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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

oder weniger concentrisch (zwiebelschalenartig) über einander lagernden Erdschichten sind an verschiedenen Stellen der Erde von verschiedener Dicke, Form und Structur, auch hier und da verschoben und von unterliegenden Gesteinen durchbrochen. – Zwischen diesen verschiedenen sedimentären Schichten finden sich nun aber nicht etwa schroffe Grenzen, so daß man, wie dies früher angenommen wurde, an zeitweilige Erdrevolutionen oder Katastrophen denken könnte, welche Alles, was zu dieser Zeit bestand, vernichtete, so daß alsdann nach Beendigung der Katastrophe eine vollständig neue Schöpfung stattfinden mußte. Nur ganz allmählich gehen die unorganischen und organischen Bestandtheile einer Sedimentschicht in die andere über. Jedoch zeichnet sich eine jede Schicht vor der andern in Etwas durch ihren anorganischen und organischen Gehalt aus, so daß man allerdings eine bestimmte Reihe auf einander folgender Schichten (Perioden) unterscheiden kann. Niemals finden sich aber in einer dieser Schichten so ganz neue organische und unorganische Körper vor, daß diese von denen der vorhergehenden und nachfolgenden Periode vollständig verschieden wären. Uebrigens bedarf es solcher räthselhafter Revolutionen und Schöpfungsnachschübe zur Erklärung der Veränderungen, welche bis jetzt auf der Erdoberfläche mit dem Erdboden, den Pflanzen, Thieren und Menschen vor sich gegangen sind, gar nicht, da ganz ähnliche Vorgänge noch jetzt unter unseren Augen vor sich gehen. Hebungen und Senkungen des Erdbodens finden fortwährend statt, die Vertheilung von Wasser und Land an der Erdoberfläche befindet sich in ununterbrochenem Wechsel und Land und Meer streiten sich beständig um die Herrschaft; seitdem tropfbar-flüssiges Wasser auf der Erde existirt, haben die Grenzen von Wasser und Land sich immerfort verändert. Ununterbrochen nagt die Brandung an dem Saume der Küsten und was das Land an diesen Stellen beständig an Ausdehnung verliert, das gewinnt es an anderen Stellen durch Anhäufung von Schlamm, der sich zu festem Gestein verdichtet und sich als neues Land über den Meeresspiegel erhebt. Von festen und unveränderlichen Umrissen unserer Continente kann keine Rede sein. – Wenn nun diese Hebungs- und Senkungsprocesse auch so langsam geschehen, daß sie im Laufe eines Jahrhunderts die Meeresküste nur um wenige Zoll oder sogar nur um Linien heben oder senken, so bewirken sie doch im Laufe langer Zeiträume großartige Resultate. Continente und Inseln sind unter Meer versunken und neue sind daraus emporgestiegen; Seen und Meere sind langsam gehoben worden und ausgetrocknet, und neue Wasserbecken sind durch Senkung des Bodens entstanden; Halbinseln wurden durch Versinken der Landenge zu Inseln u. s. f. So hat z. B. früher Afrika mit Spanien, England mit dem europäischen Festlande, Europa sogar mit Nordamerika zusammengehangen; so war einst das Mittelmeer ein Binnensee und die Südsee, sowie der indische Ocean waren Continente. Letzterer Continent, welcher sich von den Sunda-Inseln längs des südlichen Asiens bis zur Ostküste von Afrika erstreckte, wurde von Sclater wegen der für ihn charakteristischen Halbaffen „Lemuria“ genannt. Hier ist wahrscheinlich die Wiege des Menschengeschlechts, wo dieses aus Anthropoiden oder Menschen-Affen hervorging. Der heutige malayische Archipel bestand früher (nach Wallace) aus zwei ganz verschiedenen, durch eine Meerenge getrennten Continenten, von denen der westliche (der indo-malayische Archipel) mit dem asiatischen Festlande, der östliche (austral-malayische Archipel) mit Australien zusammenhing; beide Continente sind größtentheils unter den Meeresspiegel versunken. – In der Jetztzeit steigt die Küste von Schweden und ein Theil der Westküste Südamerikas beständig langsam empor, während die Küste von Holland und ein Theil von der Ostküste Südamerikas allmählich untersinkt. So ist Nantwich in Cheshire (England) seit einigen Jahren fortwährend im Sinken begriffen. – Kurz es haben niemals Umwälzungen über die ganze Erdoberfläche auf einmal stattgefunden, nur örtliche Katastrophen haben sich auf langsame, allmähliche und unmerkliche Weise entwickelt.

Da die Hebungen und Senkungen der verschiedenen Erdtheile im Laufe von Jahrmillionen vielfach mit einander wechselten, so giebt es wahrscheinlich keinen Oberflächentheil der Erdrinde mehr, der nicht schon wiederholt über und unter dem Meeresspiegel gewesen wäre. Durch diesen vielfachen Wechsel erklärt sich die Mannigfaltigkeit und die verschiedenartige Zusammensetzung der zahlreichen neptunischen Gesteinsschichten, welche sich an den meisten Stellen in beträchtlicher Dicke über einander abgelagert haben. – Die verschiedenen übereinander abgelagerten Schichten der neptunischen Gesteine, welche zusammen eine Rinde von etwa hundertdreißigtausend Fuß bilden und in sehr mannigfaltiger Weise aus Kalk, Thon und Sand zusammengesetzt sind, werden von den Geologen in Gruppen oder Perioden eingetheilt und davon fünf große Hauptabschnitte (Terrains, Zeitalter) bezeichnet, jeder mit mehreren untergeordneten Schichtengruppen (Systemen), die wieder aus kleineren Gruppen (Formationen) bestehen. – Die Hauptabschnitte sind: das primordiale, primäre, secundäre, tertiäre und quartäre Zeitalter.

Die Zonen-Unterschiede, welche zur Zeit auf unserer Erde, in Folge der Verdickung der Erdrinde und der Einwirkung der Sonnenwärme, sehr auffallend hervortreten, bestanden vor der Quartärzeit noch nicht und es herrschte damals auf der ganzen Erde, veranlaßt durch den feurig-flüssigen Erdkern, nur ein Klima, und zwar ein gleichmäßig heißes, welches dem heißesten Tropenklima der Jetztzeit nahe stand oder dasselbe noch an Wärme übertraf. Wie die versteinerten Reste von Pflanzen beweisen, war damals der höchste Norden mit Palmen, Tulpenbäumen, Lorbeern, Myrthen und anderen Tropengewächsen üppig bedeckt und Tiger, Rhinocerosse und Elephanten wandelten unter ihnen. Nur sehr langsam und allmählich nahm späterhin dieses Klima ab und erst im Beginn der Tertiärzeit erfolgte, wie es scheint, die erste wahrnehmbare Abkühlung der Erdrinde von den beiden Polen her und damit die erste Sonderung verschiedener klimatischer Zonen. – Innerhalb der Tertiärperiode ging dann allmählich die Abkühlung so weit, daß an beiden Polen der Erde das erste Eis entstand. Dieser Klima-Wechsel übte einen enormen Einfluß auf das organische Leben aus und zog theils Aussterben von Organismen, welche sich der Kälte nicht anpassen konnten, nach sich, theils veranlaßte es Auswanderungen derselben nach wärmeren Gegenden. – In der Diluvialzeit sank die Temperatur von den Polen her noch immer fort, ja selbst noch weit unter den heutigen Frostgrad herab. Vom Nordpol breitete sich die Kälte über das nördliche und mittlere Asien, Europa und Nordamerika aus und erzeugte hier eine zusammenhängende Eisdecke, welche bei uns bis gegen die Alpen gereicht zu haben scheint. Vom Südpol erstreckte sich das Eis über einen großen Theil der südlichen Halbkugel. So blieb zwischen diesen beiden Eismeeren nur noch ein schmaler Gürtel übrig, auf welchem noch genug Wärme für Organismen vorhanden war. Diese im ersten Abschnitt der Diluvialzeit auftretende Eisdeckenbildung wird als „Eiszeit, Glacialperiode“ bezeichnet, und während dieser existirte der Mensch schon. – Kenntniß von dieser Eiszeit erhielt man durch die sogenannten Wander- oder Irrblöcke (erratische Steinblöcke) und die Gletscherschliffe, deren Bedeutung zuerst von Schimper, dann von Charpentier, Agassiz und Forbes aufgeklärt wurde. Die Irrblöcke wurden als durch Eisschollen von ihrem Wohnorte hier und dahin in entfernte Gegenden transportirte Felsstücke erkannt. – Nur ganz allmählich gewann die Sonne Herrschaft über jene Eismassen und es kamen so die jetzigen Zonen-Unterschiede und die Jahreszeiten zu Stande. – Aber nicht blos einmal scheint eine solche Eiszeit auf der Erde bestanden zu haben, sondern ein wiederholter Wechsel zwischen Eistemperatur und wärmeren Luftzuständen dürfte während der Bildung der obersten Erdrindenschichten existirt haben, und zwar ebenso auf der Nordhemisphäre, wie auf der südlichen Halbkugel der Erde. Diese Eiszeiten bilden jetzt noch das vorzüglichste ungelöste Problem für die geologische Forschung und sie scheinen sich in Jahrtausenden wiederholen zu können.

Innerhalb der Erdrindeschichten, welche durch Niederschläge aus dem Wasser gebildet wurden, finden sich nun Ueberbleibsel von Organismen, und zwar von so verschiedener Art, daß man daraus mit Sicherheit ersehen kann, wie jede dieser Schichten von verschiedenen Pflanzen und Thieren bewohnt wurde. An diesen Ueberresten, welche aus Kalkschalen, Muscheln, Knochen, Knochentheilen, Haaren, Federn, Zähnen, Fußspuren, Abdrücken, versteinerten Kothüberresten und dergleichen bestehen, läßt sich aber ebenfalls ganz deutlich ersehen, daß keine Erdrevolutionen oder Katastrophen vor sich gegangen sind, welche alle die eben vorhandenen Thiere und Pflanzen vollständig vernichteten, so daß nach ihrer Beendigung eine vollständig neue Schöpfung von Organismen nöthig geworden wäre und nun eine ganz neue Welt von Pflanzen und Thieren, ganz und gar verschieden von denen der früheren Periode existirt hätte. Wie bei den Schichtgesteinen läßt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)