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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

im Gefolge hat, als sein Einbruch in die Umfriedigung einer arabischen Zeltgenossenschaft. In solchen Umfriedigungen bleibt das Vieh im Freien. Der Panther springt mit einem Satz über die Scheidewand hinweg, erwürgt alle Thiere, die ihm in den Weg kommen und macht oft unzählige Opfer, ehe er sich in das Verzehren eines Thieres vertieft. In diesem Verzehren wagen ihn die Araber nicht zu stören. Wohl sind sie von seiner Nähe unterrichtet. Niemand kann sich darüber täuschen, denn plötzlich verstummen alle anderen Thiere. Der wachsame schakalartige Hund, der treue Wächter arabischer Zeltlager, der sonst die ganze Nacht hindurch sein heiseres Gebell ertönen läßt und bei dem geringsten Geräusch verdoppelt, zieht den Schwanz ein, verkriecht sich feige in eine Ecke und giebt keinen Laut mehr von sich. Kein Stoß, keine Schläge seines Herrn können ihn dazu bringen, sein Schweigen zu brechen, so lange der Panther in der Nähe weilt. Ebenso ist’s mit allen anderen Hausthieren. Schafe, Ziegen, Kameele, Hornvieh, Alle verstummen: ein banges Zittern überfällt sie am Anfang, dann aber stehen sie wie versteinert da, sie rühren kein Glied mehr. Ein düsteres Schweigen lagert über dem Beduinendorfe, selbst die Menschen wagen nicht es zu brechen; der Panther ist da. Stille umfängt die ganze Natur, nur zuweilen ertönt das fürchterliche Brüllen oder das helle katzenartige Miauen des vom Genuß befriedigten Raubthiers durch die Stille der Nacht. Der Panther ist Herr in dem arabischen Dorfe, kein Beduine wagt ihm die Herrschaft streitig zu machen. Wozu auch? Mit seinem schlechten Schießgewehr würde er ihn doch nur verwunden und wüthend machen. Seine Wuth würde sich dann menschliche Opfer statt der thierischen suchen, denn eine arabische Zeltwand ist für ihn ebenso leicht zerreißbar, wie etwa ein Stück Papier.

Etwas Anderes ist es, wenn der Panther in ein europäisches Colonistendorf einfällt. Nur die äußerste Pein lange ausgestandenen Hungers kann ihn hierzu bringen. Deshalb kommt es auch nur sehr selten vor, aber es kommt doch vor. Das Vieh der europäischen Colonisten übernachtet gewöhnlich zwar auch unter freiem Himmel, wenn auch durch eine festere Umfriedigung geschützt. Dennoch setzt der Panther auch über diese Umfriedigung hinweg; aber an diese Umfriedigung stoßen nicht leicht zerreißbare Beduinenzelte, sondern gemauerte Häuser und in diesen Häusern sind gute Schießgewehre. Ich kenne einen Fall, in welchem ein Panther in das Colonistendorf Mondovi und zwar in den Stall des dortigen Pfarrers einfiel. Aber der geistliche Herr war ein guter Schütze; der Vollmond gestattete ihm richtig zu zielen und ein wunderschöner Panther ward seine Beute; indeß solche Fälle sind selten, große Ausnahmen. Gewöhnlich muß der Jäger den Panther selbst aufsuchen.

Da der Panther noch mehr Schaden anrichtet, als der Löwe, und noch schwerer zu erlegen ist, so kann man sich denken, mit welcher Freude die Araber das Erscheinen eines tollkühnen Mannes begrüßten, der aus der Pantherjagd sein Geschäft machte und dieselbe mit ungeahntem Erfolg betrieb. Dieser Mann war Bonbonnel, ein alter erfahrener Jäger, der schon in den amerikanischen Steppen dem edlen Waidwerk obgelegen hatte; aber seine dortige Jagd war Kinderspiel gegen die gewesen, welche er sich hier erwählte. „Wenn Gérard den Löwen im Freien erwartet, ihn auf dreißig bis vierzig Schritt herankommen läßt und dann den Kampf auf Leben und Tod mit ihm aufnimmt, warum sollte ich ein Gleiches nicht mit dem Panther versuchen?“ so dachte Bonbonnel und diesen Gedanken setzte er in’s Werk. Nur war eine Vorsicht nothwendig. Der Panther ist listiger als der Löwe, er merkt die Nähe des Menschen leichter als jener, er merkt sie durch den Geruch wie durch sein die Nacht durchdringendes Auge. Seinen Geruch kann der Jäger täuschen, indem er sich immer so aufstellt, daß der Wind von ihm in der entgegengesetzten Richtung von derjenigen weht, in welcher er den Panther erwartet; aber das Auge des Panthers ist schwerer zu täuschen, das Dunkel eines schattigen Dickichts genügt nicht, wie beim Löwen. Bonbonnel sah sich deshalb genöthigt, sich stets eine kleine Hütte von Reisern, mit Laubwerk überdeckt, zu improvisiren, dort hielt er sich mit seinem Zicklein versteckt und außerhalb war die Mutterziege angebunden. Kam nun der Panther, durch das Geschrei der Ziege angelockt, und überfiel er diese, dann konnte wohl oft Bonbonnel einen glücklichen Schuß thun, aber wie oft auch machte das listige Thier alle seine Berechnung zu schanden! Kaum hatte es die Ziege erwürgt, so entdeckte es auch schon die Nähe des Menschen, mit einem Satz war es dann verschwunden und kam nie wieder in dieselbe Gegend. Bonbonnel hat viele Jahre auf dieser Jagd zugebracht und unzählige Mal sein Standquartier wechseln müssen, denn der listige Panther hatte dasselbe jedesmal entdeckt und mußte wieder durch Erwählung eines neuen getäuscht werden. Alte Panther, so behauptet er, gehen schon gar nicht in die Nähe einer solchen angebundenen Ziege, sie kennen die Schliche der Jäger, sie sind zu klug für die Menschen; auch ist es nur äußerst selten, daß ein bejahrter Panther die Beute des Jägers wird.

Durch Bonbonnel wurde die Pantherjagd zu Ehren gebracht, ja, man kann fast sagen, sie wurde eigentlich erst durch ihn entdeckt. Den jagdlustigen Touristen ging auf einmal ein neues Licht auf. Die „Löwenjagd“ war schon zu abgedroschen. Die Bewunderer jener vermeintlichen Nimrode wurden es allmählich satt, die alte, auswendig gelernte Geschichte von der geschickt erfundenen und mit Hinzuziehung wunderbarer Einzelheiten pathetisch und ergreifend geschilderten Löwentödtung ferner noch mit anzuhören. Sie verlangten neues Futter für ihre Neugier. Da kam die Pantherjagd ganz gelegen. Die Sonntagsjäger hatten ein neues Thema und sie beuteten es nach Herzenslust aus; die meisten freilich begnügten sich auch hier, ihre Einbildungskraft zu Rathe zu ziehen und höchst lebensgefährliche Abenteuer auszuhecken, die sie muthig bestanden, das heißt – in ihren Erzählungen.

Aber einige Wenige empfanden denn doch den lobenswerthen Ehrgeiz, selbst etwas erleben zu wollen. Immer die Phantasie anstrengen, das nutzt sie ab. Zuletzt kann man gar nichts mehr erfinden. Alles, worauf die Einbildungskraft verfällt, ist schon dagewesen. Wenn man dagegen selbst etwas erlebt, und sei es auch nur ein Minimum, so läßt sich um diesen Kern von Wahrheit leicht eine höchst schmackhafte Fülle lieblicher Dichtungen bauen und das bischen Wahrheit, das zu Grunde liegt, erhöht die Süßigkeit der ganzen Frucht.

So dachten unter Andern auch drei kühne Touristen, die es sich zur Aufgabe stellten, mit Bonbonnel in der Pantherjagd zu wetteifern. Warum sollte auch Bonbonnel allein den Ruhm genießen, Pantherjäger zu sein? Hatte er ihn etwa gepachtet? So fragten sich die kühnen Touristen und beschlossen, den ersten besten Panther, den die Araber ankündigen würden, zu „schießen“. Wirklich dauerte es nicht lange, so wurde ihnen angezeigt, daß ein Panther sich in einem Walde, etwa vier Stunden von Algier, aufhielte. Die Touristen hatten nichts Eiligeres zu thun, als ein Cabriolet zu miethen und damit auf den Wald zuzukutschiren. Jeder von ihnen hatte sich mit einer Lockspeise, in Gestalt eines lebenden Thieres, für den Panther versehen. Der eine hatte ein Ferkel, der andere ein Lamm, der dritte ein Zicklein. Sie ließen sich von einem Araber den Platz zeigen, fuhren hinein, banden ihr Pferd (die klugen Leute!) an einen Baum, improvisirten sich eine Laubhütte und erwarteten die Nacht und den Panther. Als es dunkel geworden, fingen sie ihr ritterliches Gewerbe an. Sie zwickten und kniffen das thierische Kleeblatt dergestalt in Nase und Ohren, daß bald ein dreitöniges Concert die Stille des Waldes unterbrach. Das Ferkel grunzte, das Lamm blökte, das Zicklein meckerte. Der Panther hätte taub sein müssen, wenn ihn dies Concert nicht angelockt hätte.

Wirklich ließ der Panther auch gar nicht lange auf sich warten. Die kühnen Nimrode sahen ihn zwar nicht, aber sie merkten seine Nähe an dem plötzlichen Zittern und Verstummen ihrer Thiere. Sie mochten Ferkel, Lamm und Zicklein noch so sehr kneifen und zwicken, sie gaben keinen Laut mehr von sich. Nicht das geringste Grunzen, Blöken und Meckern konnte dem Kleeblatt entlockt werden. Der Panther war nahe. Jeden Augenblick mußte er erscheinen. Die Jäger hielten ihre Hinterlader in hoffnungsvoller Erwartung bereit. Aber leider hielten sie dieselben ganz fruchtlos bereit. Der Panther war zwar nahe, er blieb sogar lange in nächster Nähe, das verrieth die fortdauernde Todesangst der Thiere, aber er kam nicht in Schußweite.

So verging etwa eine halbe Stunde. Eine halbe Stunde höchster Aufregung für die Jäger, banger tödtlicher Erwartung für die Thiere. Endlich schienen letztere sich ein wenig zu erholen. Das Zittern hörte auf. Die Gefahr schien also für sie vorbei zu sein. Die Jäger schritten von Neuem an’s Werk

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_159.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)