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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Kärtchen dargestellt, welches dem des Professor Heis in Münster, dessen Forschungen wir überhaupt diese Mittheilungen verdanken, nachgebildet ist, aber nur das für unsern Zweck Nothwendigste enthält. Die Längengrade sind vom Meridian von Greenwich (Sternwarte in der englischen Grafschaft Kent) aus gezählt.

Wie man sieht, steigt unsere Linie, vom Südpol kommend, anfangs ziemlich genau nördlich, biegt sich dann östlich von Neu-Seeland allmählich immer mehr nordwestlich und läuft so auf der Ostseite von Neuholland an den Hebriden und Neu-Guinea vorüber bis in’s chinesische Meer, macht aber hier, wo sie am weitesten westlich vordringt, nach Norden und Westen gekrümmt eine Schleife, welche Celebes und Borneo südwestlich liegen lassend, sich um die östlich bleibenden Philippinen herumschlingt, und geht nun nordöstlich gebogen auf der Ostseite der japanischen Inseln an diesen vorbei hinauf in die Behringstraße, aus welcher sie, die Küste des asiatischen Festlandes streifend, wieder zu rein nördlicher Richtung umbiegend, dem Nordpole zugeht.

Wenn östlich von dieser Linie Sonntag der Erste eines Monats ist, so ist an allen Punkten westlich von ihr bereits Montag der Zweite, wie wir dies angedeutet haben. Sie liegt, wie die Karte zeigt, fast ganz im Meere und schneidet jeden der ihr begegnenden Meridiane in zwei Punkten.

Wenn nun ein Schiff, das die Reise um die Erde macht, in seiner Zeitrechnung mit dem Abgangshafen übereinstimmen soll, so ist es nothwendig, wenn die Fahrt nach Westen geht, unterwegs einen Tag fortzulassen, wenn die Reise aber nach Osten gerichtet ist, einen Tag nach Datum und Namen doppelt zu zählen. Dies müßte nun eigentlich beim Passiren der Linie des Datumwechsels geschehen. Indeß ist es bei den Seefahrern gebräuchlich, diese Correctur beim Ueberschreiten des hundertachtzig Grad von Greenwich gelegenen Meridians anzubringen, an den, wie aus unserer Karte ersichtlich, die nördlichen und südlichen Schenkel der Datumscurve sich ziemlich eng anschließen.

Kommt also z. B. ein Schiff von Osten her und passirt es den genannten Meridian Sonnabend den 15. Juli, so wird man im Schiffsjournal am nächsten Tage Montag den 17. Juli schreiben, so daß es also auf dem Schiffe in dieser Woche keinen Sonntag und keinen 16. Juli giebt. Kommt aber das Schiff aus der entgegensetzten Richtung, so erhält dann in der Schiffsrechnung der auf den 15. Juli folgende Tag ebenfalls die Bezeichnung „Sonnabend den 15. Juli“ und das Schiffsjournal enthält dann hinter einander die Tage: „Freitag 14. Juli, Sonnabend 15. (I) Juli, Sonnabend 15. (II) Juli, Sonntag 16. Juli.“ –

Wegen der eigenthümlichen Krümmung der Scheidelinie kann es übrigens auch vorkommen, daß zwei, in nicht zu großer Entfernung von einander, aber zu beiden Seiten der Trennungscurve liegende Orte zeitweilig um zwei Tage im Datum von einander abweichen. So haben z. B. Manila und die Insel Gilolo (nordwestlich von Neu-Guinea) nur eine Zeitdifferenz von einer halben Stunde: Manila liegt aber östlich, Gilolo westlich von der Datumlinie. Wenn es nun in Manila Sonntag den 15. Nachts 11 Uhr 30 Minuten ist, so hat man in Gilolo Nachts 12 Uhr, aber schon Montag den 16., da Gilolo auf der andern Seite der Datumscheide liegt. Nur eine Minute später ist in Manila Sonntag den 15. Nachts 11 Uhr 31 Minuten, in Gilolo aber schon Dienstag der 17. früh 12 Uhr 1 Minute! –

Schließlich wollen wir noch bemerken, daß es auf unserer Datumscurve, da sie mit keinem Meridian zusammenfällt, an der Stelle, wo sie sich am meisten nach Osten krümmt, einen Punkt geben muß, welcher die Sonnenstrahlen täglich zuerst erhält, an welchem also ein bestimmtes Datum zuerst beginnt und wo also beispielsweise zuerst auf der ganzen Erde das neue Jahr anbricht. Diesen Punkt könnte man den „Neujahrspunkt“ nennen. Derjenige bewohnte Ort, welcher diesem Punkte entspricht, ist die östlich von Neuseeland gelegene Chatham-Insel (etwa 183 Grad östlich von dem Meridian von Greenwich und in 44 Grad südlicher Breite). In diesem Punkte sind uns daher die Chatham-Insulaner voraus!

So haben wir also in dieser merkwürdigen Linie eine in den mathematisch-geographischen und culturhistorischen Verhältnissen unserer Erde begründete internationale Zeitscheide kennen gelernt, an die wohl bisher auch mancher gründlicher Gebildete nicht gedacht hat. –




Blätter und Blüthen.


Zum Ergrauen des Haupthaares. Unter den mir mitgetheilten Fällen ungewöhnlicher Ergrauungsverhältnisse verdienen folgende drei allgemein bekannt zu werden.

1) Ein Mitglied der deutschen Gesandtschaft in Petersburg schreibt: „Ein Bekannter von mir, der bereits gestorben ist, dessen wahrheitsgetreue Aussagen ich aber wie meine eigenen verbürgen möchte, ein Mann von rüstiger Gesundheit und Frische, mit starkem hellblondröthlichem Haar, war leidenschaftlicher Jäger und befand sich vor acht Jahren (er war damals einunddreißig Jahre alt) eines Tages zu Boot auf der Entenjagd im Kurischen Haff. Hier erhob sich gegen Abend plötzlich ein starker Sturm vom Lande her; er war allein im Boot, verlor unglücklicher Weise ein Ruder und befand sich nun, bei hochgehenden Wogen in der Unmöglichkeit, das Ufer zu erreichen, in höchster Lebensgefahr. Da zeigte sich ihm plötzlich ein dünner schwankender Pfahl im Wasser (wahrscheinlich die Marke für ein Fischernetz); er ergriff denselben, klammerte sich an ihm fest und hielt auf diese Weise sich selbst und das Boot. In dieser Stellung nun, jeden Augenblick gewärtig, daß Wind und Wellen das Boot doch fortreißen würden, und unter Aufbietung aller ihm möglichen Kraft der Neigung zum Erlahmen widerstehend, verbrachte er die ganze lange Nacht, bis endlich am Morgen der Landwind aufhörte und es ihm gelang, mittelst des Seewindes das Ufer zu erreichen. In dieser Nacht, erzählt er, sind ihm die meisten seiner Kopfhaare erbleicht, und wer, wie ich, seine Aufrichtigkeit und Biederkeit kannte, wird in seine Mittheilung keinen Zweifel setzen.“

2) Ein hiesiger namhafter Portraitmaler schreibt mir: „Ich hatte in meiner Jugend Zeichenunterricht bei einem Herrn Bendig, damals meiner Schätzung nach ein hoher Vierziger. Er war eigentlich Kupferstecher, hatte es aber in dem Fache zu nichts Besonderem gebracht; die Zeit, in der ich seinen Unterricht genoß, war auch keine solche, in der Kupferstecher von ihrer Kunst leben konnten (zwischen 1814–1818) – deshalb gab er Zeichenunterricht. So oft ich Stunde hatte, zweimal in der Woche, immer mußte ich sein Haar bewundern. Es ward auch viel darüber gesprochen und er hatte ein Gefallen daran, daß er der einzige Mensch sei, dessen Haar in so eigenthümlicher Weise weiß wurde. Es machte den Eindruck wie graumelirtes Haar und an jedem einzelnen wechselten, soviel ich mich mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_215.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)