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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gesicht schleuderte, indem er

Peter Arbues verurtheilt eine Ketzerfamilie zum Feuertode. Carton von Wilhelm v. Kaulbach.

kraft seines Amtes den blutigsten Ketzerrichter, ein Scheusal, dessen Name seit Jahrhunderten mit Fluch beladen in der Geschichte steht, unter die Heiligen der katholischen Kirche versetzte.

Mit dieser Heiligsprechung hat der Papst mit dem Geiste des Christenthums ebenso gebrochen wie mit dem Bildungsberufe der Menschheit. Er hat das schändlichste Verbrechen, das gegen den Grundbegriff der Gottheit begangen wurde, als höchste Tugend belohnt und damit sich zum Genossen des Verbrechers erniedrigt. – Aber ist denn das überhaupt so etwas Neues in der jesuitischen Kirchenherrschaft? Waren es nicht deutsche Kirchenlichter, die um die Zeit einer neuen Aufloderung ihres Machtgefühls – als die katholische Frauenwelt sich abgewöhnen mußte, vor dem Bilde der „unbefleckten Empfängniß“ öffentlich zu erröthen, weil die ehelosen Geistlichen dieselbe täglich auf der Kanzel abhandelten – in ihren Versammlungen es wagen durften, der Pariser Bluthochzeit Lobreden zu halten? Ist das entsetzliche Lehrbuch der Moraltheologie des Jesuiten-Paters Gury noch immer nicht bekannt genug? Wer es nicht kennt, der kaufe sich heute noch Keller’s Beleuchtung desselben*, um zu erfahren, was heute noch möglich, ja was noch immer nicht unmöglich geworden ist im Bereiche des Jesuitenregiments.

Es ist eine weltgeschichtliche Merkwürdigkeit, daß an demselben Tage, an welchem dem deutschen Staate, der an der Spitze des Protestantismus steht, der Vernichtungskrieg vom pfaffenmächtigsten Staate Europas angekündigt ward, auch das Concil zu Rom die Unfehlbarkeit des Papstes zu seinem höchsten und letzten Beschluß erhob. Unter dem Waffenlärm in den zwei größten Heerlagern der Welt verscholl kaum gehört der ultramontane Siegesjubel. Aber das von allen Feinden des deutschen Geistes dem Untergange geweihte deutsche Reich erstand nach blutigem, sieggekröntem Ringen zu neuer Hoheit und Macht, und der erste große geistige Kampf, dessen Sturmwellen weit über Deutschlands Grenzen hinausschlagen, gilt der freien


* Verlag von H. R. Sauerländer in Aarau, 1869.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_180.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)