Seite:Die Gartenlaube (1872) 145.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

auf den Bänken ausgestreckt. An den weiten Fensteröffnungen sah ich Handwerker arbeiten, dann und wann behaglich mit den Vorübergehenden schwatzend, immer das Leben und Treiben auf der Straße im Auge behaltend. Zwischen den Mauerpfeilern der Gassen lagen die herrlichsten Südfrüchte, Wein, Feigen, Pfirsiche, Aprikosen, Melonen in reicher Fülle aufgehäuft, und doch, bei all diesem südländischen, italienischen Anstrich, den das Leben allüberall zeigt und der auf den fremden Besucher schon so reizvoll wirkt, wie durch und durch deutsch fand ich die Bevölkerung! Und Jeder, der denn auch jemals an einem Sonntage in den Straßen Merans die hohen breitschulterigen Gestalten der Landleute aus der Umgegend gesehen hat mit dem blonden, welligen Haar, den blauen

Passeyer Thor von Meran

Augen, der hohen Stirn, in ihrer malerischen Tracht, den kurzen Kniehosen, der kurzen Jacke, um den Leib den breiten rothgestickten Gürtel, auf dem Kopfe den spitzen Tirolerhut, im Munde die nie fehlende kurze deutsche Pfeife – erkennt in ihnen gleich den Deutschen, den Enkel jener Hünengestalten, welche die Römer so oft in Furcht und Schrecken gesetzt haben. Es sind dies auch die Nachkommen der Rugier und Ostgothen, deren Kämpfe im Etschthale wohl die Grundlage jener Sagen bilden, welche die Thaten des großen Ostgothen-Fürsten Dietrich von Bern feiern. Noch am Ende des vorigen Jahrhunderts war Gestalt, Charakter, Gesinnung und Sprache deutsch bis Trient und ist es jetzt noch bis Neumarkt unterhalb Botzen. Denn leider ist die österreichische Regierung dem Vordringen des italienischen Elements im untern Etschthale nicht entgegengetreten.

Das gleichmäßige milde Klima hat bekanntlich Meran vor Allem zu einem Curort von europäischer Berühmtheit für Brustkranke gemacht. Ganz besonders wird der Ort vor den kühlen Luftströmungen aus dem Passeyerthal durch einen Ausläufer der Mutspitze, den Küchelberg, geschützt, an dessen Südabhange sich Meran längs der Passer ausdehnt und hinzieht. Aber der Küchelberg übt nicht allein dieses wohlthätige Schutzamt gegen rauhe stürmische Eindringlinge aus dem Norden; von seiner Höhe gewährt er auch eine herrliche Aussicht auf Meran und das Etschthal, so daß ich schon in den ersten Tagen meines Aufenthaltes von der Pfarrkirche der Stadt aus zwischen den hohen Mauern der Weingärten, welche den Abhang dieses Berges bedecken, auf vielen steilen Stufen zu ihr emporstieg. Hier und da stand in der Mauernische ein Marienbildniß, vor welchem der Tiroler andächtig ein Paternoster betet oder im Vorbeigehen mechanisch ein Kreuz schlägt. Von beiden Seiten wucherten üppig die Reben über die Mauern und oft schritt ich unter einem festen Rebendach, durch welches sich die Sonnenstrahlen nur verstohlen durchdrängten, in geheimnißvollem Halbdunkel hin. Dann wieder bot sich bald nach dieser, bald nach jener Seiten hin plötzlich und unerwartet die reichste Aussicht auf Meran und das Etschthal dar, eingerahmt von dem grauen Felsgestein der Mauern und den saftiggrünen Blättern der Weinreben mit den herabhängenden, vollen dunkeln Trauben.

Die Aussicht auf das Etschthal lohnte die Anstrengungen, welche der etwas gar steile Weg verursacht hatte, in verschwenderischer Weise. Goldiger Sonnenduft lag ausgebreitet über den grünen Wiesen, durch die sich der Fluß wie ein Silberfaden schlängelte. Ringsum in malerischen Contouren mächtige Berge, nur nach Süden sich öffnend und dem Auge in weiter Ferne die blauen Linien der Tridentiner Berge zeigend.

Wesentlich erhöht wird der malerische Charakter der Landschaft durch die zahlreichen Burgen, deren Trümmer oft fast ganz von dem vollen saftigen Grün uralter Epheustämme umrankt sind und bald aus mächtigen Kastanien- und Nußbaumgruppen hervorschauen, bald wieder kühn auf vorspringenden Felsen thronen oder wie Schwalbennester an den Bergen hangen. Die bedeutendste der Burgen Merans ist das Schloß Tirol, nun ausgebaut und den Lesern der Gartenlaube wohl schon aus irgend einer der vielen Abbildungen, welche von ihm existiren, bekannt. Von der alten Burg ist noch ein verfallener, auf schwindelnder Höhe liegender Thurm vorhanden.

Einige hundert Fuß unterhalb thront die Ruine Brunnenburg auf einem freien, nackten Felsen, aus dem das grau verwitterte Gemäuer gleichsam hervorzuwachsen scheint. Den Fuß des Burgfelsens, wo der Sage nach der mit einem Seidenfaden umzogene und mit goldenen Pforten verschlossene Rosengarten des Zwergkönigs Laurin gewesen sein soll, welchen der ernste, gewaltige Held Dietrich von Bern besiegte, bekleiden Weingärten; bald aber macht das schroffer ansteigende Gestein den Weinbau unmöglich, der nackte Fels tritt zu Tage und nur noch hier und da hat sich auf den Absätzen desselben eine kleine Weinpflanzung eingenistet, in welcher halb versteckt ein Bauernhaus liegt.


(Schluß folgt.)




Erinnerungen an eine treue Seele.


Eine Lebensgenossin und Pflegerin Friedrich Schiller’s.


Wer von dem Walddorfe Hummelshain im Herzogthum Altenburg südöstlich auf der Straße, welche nach Neustadt an der Orla führt, wandert und dann im Hochwalde den nächsten Weg rechts zwischen dem duftigen Grün eines Dickichts von zierlichen, jungen Fichten einschlägt, gelangt bald auf einem niedersteigenden Wege nach einem grünen, frischen Grunde, in dem viele einzelne Thalgründe von den verschiedensten Seiten, aus bewaldeten Höhen herab zusammentreffen, und aus ihren Quellen nach und nach

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_145.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)