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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Im Jahre 1834 folgte er der allgemeinen Conscription und wurde hierdurch in ein westphälisches Infanterie-Regiment eingereiht, das in Köln und Münster Garnison hatte. Dieses Ablösen von seiner heimischen Scholle war für den schüchternen Landmann von unberechenbarem Vortheil, denn es erschloß sich ihm die Welt; er lernte die Menschen, lernte unsere großen Dichter kennen, und zum ersten Male schaute er voll Entzücken in das Allerheiligste der Kunst, wodurch nun seine Seele erst recht befruchtet werden sollte.

Mit mächtigen Eindrücken, ein ganz neuer Mensch, kehrte er nach seiner Dienstzeit auf den stillen Hof, in die liebe Heimath zurück. Sein Vater hatte inzwischen das Gut mit allen Sorgen und Arbeiten dem ältesten Sohne übertragen, und unserm jungen Freunde blieb nur die Wahl, entweder bei seinem Bruder in Dienst zu treten, oder sich sonst wo in Dienst zu verdingen. In seiner Heimath gilt nämlich noch das Recht der Erstgeburt, das dem ältesten männlichen Sprossen des Stammes den Besitz der sämmtlichen Liegenschaften nach dem Abgange des Vaters zuerkennt, während die anderen Kinder ihren Lebensweg nach Gefallen suchen, nicht selten gehemmt von der Fessel, die durch das alte Erbgesetz an Geist und Körper haftet.

Mintrop blieb als Knecht bei seinem Bruder, denn er liebte den Boden, auf dem er geboren, zu sehr, und wollte das Glück einer Heimath gern mit dem rinnenden Schweiße des Angesichts verdienen. Und redlich schaffte er in dem Tagewerke, das ihm in immer schwerer Weise jeder neue Morgen brachte. Aber dazwischen gab es freie Sonntage, stille Abende, und da trat die Muse leichtgeschürzt in sein Kämmerlein und schaute ihn mit großen Augen freundlich an. Bald hieß er im Umkreise seiner Heimath nur „der Maler“, denn staunenerregend war hier und da, ohne daß es sein Wille gewesen, ein Bild von ihm in Kreide oder Wasserfarben zur Kenntniß des Landvolks gelangt und manche schmucke Maid sah ihn noch freundlicher an, als seine Muse.

Am glücklichsten waren aber durch ihn die Mitbewohner des Hofes, wenn er ihnen an den langen Winterabenden Gedichte von Goethe und Schiller vortrug, oder aus des großen Briten Werken: Hamlet, Macbeth und König Lear Vorlesungen hielt. Da stockte den Mädchen am Spinnrad der Athem, den Männern ging der Brand der Pfeife aus, denn bei seinem Leben nahmen die Gestalten des Dichters Fleisch und Bein an, die Jeder deutlich zu sehen vermeinte.

So gingen Jahre vorüber. Was die Sehnsucht nach dem vollen ganzen Künstlerleben im Stillen an dem geweihten Menschenkinde verzehrte, das ersetzte freilich die kräftigende ländliche Beschäftigung und die heilsam wirkende Natur. Aber doch war er auf dem Wege mit sich selbst zu zerfallen, denn er war schon ein „alter Knecht“ geworden, Vater und Mutter waren heimgegangen zu ihren Vätern, die Hoffnung, ein Künstler zu werden, war längst in einem Aschenhäuschen zusammengebrannt und das Gefühl der Besitzlosigkeit und Abhängigkeit hing trauerschwer und düster vor der Zukunft. Doch gerade in diese seine trübe Stimmung fiel für ihn das Sonnenlächeln des Glücks und die endliche Erlösung.

Es war im October des Jahres 1844. Der Himmel goß seinen ganzen Glanz auf das Sterbekleid der Natur. Die Wandervögel zogen von dannen und unser Freund war mit seinen blanken Pferden und der Pflugschar auf dem Acker, um diesen umzustürzen. Seine Seele war von Wehmuth voll, er sah den abziehenden Wanderschwärmen im blauen Aether seufzend nach und gewahrte nicht, was sonst um ihn sich bewegte. Da trat ein Fremder zu ihm heran, mit dem er bald im tiefen Gespräch war. Dieser, sein nachmaliger unzertrennlicher Gefährte und Freund, der Genremaler Eduard Geselschap, hatte bei einem Ausfluge nach der Ruhr von dem seltenen Genie gehört und wollte sich überzeugen, wie weit der Volksmund die Wunder übertrieb, die man an Mintrop gepriesen hatte. Wie staunte er aber, als er nun die ohne jegliche Hülfe, aus dem freien Zuge des Geistes entstandenen, in der That großartigen Blätter des schlichten Landmanns sah! Es war genug für den Kenner, um den durch sein Lob beglückten, bescheidenen Autor dringend aufzufordern, den Pflug zu verlassen und für immer ein Jünger der Kunst zu werden. Bei Mintrop war kein Kampf mehr nöthig, er war sogleich entschlossen.

Geselschap eilte mit dem Schatze von Zeichnungen nach Düsseldorf, gewann für sie sogleich den Director der Akademie, Wilhelm v. Schadow, und einige Wochen später zog der glückliche Bauer als Schüler in die Räume der Malerschule, auf den Kampfplatz des geistigen Lebens, wo er so Viele besiegt. – Die schon verlebten dreißig Jahre fühlte er nicht; es genirte ihn auch nicht im mindesten, daß er als Mann zwischen Schülern saß, die eben dem Knabenalter entwachsen waren. Sein angestrengter Fleiß ließ jene auch bald weit hinter sich zurück, denn schon nach ein paar Jahren bezog er sein eigenes Atelier, und nun hätte er wohl mit keinem König getauscht.

Sein erstes Bild war eine Madonna mit Christus und Johannes, jetzt Eigenthum der städtischen Galerie in Düsseldorf. Das zweite Werk, „Engelständchen“, eine Kreidezeichnung, wurde durch Kupferstich vervielfältigt und ist genugsam bekannt durch die hohe Reinheit und Poesie seines Gedankens. Dann folgte wiederum eine Madonna, bestimmt als Altarbild für die Pfarrkirche seiner Heimath. Die Aufstellung dieses Bildes gestaltete sich zu einem wahren Feste für die ganze Umgegend seiner Geburtsstätte, für den tieffühlenden Künstler zu einer herzverzehrenden Trauer, daß seine Eltern diesen seinen Sieg nicht erlebt hatten.

Von zwei Madonnen und der Engelschaar also in die Kunst eingeführt, entstanden hierauf in reicher Folge die lieblichsten und großartigsten Compositionen, die den Namen Mintrop für alle Zeiten verklären und deren Zahl zu groß ist, als daß wir hier auch nur Einzelnes hervorheben könnten.

Erwähnen wollen wir an dieser Stelle nur ein noch ungedrucktes Märchen „König Heinzelmann“ in einigen sechszig Blättern, worin der Künstler sich selbst und einen Abschnitt seines Lebens darstellte, und welche einzig in ihrer Art durchdacht sind. Dieses Märchen ist im Besitze des Xylographen R. Brendamour und wartet noch auf den verständnißvollen Verleger, dem das Licht der wahren Kunst aufgegangen ist. Den Anfang dieses Märchens bildet das auch die Spitze der vorstehenden Zeilen schmückende Initial von der Hand Mintrop’s. Bis auf den kleinsten Strich des Künstlers wiedergegeben, trägt es, wie alle seine Schöpfungen, den Stempel höchster Genialität. – Die Darstellung erklärt sich, wie es ja jedes wahre Kunstwerk thun soll, von selbst. Sie ist eine Hindeutung auf den Kampf zwischen Romantik oder Poesie und Industrie, den der Inhalt des besagten Werkes in Bild und Wort schildert. – Wir sehen hier die Industrie, die herrschende Göttin der Gegenwart, triumphirend durch das Land ziehen. Ihr Thron ist der rollende Schienenwagen. Der alte Gott Mercur hat sich ihr untergeordnet, er schwebt dienstbar mit und über der siegreichen Fürstin. Ihr Haupt trägt seinen beflügelten Hut, die linke Hand seinen Stab; in der rechten schwingt sie den Beutel mit Gold. – Rasend stürmt das feuerfüßige Ungethüm vor dem langnachziehenden Wagenzuge daher, dunklen Qualm und siedende Wasserströme zugleich dem Rachen entsendend. – Aber bei dem Stöhnen des Dampfdrachen, dem Rollen der Wagen und dem jubilirenden Hochrufe der Industrie sinken die Elfen, die im Mondschein ihren Reigen tanzten, eilig in die stillen Fluthen des Weihers, Erlkönig schleicht mit dem todten Körperchen des Knaben ängstlich davon, die guten Zwerge schlüpfen erschreckt in ihre Verstecke, und nun für immer sind wohl die stillen Gründe der Wälder und Felder leer von den Gestalten der verscheuchten deutschen Poesie.

Unerschöpflich war Mintrop’s Phantasie, unergründlich sein Wesen im Guten und Erhabenen, im stillen Wohlthun und zarten Freudespenden; unerschöpflich schien auch seine physische Kraft. Dem war aber leider nicht so! Tückisch überfiel ihn gerade in der Zeit, als er im besten Schaffen war und seine Zukunft sich lichtete und sorgenfreier zeigte, ein Feind, dessen Kraft keines Sterblichen Macht gewachsen ist und welchem er für immer unterlag, nachdem er sechsundzwanzig Jahre im Allerheiligsten der Kunst, ein treuer und reiner Jünger, geschafft hatte.

Der große Krieg gegen Frankreich verschlang mit so viel anderem Weh auch den Schmerz um den Verlorenen; als aber jenes übermüthige Volk geschlagen war, da suchte man seine lieben Erinnerungen wieder vor, und Männer wie Bendemann, Knaus und Scheuren traten mit Anderen zu einem Comité zusammen, um dem Geschiedenen ein Denkmal zu errichten, das den zukünftigen Geschlechtern von seinem Grabe aus von dem

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