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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Geschöpfe noch möglich, seine Gattung von Geschlecht zu Geschlecht fortzupflanzen; denn sein einziger Verfolger, der natürlich auch hier nicht ausbleibende Mensch, hat in diesem sonst noch unentweihten Stück heiliger Natur doch noch nicht so weit Fuß gefaßt, um die Existenz des ihm an physischer Kraft mehr als ebenbürtigen Gegners in Frage stellen zu können. Dem mithausenden Gethier aller Art aber bleibt der Gewaltige unter allen Umständen Gebieter, denn selbst die ihm zunächst Mächtigsten, Fuchs und Wolf, mögen trotz ihrer heißen Blutgier doch füglich nur als dessen

Petz auf der Suche.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

scheue Vasallen betrachtet werden. So kann sich denn der zottige Alleinherrscher so ziemlich sorglos in seinem Wald- und Felsenreiche umhertreiben und selbst ohne große Gefahr die in den sonnigsten Thälern vereinzelt gelegenen Felder der dort angesiedelten, meist waffenlosen Hüttenbewohner besuchen, hier sich an Pflanzenkost, als Kukuruz, Hafer oder auch Obst, nach Herzenslust zu laben, welche Leckereien er, wie die im Walde wachsenden saftigen Beeren, süßen Wurzeln, Haselnüsse und schmackhaften Knospen, neben genügender Fleischnahrung, ganz besonders liebt. Außerdem weiß der plumpgestaltete Feinschmecker auch den aromatischen Honig der wilden Bienen mit Geschick aufzufinden und zu heben, und sich daran ein köstliches Mahl zu bereiten. Minder harmlos verlaufen seine Wechsel, wenn er dabei auf eigentlichen Raub ausgeht. Hierbei verschont der grimme Bursche nicht nur keine Creatur der weiten Wildbahn, soweit er ihrer nur habhaft werden kann, sondern auch Hausthiere aller Art, das Schaf aus der Heerde und das nach Ecker- und Buchelmast suchende Schwein, werden dem Anschleichenden zur Beute; nicht minder das grasende Pferd am nahen Gehöfte, wie auf hoher Alm das weidende Rind. Doch nicht nur selber geschlagenen Raub, sondern auch den bequemeren Fund, wenn er zum Beispiel auf die Fährte eines angeschossenen und verendeten oder im Kampfe mit seines Gleichen gefällten Wildes, etwa eines Hirsches, kommt, verschmäht der lüsterne Patron keineswegs, verzehrt vielmehr ohne Zögern solch’ willkommene Beute. Doch schleichen wir dem einsiedlerischen Murrkopf einmal auf einem derartigen Gange nach.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_212.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)