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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Mondesschimmer Schloß Rhaneck sich undeutlich und finster aus den Tannenwipfeln hob.

„Ich kann Dir’s nicht ersparen, Ottfried!“ sagte er dumpf. „Es muß sein, und wenn Du zehnfach darunter leidest. Hier steht mehr auf dem Spiele, als ein blutendes Vaterherz!“




Noch hatte die Familiengruft der Rhaneck ihren jüngsten Sprossen nicht empfangen, und schon gewann das dunkle Gerücht, das vom Gebirge herabgekommen war und seit zwei Tagen leise und unheimlich umherschlich, Form und Gestalt. Was man dem Grafen und seiner Gemahlin noch aus Schonung verschwieg, das flüsterte die Dienerschaft des Schlosses einander bereits in die Ohren, das ward lauter in der ganzen Umgegend verhandelt und bildete das offene Tagesgespräch in E., daß Graf Ottfried nicht eines natürlichen Todes gestorben, daß er das Opfer eines Verbrechens geworden sei.

Es war freilich nur ein einziger Umstand, der diesen furchtbaren Verdacht hervorrief; aber dieser Umstand war entscheidend, er stellte mit unumstößlicher Gewißheit fest, daß im Moment des Sturzes sich ein Anderer an der Seite des jungen Grafen befunden. Der Arzt, den man noch zu einer freilich vergeblichen Hülfeleistung nach N. berief, hatte in der erstarrten, krampfhaft geschlossenen Hand des Todten ein Stück dunkles Tuch gefunden, das augenscheinlich von einem Mantel oder dergleichen abgerissen war; an dem Mantel Ottfried’s aber fehlte jenes Stück nicht, er war unversehrt, also mußte es das Gewand eines Fremden sein, das er im Falle ergriffen Und zerrissen hatte. Die Möglichkeit eines Raubanfalls war durch den Ort der That von vornherein ausgeschlossen, denn abgesehen davon, daß man unmöglich zu der Leiche gelangen konnte, brachte ein Ueberfall, vielleicht ein Ringen am Rande der Schlucht, den Angreifer in mindestens ebenso große Gefahr wie den Angegriffenen; es konnte also nur Rachsucht oder Feindschaft als Motiv angenommen werden. Aber soviel man wußte, besaß der Graf keinen Feind in der Umgegend, wenn auch sein hochfahrendes Wesen Manchen verletzt haben mochte. Es blieb nichts übrig, als sich um weitere Fingerzeige an den Vater zu wenden, was auch so schonend wie nur möglich geschah.

Seltsamer Weise nahm Graf Rhaneck die Eröffnung ganz anders auf, als man erwartete. Anstatt außer sich zu gerathen bei dem Gedanken, daß sein einziger Sohn einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei, anstatt die Beamten zu einer Thätigkeit anzuspornen, die das Einzige geben konnte, das hier noch zu erlangen war, Sühne für den Gemordeten, schien es, als wolle er vielmehr die ganze Angelegenheit begraben und zu vergessen suchen. Er wollte durchaus nicht an die Wahrscheinlichkeit jenes Verdachtes glauben, wollte den Sturz Ottfried’s nur einer Unvorsichtigkeit desselben zuschreiben und verweigerte, unter dem Vorwande körperlicher und geistiger Gebrochenheit, jede nähere Auskunft über den Umgang und die Beziehungen seines Sohnes. Sein ganzes Wesen dabei war so verstört so seltsam abweisend, daß sich den Beamten bisweilen unwillkürlich der Gedanke aufdrängte, er fürchte die Untersuchung und wolle sie um jeden Preis verhindern. Jetzt trat auch noch der Prälat in die Sache ein, ruhiger, aber entschiedener als sein Bruder, und versuchte nun seinerseits einen Druck auf die betreffenden Personen auszuüben, damit die Angelegenheit nicht weiter verfolgt und wo möglich niedergeschlagen werde. Das war höchst befremdend und unerklärlich, aber der mächtige Einfluß des Abtes begann bereits zu wirken, und er wäre auch sicher durchgedrungen, hätte die Untersuchung nicht zufällig in den Händen eines jungen Richters gelegen, der, sehr ehrgeizig und eifrig im Amte und vollkommen unabhängig, nicht geneigt war, sich hier von einem fremden Willen leiten zu lassen. Ohnehin kein allzu eifriger Katholik, witterte er hinter dieser unerklärlichen Einmischung etwas wie ein Klostergeheimniß und war fest entschlossen, in diesem Falle streng und unnachsichtlich seine Pflicht zu thun. Alles, was der junge Graf in seiner Todesstunde an und bei sich getragen, wurde einer nochmaligen genauen Untersuchung unterworfen, und da fand sich denn allerdings etwas, das auf eine Spur zu leiten schien, eine Spur freilich, die Niemand von Allen geahnt.

In der Brieftasche Ottfried’s fand sich unter anderen unbedeutenden Papieren auch ein Brief vor, der wahrscheinlich schon vor längerer Zeit in einer der Seitentaschen gesteckt und dort vergessen worden war, denn er trug ein älteres Datum. Der Schreiber dieses „Bernhard Günther auf Dobra“ unterzeichneten Briefes verbat sich darin in den härtesten Ausdrücken jede fernere Annäherung des Grafen an seine Schwester, erklärte, sein Gebiet vor künftigem Eindrängen sichern zu wollen, und drohte schließlich, wenn diese schriftliche Mahnung nichts fruchte, persönlich einzutreten. Das Schreiben war sehr ruhig, aber auch sehr rücksichtslos gehalten, der Schluß geradezu beleidigend, jedenfalls hatte es den Empfänger auf’s Höchste gereizt – da war auf einmal der lange gesuchte Grund zu einer Feindschaft, deren weiterer Verlauf sich jeder Berechnung entzog.

Die sofort angestellten Nachforschungen dienten nur dazu, den aufkeimenden Verdacht zu bestärken; sie ergaben, daß sich Günther zur Zeit der That nicht allein im Gebirge, sondern auch in unmittelbarer Nähe des verhängnißvollen Ortes befunden hatte. Kurz zuvor hatte seine Schwester eine nochmalige, wie es schien, halb erzwungene Begegnung mit dem Grafen gehabt, der Meßner hatte Beide in der Wallfahrtskirche gesehen, wo sie mit dem Pater Benedict zusammentrafen, und war dann freilich sofort nach seiner Wohnung gegangen, die er erst wieder verließ, als der Caplan ihm befahl, das junge Mädchen nach N. zurückzubringen. Dort fanden Beide Günther schon vor, aber gerade in jener Zwischenzeit mußte die That verübt sein, denn Pater Benedict entdeckte, als er die „Wilde Klamm“ passirte, bereits den Gestürzten und eilte sofort nach den nächstliegenden Gehöften, um Hülfe herbeizurufen. Freilich erschien es befremdlich, daß er tief unten in der dämmernden durch das Sturmgewölk noch mehr verfinsterten Schlucht den Körper gesehen hatte, von dessen Dasein er doch keine Ahnung haben konnte, und den die Wellen fast ganz bedeckten, auch war die Verstörung und Todtenblässe des jungen Priesters allen Denen aufgefallen, an die er sich zuerst um Hülfe wandte. Aber man wußte ja, daß er dem Rhaneck’schen Hause eng befreundet war, daß er ihm seine ganze Erziehung verdankte, wenige Stunden vorher hatte er noch den Besuch des Grafen und seines Sohnes empfangen, da war es wohl natürlich, daß der jähe Tod des letzteren ihn aufregte, überdies hob gerade ihn natürlich sein geistlicher Stand über jeden Verdacht hinaus. Als man endlich nach stundenlangem Mühen und nicht ohne Lebensgefahr von unten her in die Schlucht gedrungen war und die Leiche nach N. brachte, war Günther mit den Seinigen längst abgefahren. Nahm man nun an, daß er auf dem Hinwege, den er allein unternahm – denn der Kutscher blieb mit den Pferden im Thale zurück – statt der Fahrstraße den Fußweg einschlug, daß er in der Nähe der Brücke mit dem Grafen zusammentraf, daß der seit jenem Briefe wahrscheinlich schon öfter ausgebrochene Streit sich hier erneute und in Thätlichkeiten ausartete, bei denen der Stärkere Sieger blieb, so hatte man auf einmal die Lösung des schreckensvollen Räthsels vor sich – es war genug, um ein sofortiges Einschreiten des Gerichts zu rechtfertigen.

In Dobra ahnte man inzwischen nichts von dem Unwetter, das sich dunkler und dunkler darüber zusammenzog, obgleich auch dorthin die Gerüchte über den Tod Ottfried’s gedrungen waren. Man hatte hier freilich keinen Grund, diesen Todesfall besonders zu beklagen, aber seine Folgen äußerten sich doch in einer Weise, die Bernhard sowohl als Franziska ebenso beängstigend als unerklärlich erschien.


(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.


Nr. 33. Der Bregenzer Wald.


Einflüsse mannigfacher Art haben bisher noch den großen Fremdenstrom, der sich alljährlich im Sommer, dem Falle der Wässer entgegen, aus dem bergarmen Norden in die romantischen hochgelegenen Alpenthäler und bis zu den stillen Regionen des ewigen Schnees und Gletschereises wälzt, von einem der reizendsten Alpenländer abgelenkt, dessen Naturschönheiten den Vergleich mit den gefeiertsten Gegenden nicht zu scheuen haben.

Vielleicht wird das schon binnen Kurzem anders. Die im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_188.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)