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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Und doch konnten Grillparzer’s erste dramatische Dichtungen den Dichter durch ihre Erfolge zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Die „Ahnfrau“ hatte die Runde über alle deutschen Bühnen gemacht – und, wie man auch über die spukhafte Schicksalstragödie denken mag, welche neuere Commentare vergeblich einem gesunden Geschmack zugänglich zu machen und in eine neue Beleuchtung zu rücken suchen –, das Talent, das sich in dem Stück aussprach, übertraf dasjenige aller Mitbewerber um den Preis der Melpomene; es hatte edeln Schwung und feurigen Athem, etwas Hinreißendes, das der Begabung Müllner’s und Houwald’s fehlte. So konnte auch Ludwig Börne, ein moderner Kopf, für den die Politik das Schicksal war und der sonst alle Spuktragödien in die Rumpelkammer der Literatur verwies, doch nicht umhin, diesem schönen Talent wärmste Anerkennung zu zollen.

Grillparzer’s bedeutendste Dichtung, die „Sappho“, fand sogar die Anerkennung eines Größeren – Lord Byron sprach sich voll Bewunderung über diese Tragödie aus; er hatte sie in Ravenna in einer italienischen Uebersetzung von Guido Sorelli gelesen und schreibt in seinem Tagebuche vom 12. Januar 1821: „Grillparzer ist gewiß ein verteufelter Name für die Nachwelt, doch sie muß ihn aussprechen lernen. … Die Tragödie ‚Sappho‘ ist prächtig und erhaben – das läßt sich nicht leugnen. Der Mann hat etwas Großes gethan, als er das Stück schrieb. Und wer ist er? Ich kenne ihn nicht, doch künftige Jahrhunderte werden ihn kennen. … Grillparzer ist groß, antik, nicht so einfach wie die Alten, doch sehr einfach für einen Modernen, zu ‚Madame de Staëlisch‘ hin und wieder, doch trotzdem ein großer und tüchtiger Schriftsteller.“

Die Pforten einer großen Zukunft schienen sich vor Grillparzer aufzuthun und doch bewegten sich von jetzt an die Erfolge des Dichters in absteigender Linie. „Das goldene Vließ“ (1822), wenn auch lange Zeit von einer Sophie Schröder getragen, welche die Rolle der Medea spielte, behauptete sich nicht auf den Bühnen; die patriotisch-historischen Stoffe, denen sich der Dichter sodann zuwandte, fanden eine sehr verschiedenartige Beurtheilung, und als endlich die Wiener das Lustspiel „Weh’ dem, der lügt!“ durchaus ablehnten, trat Grillparzer von der Bühne zurück und verharrte einunddreißig Jahre lang bis zu seinem Tode in hartnäckigem Schweigen. Nur das Fragment seiner „Esther“ ließ er sich für die Wiener Hofbühne abringen; seine „Libussa“ und seine anderen Dramen bewahrte er in seinem Pulte, grollend mit der Welt und mit der Zeit.

Ich schreibe Ihnen, verehrte Freundin, hier keine Kritik der Grillparzer’schen Werke. Noch gehen die Urtheile über dieselben weit auseinander. Während die österreichischen Festredner und Zeitungen in Grillparzer einen der größten deutschen Dichter feiern und ihm seine Stelle unmittelbar neben Schiller und Goethe anweisen, sprechen die bedeutendsten Literarhistoriker von dem Dichter in einem keineswegs bewundernden Tone, und nur ich selbst in meiner „deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts“ und neuerdings Karl Goedecke haben die dichterischen Verdienste Grillparzer’s mit Wärme anerkannt.

Ohne Frage war, wie schon Byron bemerkt, die Corinna der Frau von Staël nicht ohne Einfluß auf die Physiognomie von Grillparzer’s Sappho, der liebenswürdigsten Frauengestalt des Dichters, wie überhaupt dies Drama, wenn auch nicht von antikem Geist beseelt, doch ein warmes Gefühl und glühende Leidenschaft mit künstlerischer Grazie ausdrückt. Die „Medea“ hat mehr tragisches Lebensblut, markirtere dramatische Züge, wenngleich die Wildheit der Barbarei nirgends die Grenzlinien der Schönheit überschreitet; „Hero“ aber ist eine trunkene Priesterin der Liebe, deren siegreiche Macht in dem Drama dithyrambisch verherrlicht wird, nicht ohne daß die Handlung sich in einer oft zerflossenen Lyrik auflöste. Am geistvollsten und tiefsinnigsten von Grillparzer’s Dichtungen ist wohl „der Traum ein Leben“, wenngleich dieser Geist und Tiefsinn gewissermaßen im spanischen Mantel- und Degencostüm erscheint und die Weisheit der Trochäen immer fremdartig gemahnt und sich schwerer dem Gedächtniß einprägt. Von den historischen Tragödien Grillparzer’s hat „König Ottokar’s Glück und Ende“ dramatisches Leben und einige große Züge, obwohl die oft sentimentale Pseudoromantik jener Epoche der „Abendzeitungen“ auch hier zur Unzeit einzelne Ergüsse trübt. „Ein treuer Diener seines Herrn“ aber ist ein offenbarer Mißgriff des Dichters gewesen, der seinem Ruhm schadete, weil man aus der Wahl und besonders aus der Umgestaltung des Stoffes auf eine engherzige Gesinnung schloß.

Und doch war auch Grillparzer mit dem Metternich’schen System in Conflict gerathen. Selbst „ein treuer Diener seines Herrn“ hatte dem Kaiser Franz Bedenken erregt; er ließ dem Dichter sagen, das Stück habe ihm so gut gefallen, daß er es ganz allein für sich zu behalten wünsche; er möchte ihm das Manuscript übergeben für seine Privatbibliothek, das Stück aber nirgends spielen lassen, er wolle ihn reichlich dafür entschädigen, der Dichter möge nur selbst den Preis bestimmen. Grillparzer begehrte und erhielt nichts, aber das Stück wurde nicht mehr gegeben. Ein Gesuch um Erhöhung des Gehalts, das der Kaiser selbst zu bewilligen versprochen hatte, fand sich nach dem Tode desselben in einer Schublade, wo er alle die Eingaben hinlegte, die nie zu erledigen waren.

Grillparzer war Archivdirector bei der Hofkammer, auch eine Zeitlang Vorleser der Kaiserin; doch ein Gedicht, das er bei einer italienischen Reise auf den Trümmern des Forums verfaßt hatte: „die Ruinen des Campo Vaccino in Rom“ brachte ihn um diese Ehre. Das Gedicht, welches einige scharfe epigrammatische Pointen enthielt, namentlich gegen das Mönchthum, in der Form aber etwas ungelenk ist, hatte seine Schicksale. Von der Censur nicht beanstandet, in einen Almanach aufgenommen, wurde es von dem Renegaten Zacharias Werner als kirchenfeindlich der Polizei denuncirt; diese schritt gegen den ketzerischen Poeten ein, entfernte das Gedicht aus den im Buchladen vorhandenen Exemplaren des Almanachs und trug dafür Sorge, daß Grillparzer seines Amtes als Vorleser der Kaiserin entsetzt wurde.

Das sind Erlebnisse, die uns im Lichte einer freieren Zeit sehr kleinlich vorkommen mögen, aber damals zu den „Ereignissen“ gehörten und den Dichter immer mehr verstimmen mußten. Der geringe Erfolg seiner neuern, mit Fleiß und künstlerischem Ernst geschaffenen Dichtungen stach so auffallend ab gegen den glänzenden Succeß seiner in vierzehn Tagen, auf Grundlage zweier Erzählungen, zusammengeschriebenen „Ahnfrau“, daß es begreiflich ist, wenn der Dichter dem Publicum gegenüber in einem geringschätzigen Groll verharrte. So schrieb er einem Schauspieler in’s Album:

Trotz Angst und Noth eurer Bühnenberather
Fehlen noch drei Stück’ zum deutschen Theater.
Darnach seht euch vor Allem um:
Schauspieler, Dichter und ein Publicum.

Die Muse des Epigramms war überhaupt die Muse des alternden Dichters; seiner Verdrossenheit über eigenes Geschick und eine widerwärtige Zeitströmung gab er einen lapidaren Ausdruck; und zwar in der Regel mit schneidender Schärfe. Sehen wir uns aber den greisen Olympier Goethe an, neben welchem die Wiener Festordner ihrem Grillparzer den Ehrensessel zurechtrücken, so finden wir doch, in der Auffassung der später geborenen Literatur, einen bedeutenden Unterschied. Die lyrische Sündfluth war auch diesem unwillkommen und er verzeichnete nicht ohne Aerger in sein Privatarchiv die Namen der zahlreichen Dichter, mit denen das Gedächtniß der Mitwelt belästigt wurde; doch ebenso bereitwillig, mit königlichem Wohlwollen, erkennt er das Talent an, das Anziehende und Schöne, welches die Zeitgenossen schufen – und es war gerade damals eine Epoche schwächlicher Production; erst nach Goethe’s Tode rückte die Literatur in ein neues glänzenderes Sternbild. Grillparzer dagegen konnte seinen Mißmuth über die Nachstrebenden, über die Erfolgreichen nicht unterdrücken. Die freie politische Lyrik, die seinem büreaukratisch geschulten Gewissen zuwider war, beschuldigte er, mit großem Unrecht, der Talentlosigkeit:

Wollt ihr die Freiheitsgluth curiren,
Die gar so heiß in unsern Dichtern brennt,
Braucht ihr nicht Mittel lang’ erst zu probiren,
Gebt ihnen als specificum – Talent,

und das folgende Epigramm ist offenbar an die Adresse des geistreichen und liebenswürdigen Anastasius Grün gerichtet:

 A. G.
Willst seinen Werth du schildern,
Bezeichnen sein Gedicht:
Er weiß ganz wohl zu bildern,
Allein zu bilden nicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_163.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)