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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

jedesmal bei hereinbrechender Dunkelheit allein. Die Nähe vieler Menschen verscheucht unfehlbar das Raubthier, es müßte denn durch Hunger auf’s Aeußerste getrieben sein.

Indessen, es vergingen acht Tage, ohne daß sich ein Panther zeigte. Jeden Morgen kamen die Ulad Nayl zu mir und klagten, daß der Panther wieder in der letzten Nacht Schafe und Ziegen erwürgt habe. Ich machte ihnen begreiflich, daß ihr Verfahren eigentlich recht unsinnig sei. Wie konnten sie erwarten, daß der Panther sich an meine einzige Ziege machen werde, wenn sie eine ganze Herde in seiner Nähe ließen? Nur mit Mühe gingen sie auf meinen Vorschlag ein, ihre Herden, wenigstens für die Dauer meiner Jagd, von den fruchtbaren Gegenden weg und in die Wüste zu treiben. Es war freilich sehr schwer, sie dort zu ernähren, denn das Futter mußte ihnen dahin gebracht werden.

Nun ist eine Fütterung des Viehes bei den Arabern etwas Unerhörtes. Daher der Widerstand, auf den mein Vorschlag stieß, und die Schwierigkeit, die sich, als er endlich angenommen worden war, seiner Ausführung entgegensetzte; denn „Heu“ giebt es nicht in diesen Gegenden. Das Gras, immer abgeweidet, erlangt keine Länge. Die kurzen Halme abzumähen und deren genug zu sammeln, um die Herde zu ernähren, war nahezu unmöglich. Dazu gehört eine so mühevolle Arbeit, wie sie der Araber nie unternimmt. Es blieb also nichts übrig, als das Vieh mit dem Laub kleiner Sträucher zu füttern, an denen die Abhänge des Atlas Ueberfluß haben. Eigentlich litt die Herde Hunger und die Araber warteten mit Ungeduld das Ende meiner Pantherjagd ab, um ihr Vieh wieder durch die gewohnten Weidegründe treiben zu können.

Indessen ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn noch weitere acht Tage vergingen, ohne daß irgend ein Erfolg erzielt wurde. Der Panther zeigte sich zwar jede Nacht; denn jetzt hatte er keine Herde mehr in der Nähe, die er überfallen konnte, und weit in die Wüste dringt er nicht gern; aber ich konnte nicht zum Schusse kommen. Ich durfte nämlich nur dann schießen, wenn ich meines Schusses vollkommen gewiß sein konnte. Jeder andere Schuß hätte den Panther auf ewig aus der Nähe meines Silos verscheucht. Dieses Thier ist viel zu klug, um ein zweites Mal einem Silo nahe zu kommen, aus dem er einen Schuß gehört hat. Verfehlte ich den Panther, so war die Folge, daß das erste Silo verlassen und ein zweites in einer größeren Entfernung von jenem gebaut werden mußte. Daraus wäre neue Verzögerung entstanden, die die Araber schwerlich ertragen hätten.

Für mich war es gleichfalls eine nicht geringe Geduldprobe, den Panther so nahe zu wissen, ja ihn zu sehen, ohne auf ihn schießen zu können. Aber jedesmal bot er sich so ungünstig für den Schuß dar, daß es Leichtsinn gewesen wäre, abzufeuern. In der ersten Nacht wartete ich bis etwa elf Uhr. Mein Zicklein, von mir von Zeit zu Zeit in’s Ohr gezwickt, gab die schönsten Signaltöne und die Mutterziege antwortete ihr mit heller Stimme. Plötzlich verstummte es, ein krampfhaftes Zittern überkam alle seine Glieder und dann stand es wie gelähmt da; ich mochte es noch so energisch zwicken, es gab keinen Laut mehr von sich. Ebenso war es mit der Mutterziege. Alles dies verkündete die Nähe des Panthers, aber noch verrieth kein Rauschen der Zweige, kein Schrei, kein Ton seine Annäherung. Ich hatte mein Auge auf die Mutterziege, es war die vierte Nacht im zweiten Mondsviertel, also um elf Uhr ziemlich hell, da auf einmal hörte ich ein Getöse, wie wenn ein schwerer Baumstamm gefallen wäre. In demselben Augenblick sah ich eine dunkle Masse auf die arme Ziege stürzen; es war der Panther, der aus großer Entfernung sie mit einem einzigen Satz erreicht hatte. Das arme Thier gab keinen Laut von sich.

Ich hielt meine Büchse in der Schießscharte, bereit loszufeuern, sowie ich die Augen des Raubthiers sehen würde, denn ich wußte, daß nur ein Schuß in der Nähe der Augen ihn schnell tödten konnte. Aber noch ehe ich Gelegenheit bekommen, seine Augen zu sehen, war der Panther auch schon fort und mit ihm die Ziege; er hatte sie fortgeschleppt und verzehrte sie im benachbarten Gehölz. Lange blieb er mir nahe, das merkte ich am Zittern meines Zickleins; endlich erholte sich dieses. Der übrige Theil der Nacht verging ruhig.

Als am Morgen die Araber kamen, waren sie sehr unangenehm enttäuscht, meine Jagd von keinem Erfolg gekrönt zu sehen. Aber diese Enttäuschung sollte ihnen noch öfter werden.

Jeden Abend brachten sie mir ein neues Zicklein und seine Mutter, drei Mal noch schleppte mir der Panther die Ziege fort. Endlich fiel ich auf den Plan, sie sowohl am Fuß, als am Hals anzubinden und zwar sehr fest. Jetzt entführte sie das Raubthier zwar nicht mehr, aber es bot sich stets in so ungünstiger Stellung dar, daß ich nicht wagen durfte, zu schießen.

Schon wollten die Araber an der Jagd verzweifeln, besonders da bereits die Nächte nach dem Vollmond vergangen waren, ohne einen Erfolg zu bieten, die gute Jagdzeit war fast vorbei. Nur bei Mondschein konnte ich Aussicht haben, mein Ziel zu sehen. Die ungeduldigen Araber baten mich sehr, die Sache bis zum nächsten Vollmond aufzugeben, und ihnen zu gestatten, ihre Herden wieder an die alten Weideplätze einzutreiben, aber auch mein Eifer war erwacht; ich bestand darauf, noch eine Nacht mein Glück zu versuchen. Ungläubig zwar, aber doch ohne großes Widerstreben gaben die Araber nach.

Sie ließen mich also noch diese achte Nacht mit meinem Zicklein im Silo allein. Einer von ihnen sagte mir beim Gutenachtsagen: „Wenn’s auch heute nichts wird, dann glaube ich nicht, daß Du ein Schütze bist!“ Obgleich selbst nicht sehr hoffnungsvoll, so reizten mich doch diese Worte, ihm eine Wette zu bieten. „Was wettest Du?“ „Mein ganzes Haus,“ antwortete er, „gegen Dein Haus.“ „Das will ich nicht,“ entgegnete ich, „aber ich will Dir etwas sagen. Wir wetten meinen Hengst gegen Deine Stute!“ Er hatte nämlich eine prächtige Stute und wäre deshalb auch nie hierauf eingegangen, wenn er geglaubt hätte, ich würde den Panther erlegen. Aber er dachte, umsonst zu einem schönen Hengste, denn ich besaß ein herrliches Thier, zu kommen und nahm die Wette an.

Diesmal kam der Panther erst gegen zwei Uhr Morgens. Mit gleicher niederschmetternder Wucht fiel er auf die arme Ziege, ich verlor ihn aus meiner Schießscharte nicht aus dem Auge. Ich sah seine Krallen, die die Ziege zerfleischten; plötzlich sah ich auch seinen Kopf. Zwei feurige Kohlen leuchteten in der Richtung auf das Silo, gerade auf meine Schießscharte zu; es waren die Augen des Panthers. Kaum hatte ich sie gesehen, so zielte ich mitten zwischen die Augen.

Was nun erfolgte, war das Werk eines blitzschnellen Augenblicks. Ich schoß und sah, daß der Panther getroffen war, aber unglücklicher Weise hatte auch er meinen Schuß gesehen; er war nicht todt. Nur eine Explosionskugel vermag ihn augenblicklich zu tödten. Eine solche hatte ich nicht, meine Kugel konnte ihn zwar tödtlich verwunden, aber noch blieb ihm die Kraft, auf mich zuzuspringen. Mich hatte er zwar nicht sehen können, wohl aber den Schuß aus dem Silo. Ich hatte seine feurigen Augen im Moment gesehen, wie sie gerade in der Richtung auf das Silo zu die Nacht durchglühten. Im Silo war also sein Feind. Auf dieses sprang er nun zu und zwar in zwei Sätzen, jeder von dreißig Fuß wenigstens.

Es war mir plötzlich, wie wenn ein Haus über meinem Haupte einstürzte. Ich hörte ein Getöse gleich dem einer umstürzenden Locomotive. Ich fühlte das Krachen und Brechen der Erdhütte. Sie brach zusammen und im Nu lag ich unter einem Schutt von Erdmassen wie begraben; begraben, jedoch glücklicher Weise nicht ganz, denn ich lag an der Scharte und diese war, wenigstens zum Theil, offen geblieben, durch sie konnte ich Luft schöpfen. Ueber mir, nur durch eine nicht allzu dicke Erdschicht von mir getrennt, lag der sterbende Panther. Sein Todeskampf dauerte noch etwa zwei Minuten. Aber diese zwei Minuten waren für mich eine Ewigkeit banger Erwartung und tödtlicher Angst, denn seine kräftigen Tatzen wühlten im Erdreich so tief, daß ich jeden Augenblick fürchtete, sie die dünne Schicht durchdringen zu sehen und von ihnen erreicht zu werden. Er wand und wälzte sich auf der Erdschicht, warf rechts und links große Erdmassen herunter und drohte fast durch das Gewicht seines Körpers die Schicht ganz einzudrücken. Dabei stieß er entsetzliche Töne aus, anfangs tiefe, wie ein zorniges Gebrüll, dann hellere katzenähnliche, endlich ein dumpfes Todesröcheln. Jetzt noch eine letzte krampfhafte Bewegung, die die ganze Erdschicht erzittern machte. Ich fühlte den Boden erbeben; ich hörte einen unbeschreiblichen Tumult über mir, wie wenn ein wüthender Kampf ob meinem Haupte stattfände. Dann folgte ein gellender Schrei wie der eines Raubvogels. Darauf noch ein letzter heiserer Sterbeton und es war vorbei. Todtenstille herrschte über mir, der Panther war todt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_176.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)