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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

gedacht, von ihr in meinen Phantasien geträumt, und dieser unscheinbare Fremdling hier vor mir, den ich verspottet, den ich als gänzlich unwerth in der hehren Kunst der Töne erachtet hatte, er war es, dessen Händen diese Wundertöne entströmten, welche meine Sinne in ehrfurchtsvollem Schauer erbeben ließen, mich hinrissen zur Begeisterung, zur reinsten Erkenntniß der Allgewalt einer Schöpfung, welche dem Himmel seine Freude, der Hölle ihre Pein entnommen hatte!

Noch ein letztes ergreifendes Finale, ein markerschütternder Accord und der Fremde hatte sein Spiel beendet.

Zögernd, ängstlich, beklommen, trat ich an ihn heran, all mein Uebermuth war gebrochen. „Wer sind Sie, mein Herr, daß Sie so zu spielen verstehen?“ brachte ich nur zögernd hervor.

„Ein armer reisender Musikus, der in Venedig sein Glück versuchen will,“ antwortete der Fremde lächelnd.

„Auch wir gehen nach Venedig,“ antwortete ich freudig überrascht, „können wir Ihnen dort mit irgend einer Anempfehlung nützlich sein, dann wenden Sie sich an uns, wir haben in Venedig einflußreiche Bekannte.“

Ich nannte ihm den Namen meiner Tante, er verbeugte sich dankend.

„Sollte ich je in die Lage kommen, fremde Hülfe in Anspruch nehmen zu müssen, mein Fräulein, dann will ich Ihrer freundlichen Worte gedenken, Ihr liebenswürdiges Anerbieten mit Dank annehmen. Bis dahin aber bitte ich Sie, dem Fremdling nicht zu zürnen, der es gewagt, einen offenen Tadel über die Fehler Ihres Spiels auszusprechen.“

Der Fremde reichte mir bei diesen Worten seine Hand. Wie unbewußt ruhte die meine einen Moment in derselben. Dann verließ er hastigen Schrittes das Zimmer, nachdem er noch einen anscheinend sehr werthvollen Pelz um die Schultern geworfen. Wenige Minuten nachher hörte ich ein Posthorn schmettern.

Der Fremde war abgereist, und erst jetzt fiel mir ein, daß ich ja nicht einmal seinen Namen wußte. Der Wirth konnte mir denselben vielleicht nennen. Ich täuschte mich; auch er konnte mir nichts über den Fremden mittheilen, der erst vor einer Stunde angekommen, nur eine kleine Erfrischung zu sich genommen hatte und wieder abgereist war.

Ich weiß selbst nicht, warum ich den ganzen Abend an das wunderbare Spiel des Fremden denken mußte, warum ich beschämt mir eingestand, welch mädchenhafter Eitelkeit ich mich hingegeben, als ich wähnte, des Fremden Fehler rügen zu können. Meine Tante war etwas ungehalten über mich, als ich ihr erzählte, daß ich dem Fremden ihre Protection zugesichert, und meinte, man setze sich nur der Gefahr aus, daß solch ein reisender Musikus ein solches Anerbieten mißbrauche.

Venedig, die Stadt der Wunder, die Heimath des romantisch Schönen, geheimnißvoll Dunkeln, hatte uns aufgenommen. Venedig mit seinen düstern Palästen, von denen jeder Stein oft zum schreckensvollen Zeugen großer Thaten, schaudervoller Momente geworden ist. Venedig mit seinen stolzen Prachtbauten, seinen antiken Marmorbildern, seinem wundervollen Canale grande, seiner grünen Wellenflur, mit seinen berückenden Schönheiten der Gegenwart wie der Erinnerung, hatte uns gastlich seine Thore geöffnet. Wir hatten die Meisterwerke eines Titian und Tintoretto bewundert, waren in Erstaunen und Entzücken vor den Gemälden Veronese’s und Bassano’s, in den vergoldeten Sälen des Dogenpalastes gestanden; die berühmten Namen der Balbi, Cornari, Giustiniani, Dandolo, Morosini, Grimani, Pisani waren aus dem Schutt und Moder der Verwesung, in die herrlichen Farbentöne der größten Maler getaucht, uns entgegengetreten, und mit ihnen hatten wir einen Einblick gethan in die Geschichte der Großthaten der venetianischen Republik. Lucrezia Borgia war beim Ueberschreiten der Rialtobrücke vor uns aufgetaucht, einem Schattenbilde gleich; ragt doch noch heute der Palast Bembo unweit derselben stolz in die Lüfte, und dort war ja die Wohnung Peter Bembo’s, des Geliebten Lucrezia Borgia’s. Auch dem letzten Dogen von Venedig, der eine so traurige Berühmtheit erlangte, weihten wir eine Stunde der Erinnerung, als wir seinen Palast erblickten, und diesen Eindruck überwog nur der Besuch der Bleikammern im Justizgebäude nächst dem Dogenpalast, unter deren Dächern Tausende geschmachtet hatten, Tausende in Angst vergangen waren. Die Seufzerbrücke, über die so mancher bebende Fuß geschritten, mahnte uns an die düster schaudervolle Vergangenheit der ewig schönen Venezia.

Erst als das Ueberwältigende der ersten Eindrücke vorüber war, überließen wir uns dem geselligen Leben, und meine Tante, welche viele Familien Venedigs kannte, ward mit Einladungen überhäuft. Daher kam es auch, daß wir von einer angesehenen deutschen Familie für den Christabend zur Feier des heimischen Christbaumes eine Einladung erhielten, der wir freudig nachkamen.

Die Räume des gastfreien Hauses waren an jenem Abend von Gästen gefüllt, und Alles schaarte sich um den buntgeschmückten, duftenden Tannenbaum mit seinen zahllosen Lichtern, seinen bunten Vielfältigkeiten. Eine heitere Lebendigkeit machte sich in der Gesellschaft bemerkbar, und Gäste sowohl als Gastgeber freuten sich der erfrischenden Geselligkeit.

Da ging plötzlich ein geheimnißvolles Flüstern von Mund zu Mund durch den Saal. Ein Name ward genannt, groß, berühmt, ein strahlender Künstlername. An der Seite des Hausherrn schritt der soeben eingetretene Gast durch die Menge, und ihm galt das Flüstern, die Neugierde der Anwesenden. Auch meiner bemächtigte sich der leicht erklärliche Wunsch, den größten Tonkünstler seiner Zeit kennen zu lernen, und als ob das Schicksal meinen Wunsch erfüllen wollte, so lichtete sich der Kreis der Menge und der Hausherr trat an meine Tante und mich heran, an seiner Seite sein angesehener Gast.

„Herr Giacomo Meyerbeer bittet mich, ihn den Damen vorzustellen,“ sagte der Hausherr lächelnd.

Erröthend, zitternd, fassungslos stand ich neben der Tante, denn wer beschreibt mein Erstaunen, als ich in dem großen Maestro meinen kleinen Schullehrer von Palmanuova erkannte! Doch rasch, mit freundlichem Lächeln half mir der große Künstler über meine leicht verzeihliche Befangenheit hinüber, und von jener Zeit an ward er mir ein naher, aufrichtiger Freund.

Daß ich bei der ersten Aufführung der „Hugenotten“, zu welcher der große Meister nach Venedig gekommen war, um die Partitur selbst zu leiten, nicht fehlte, dürfen meine geehrten Leser mir glauben. Am Morgen des Christtages aber erhielt ich einen wundervollen Blumenstrauß, welchem ein Clavierauszug der „Hugenotten“ beigelegt war. Darin stand von Meyerbeer’s Hand geschrieben:

„Ein halber Bär kann man wohl sein, aber deshalb doch an dem Talente Anderer sich erfreuen.“




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 34. Der Bär.
Von Guido Hammer.


Man wird wohl behaupten dürfen, daß das größte europäische Raubthier, der Bär, aus allen Wäldern und Klüften zwischen Pyrenäen und Karpathen definitiv vertrieben sei. Dies hat natürlich die mehr und mehr um sich greifende, alles Ursprüngliche siegreich bekämpfende Cultur bewirkt, von welcher selbst die theilweise für Menschen heute noch unzugänglichen Schluchten und Waldschlupfwinkel in der Schweiz, in Steiermark, Tirol und dem baierschen Hochgebirge, wo dieses mächtige Raubthier allenfalls noch beschränkte Zuflucht fände, doch so eng umgürtet sind, daß auch diese wilden Oasen nicht mehr als eigentliche Heimstätten des Vertriebenen angesehen werden können. Hingegen da, wo der granitene Kamm des karpathischen Hochgebirges die sogenannte ungarische Schweiz, die Marmarös, mit ihrem über dritthalbhunderttausend Joch großen, Berg und Thal bedeckenden Urwalde überragt – da ist zur Freude aller Waidmannsherzen zunächst noch Freund Petz in voller Unbeschränktheit zu finden.

Hier, im tiefsten Innern unwirthlicher Waldeinsamkeit, die noch kein Schall vernichtender Axtschläge und nur selten der dröhnende Schuß einer Büchse durchhallt, ist’s dem reckenhaften

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_211.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)