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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Vom Pfluge in die Akademie.


In einem Sonntage des Monats Juli 1870, wenige Tage früher, ehe der Aufruhr des Krieges gegen Frankreich durch die Gauen des Rheines und das ganze deutsche Vaterland brauste, versammelte sich in Düsseldorf zu einer Leichenfeier eine Menschenmenge, wie man sie in dieser Kunst- und Musenstadt bei gleicher Veranlassung nie zuvor gesehen hatte. Männer, Frauen und Kinder aus allen Ständen, die ganze Künstlerschaft, um ihr Vereinsbanner geschaart, hatten sich vereinigt, um einem theuren Abgeschiedenen das Ehrengeleit auf seinem letzten Wege zu geben. Den man so gefeiert dahintrug, war der geniale Historienmaler Theodor Mintrop, ein Mann und Künstler in des Wortes vollster Bedeutung, der es, wenn ihm auch Fürsten und Könige die äußeren Zeichen der Anerkennung versagt hatten, doch erreicht hatte, daß man seinem blumen- und blüthengeschmückten Sarge die Palme der Lilie, die Sinnbilder des Ruhmes und der Reinheit, beide mit gleichem Rechte vorantragen durfte.

Wie so Vielen, die nach der Hand im Reiche der Kunst oder der Poesie die vollsten und reichsten Kränze des Ruhmes erringen sollten, stand auch die Wiege Mintrop’s an bescheidener, fast niedriger Stätte. Auf einem einsam gelegenen Bauernhofe in der preußischen Provinz Westphalen war der nachmals so gefeierte Künstler im Jahre des ersten Pariser Friedens geboren. Dieser Hof liegt an der linken Uferseite der Ruhr, in der Nähe der alten Abteistadt Werden, inmitten von Feld und Wald, mit einer unendlichen Fernsicht in den reichsten Garten der Natur. Dort sieht man die Schiffe zum alten Vater Rhein ziehen, da rauschen die Mühlen in den stillen Schluchten der schroffen Berge, in den Schooß der Erde steigt der Bergmann, um das schwarze Gold der Steinkohlen dem mächtigen Schacht zu entheben, und auf diesem Fleckchen Erde vermischten sich Märchen und Sagen, bald schauerlicher, bald lieblicher Art, mit den Träumen des sanften Knaben. Der Vater Mintrop’s war ein strenger Charakter, seine Mutter eine einfache Frau, voll tiefen Gefühls, – fünfzehn schöne Menschenblumen erblühten an ihrer Brust, von denen der Tod jedoch die meisten frühzeitig wieder knickte. Theodor war der drittgeborene Sohn, und wohl schon bei der Geburt wurde er von den Genien der Kunst zu dem geweiht, wodurch er sich auszeichnen sollte. Schon in der Schule trat sein ungemeines Zeichentalent hervor und der Lehrer, der dieses anfangs unterstützte, mußte das Streben des Knaben bald dämpfen, damit er nicht ganz in der einen Neigung aufging. Schon aber schien dieser fast ganz in der Gewalt der Kunst, denn aus den Zahlen und Buchstaben, die er schrieb, bildeten sich ihm Gestalten, die sich nicht bannen ließen, bis sie gezeichnet waren. Zu Hause machte er seine Versuche an Wänden und Thüren mit Kreide, Röthel oder Kohle, doch alle seine Zeichnungen waren weit über den Begriff der Kindheit hinaus. In großen Zügen stellte er plastische Gruppen aus dem Landleben dar, für das er ja selbst bestimmt war, z. B. das Aufladen von Holz oder Frucht, das Fällen von Bäumen, Tragen von Lasten und dergleichen.

Zeitig der Schule entlassen, mußte er alsbald kräftig Hand anlegen, um die Arbeiten des Bauernstandes zu erlernen. So sehen wir ihn an der Pflugschar, die Sense, den Dreschflegel mit kräftigen Armen führen, wobei ihn aber immer die Musen unsichtbar umschweben und sein Inneres mit dem Thau des Ewigen nähren, denn in den Augenblicken der Ruhe ist ihm nichts heiliger als ein Verkehr mit den Gestalten seiner Phantasie.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_196.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)