straffrei,“ hieß es – „wer etwas auf sich halte, müsse solche Sachen mit Stillschweigen übergehen,“ wurden die deutschen Bürger belehrt und ihnen ihr verrathenes Gelüste, das Schmähbild dem Reichskanzleramt zu übersenden, mit der Deutung verwiesen, daß dazu denn doch erst „die Vermittelung des Ministerresidenten in Santiago“ gehöre.

So müssen denn die Deutschen den französischen und sonstigen Hohn über sich ergehen lassen und die Faust in der Tasche machen, fast wie zu des seligen Bundestags Zeiten.

So weit die Mittheilung. Wir gestehen, daß auch wir hier ein großes Gewicht auf die französische Carricaturen-Kinderei nicht legen – ein um so größeres jedoch auf die Erscheinung, daß der Deutsche draußen sich als Deutscher fühlt, und aus Ehrgefühl für das Reich nicht die geringste Unbill mehr dulden will.

Dieses Gefühl sollte allerdings von Reichswegen gepflegt werden, und ebendeßwegen ist es ebenfalls ein Aergerniß der Deutschen in Chili, daß in der Hafenstadt Concepcion, wo sehr tüchtige deutsche Männer wohnen, noch jetzt der deutsche Consul ein Engländer ist.




Die deutsche Tagespresse im französischen Krieg. Niemand kann unserer Presse den Vorwurf machen, daß sie während unseres großen Krieges nicht ihre Schuldigkeit gethan habe. Von ihrer Rührigkeit in der Benutzung aller zugänglichen Quellen, und ihrer Sorge, durch eigene Berichterstatter die gerechten Ansprüche ihrer Leser möglichst rasch befriedigen zu lassen, zeugten damals alle Zeitungen von Bedeutung selbst und zeugen jetzt die zahlreichen Berichtsammlungen in selbstständiger Buchform. Auffällig war es allerdings gleich vom Beginn des Krieges an, daß die englischen Correspondenzen rascher und mit augenscheinlich reicherem Material in die Oeffentlichkeit gelangten, als die meisten deutschen, und man war von manchen Seiten geneigt, die Schuld dieser das erregte Nationalgefühl verletzenden Erscheinung irgend welchem Mangel an Beweglichkeit, Sachkenntniß und dergleichen der Deutschen zuzuschreiben. Jetzt, wo der ganze Krieg hinter uns liegt, braucht auch die wahre Ursache nicht mehr verschwiegen zu werden: es ist dies die Bevorzugung der englischen Berichterstatter vor den deutschen, und zwar mit sehr wenigen Ausnahmen letzterer. Während die meisten deutschen Journalisten sich hinsichtlich ihrer Ausgaben nach ihrem deutschen Deckchen strecken mußten, trat der englische mit Hülfe seiner Mittel als großer Herr auf und wurde als solcher behandelt. Ihm öffneten sich die Hauptquartiere und selbst die herrschaftlichen Tafeln, er konnte seine Berichte aus den ersten Quellen schöpfen und überall hoch zu Roß selbst dabei sein, während dem deutschen die schwere Aufgabe zufiel, die Gelegenheit zum Beobachten sich erst mühsam zu erringen, wenn nicht das Glück ihn in diesem oder jenem höheren Officier einen Protector finden ließ. Diejenigen, welchen dies gelang, stehen im Werthe ihrer Berichte ebenbürtig neben ihren englischen Collegen und hinsichtlich ihrer historischen Treue wohl auch über ihnen.

Zu diesen Bevorzugten gehört A. Zehlicke, der Kriegsberichterstatter der Schlesischen Zeitung, der seine Berichte jetzt ebenfalls zusammengestellt hat zu einem Werke: „Von Weißenburg bis Paris. Kriegs- und Siegeszug der deutschen Heere in Frankreich 1870–1871“. Wenn ihm auch von der höchsten Armeeleitung keinerlei Berücksichtigung zu Theil wurde, so kamen ihm doch nicht wenige höhere Officiere mit Freundlichkeit entgegen, und namentlich hatte er sich bei den Baiern der anerkennenswerthesten Förderung in seinem schweren Berufe zu erfreuen. Und es bewährte sich abermals, daß die Presse ihre Wohlthäter am würdigsten zu belohnen weiß. Die Kämpfe der Baiern haben in dem vorliegenden Werke eine an Vollständigkeit, Klarheit und Wärme so musterhafte Darstellung gefunden, wie sie ihnen von keiner andern Seite mit größerer Gewissenhaftigkeit zu Theil geworden ist. Uebrigens hat der Verfasser seine Berichte durch die vorliegende Verarbeitung zu einem Buch nicht nur zu einer Quelle für die Geschichte, sondern selbst zu einem gediegenen Stück Geschichte dieses Krieges gemacht.




Wilhelm Bauer’s Pensionat ist eine Unmöglichkeit geworden. Trotz der erfreulichen Theilnahme, die sich abermals für ihn und seine Bestrebungen und Leistungen erwiesen, muß er auch diesen letzten Versuch, durch völlige Preisgebung seiner Erfindungen an treue und tüchtige Schüler der Submarine die Nutzbringung derselben zu retten und sich dem Vaterland verdient zu machen, für immer aufgeben, weil seine Gichtkrankheit zu unerbittlich am Rest seiner Kräfte zehrt und der Körper dem noch rastlos fortschaffenden Geist jeden Dienst versagt.

So übernehmen wir denn die traurige Pflicht, den „Aufruf für W. Bauer’s Pensionat“ auf des armen Kranken Wunsch hiermit zurückzunehmen. Abermals spielt vor unseren Augen ein so groß angelegtes Schicksal sich in einem tragischen Ausgang ab. Wer hätte bei dem Wagniß, das ihn im Kieler Hafen lebendig auf dem Meeresgrund begrub, und seiner wunderbaren Rettung, wer bei dem deutschen Triumph, den die ganze Nation bei der Hebung des „Ludwig“ aus dem Bodensee mitfeierte, wer noch bei dem Gelingen der Geschoßwirkung in der Tiefe des Starnbergersees an den so frühen Schluß der Thaten einer Manneskraft gedacht, die unverwüstlich erschien? Mögen Alle, die an seinen Ehren sich einst mitgefreut, jetzt auch dem Unglücklichen ihre Theilnahme nicht versagen. Seine Ehre bleibt immerdar auch eine deutsche Ehre!




In Chicago bilden, wie ein Geschäftsfreund uns schreibt, noch immer die Branderlebnisse der Einzelnen unerschöpfliche Stoffe der Unterhaltung. Man braucht nur zwischen den Leuten auf den Straßen und Plätzen zu horchen, immer kommt man mit einem neuen Vorrath von Schreckniß- und Rettungsvariationen nach Hause. Eine Haupteigenthümlichkeit besteht darin, daß fast alle Flüchtenden von den Ihren getrennt und erst nach Tagen und Wochen vom Zufall wieder zusammengeführt worden sind. Die Scenen auf der Prairie, wo gegen fünfzigtausend Menschen übernachteten, spotten aller Beschreibung: weder Essen noch Trinken, kein Obdach, dazwischen Niederkünfte und Sterbefälle, Verzweifelnde und Betrunkene, Aufopferungen und Diebstähle, Alles durcheinander!

Die ungeheuere Brandstätte ist bereits zu Zweidrittel von Schutt und Brandtrümmern aufgeräumt und schon Anfang Februar standen über zehntausend Holzhäuser in Reih’ und Glied da. Diese rasche Bauerei hatte ihre besondere Bewandtniß. Im Stadtrath schwebte nämlich eine Verordnung, kraft welcher überhaupt in Chicago keine Holzhäuser mehr gebaut werden sollten. Um das zu umgehen, machten die Deutschen sich am Sonntag in aller Frühe an die Arbeit und bauten mit so tüchtigen und zahlreichen Kräften, daß am Abend Tausende von Gebäuden dastanden. Während des Sonntags durfte kein Verhaftsbefehl gegen sie ausgeführt werden, und eine fertige Thatsache läßt sich nicht so geschwind wieder wegdisputiren. Aber eine solche Arbeit würde trotz aller Kräfte dennoch unmöglich gewesen sein ohne die praktische amerikanische Einrichtung, daß man alle Theile eines Hauses, von dem Dachziegel und von Thür und Fenster bis zum Fußboden und Treppe, fix und fertig und in außerordentlichen Vorräthen zu kaufen bekommt. Man braucht die Bestandtheile eben nur zusammenzustellen, und das fördert.

Ein Architekt hat, wie er unserm Gewährsmann selbst versichert, für dieses Frühjahr den Bau von sieben (englischen) Meilen Front Bau- und Sandsteinhäuser in Contract. Mehr als drei Jahre werden nicht vergehen, so ist Chicago aus seiner Asche auferstanden und prächtiger als zuvor, – nur werden großentheils andere Leute in den Palästen wohnen, als Diejenigen, welche die Brandstätte verlassen haben.




Ein tapferer deutscher Jagd- und Kriegsmann in Nordamerika wird von seinen alten Eltern in Deutschland gesucht. Der junge Mann kann in Amerika bei seinen Leistungen, Unternehmungen und Verbindungen unmöglich so verschollen sein, daß, wenn nicht er selbst, doch auch nicht eine Spur seines Schicksals sollte aufgefunden werden können. Richard Gantzer aus Tochheim an der Elbe im Anhaltischen segelte am 13. April 1861 nach Baltimore ab und arbeitete auf einer Farm in der Nähe von St. Louis, bis der Bürgerkrieg ausbrach, der ihn in das Heer der Union zog. Er diente erst unter dem General Sherman, dann unter Grant; unter ihm hatte er auch sein Officierexamen bestanden. Nach Beendigung des Kriegs wollte er seine Eltern in Deutschland mit einem Besuche erfreuen; statt seiner kam aber die Nachricht, daß er sich in Canada angekauft habe. Seine dortige Farm verpachtete er jedoch ebenso rasch, um seiner Jagdlust in Afrika zu fröhnen. Die Küste dieses Erdtheils vor Augen scheiterte das Schiff, er selbst ward gerettet und von einem andern Schiffe nach Amerika zurückgebracht. Hier verkaufte er seine Farm, heirathete eine Amerikanerin, die Tochter eines Ohio-Steamercapitains, der eine große Plantage auf Aash-Hand, einer Insel an der Ohio-Mündung, besitzt, und siedelte nach Paducah in Kentucky über. Sein letzter Brief ist am 10. September 1866 von Moundlitz aus geschrieben.




Ein Apostel der Wahrheit: Vater Uhlich ist todt! Wenige Wochen nachdem sein dreiundsiebenzigster Geburtstag in der Mitte seiner freien Gemeinde zu Magdeburg, die ihn zugleich als eben Genesenden von schwerer Krankheit begrüßte, freudig gefeiert worden war, ist der alte tapfere Kämpfer für immer vom Kampfplan geschieden. Heil ihm! Er hat noch am Lebensabend das Morgenroth einer neuen deutschen Zeit gesehen, ja, sein brechender Blick fiel noch auf das beginnende Ermannen des Staats gegen die Uebergriffe der finsteren Mächte, denen derselbe so lange zur Unterdrückung der lichtstolzen Geister den Arm geliehen. Wahrlich, die Sünden, welche die nun beseitigte geistliche Ministerherrschaft allein gegen Uhlich verbrochen, reichten hin, sie vor der vorwärtsstrebenden Welt zu richten. Sie haben ihm sein freies Amt schwer gemacht, sie haben ihn oft und tief gedrückt, aber nimmer zu beugen vermocht, aus jeder Verfolgung ging er als Sieger hervor. So bescheiden er selbst im Leben war, jedem persönlichen Hervorheben fremd, so hoch wird man den Mann ehren, nun er todt ist und die Gerechtigkeit daran geht, die Summe seines Wirkens zu ziehen. Er gehört zu Deutschlands großen Todten.




Ein sechsundachtzigjähriger Schill’scher in Noth. Es wird uns ein Ausschnitt der Königsberger Hartung’schen Zeitung zur Aufnahme eines Artikels zugesandt, welcher erzählt, daß in Allenburg der Schill’sche Veteran Moske lebe, der, früher Rittmeister beim Landsturm, im Jahre 1870 die Chausseegeldhebestelle in Neumühl bei Allenburg mit der Pension von zusammen sechs Thalern monatlich, abzüglich drei Thaler fünf Silbergroschen für Miethe, Classen- und Gewerbsteuer, quittirt habe. Man wünscht nun, daß dem bedürftigen Heldengreise der Abend seines Lebens verschönt werde. Das ist gewiß ehrenwerth, – aber ist’s denn nicht eine Schande für die ganze Provinz Ostpreußen, daß sie überhaupt den vielleicht Aeltesten und Letzten von Schill’s Corps so lange mit einer solchen Pension hat hungern lassen? Und wenn man endlich an seine Pflicht denkt, soll der Klingelbeutel wieder durch ganz Deutschland und womöglich „so weit die deutsche Zunge klingt“ läuten? Wann wird man sich endlich schämen, für jede kleine Localnoth die große Vaterlandsglocke in Bewegung zu setzen?




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