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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Entwickelung der Erdrinde mit ihren Bewohnern.
I.


Die Erde, wahrscheinlich ein abgetrenntes Stück unserer Sonne (wie auch die übrigen Planeten unseres Sonnensystems), war zu Anfange ein feurig-flüssiger Körper, an dessen Oberfläche sich durch Ausstrahlung der inneren Gluthhitze in den kalten Weltenraum, durch Abkühlung und Erstarrung des obersten Feurigflüssigen, allmählich eine dünne Rinde oder Kruste bildete, welche im Verlauf der Zelt nach und nach etwas an Dicke zunahm, doch nur so, daß sie in der Gegenwart noch lange nicht den hundertsten[WS 1] Theil vom ganzen Durchmesser der Erde bildet und nur etwa fünfzehn bis zwanzig Meilen dick ist. Noch jetzt befindet sich das Innere unseres Erdballes in einem feurig-flüssigen Zustande, in Weißglühhitze (Centralfeuer), und dafür spricht: zuvörderst die Temperatur der Erdrinde, welche nach dem Innern hin stetig zunimmt und zwar so, daß auf jede hundert Fuß Tiefe die Temperatur um einen Grad wächst. In einer Tiefe von zehntausend Fuß siedet das Wasser; bei acht Meilen Tiefe muß eine Hitze von achtzehnhundert Grad herrschen und das Eisen schmelzen, und bei etwa fünfzehn Meilen werden alle festen Stoffe unserer Erdrinde sich in geschmolzenem, feurig-flüssigem Zustande erhalten. Es sprechen ferner dafür: die Quellen, welche aus beträchtlicher Tiefe hervorkommen und Wasser in kochendem Zustande liefern; sodann die Vulcane, welche aus dem Erdinnern feurig-flüssige Gesteinsmassen (als Lava) durch einzelne Erdrinden-Oeffnungen herauswerfen.

Die erste, aus einer geschmolzenen, anfangs Schlacken bildenden Masse hervorgegangene krystallinische Erhärtungskruste wird die ganze Oberfläche der Erde als eine zusammenhängende, glatte, dünne Schale gleichmäßig überzogen haben und von einer glühendheißen, sehr schweren und enormen Druck ausübenden Atmosphäre umgeben gewesen sein, in welcher das Wasser nur in Dampfform existiren konnte, so daß zu dieser Zeit die Luft für die Sonnenstrahlen undurchdringlich gewesen sein und tiefe Finsterniß auf der Erde geherrscht haben muß. Durch die fortschreitende Abkühlung des feurig-flüssigen Kerns verdichtete sich dieser (wodurch der ganze Erddurchmesser sich verkleinerte), die dünne starre Rinde rings um denselben zerborst an vielen Stellen und die Oberfläche derselben wurde dadurch uneben und höckerig. Auch indem die abgekühlte Rinde durch den Erstarrungsproceß sich selbst zusammenzog und so Sprünge und Risse bekam, aus welchen Feuerflüssiges hervorquoll, entstanden Zerklüftungen und Unebenheiten auf derselben.

Erst nachdem die Temperatur auf der äußern Oberfläche des Erdballs bis zu dem Grade gesunken war, daß das Wasser sich aus der Dampfform in tropfbarflüssigen Zustand verdichten konnte, kam die erste Entstehung des Wassers zu Stande und mit dieser, durch Herabfallen des Wassers aus der Luft auf die Erde, eine Klärung der bis dahin trüben atmosphärischen Luft. Natürlich war das Wasser (das Urweltmeer), sowie die mit Kohlensäure und anderen schädlichen Gasen geschwängerte Luft noch in glühend heißem Zustande. – Die erste Rindenschicht, welche den feurigen Erdkern umschließt und die höchst wahrscheinlich zu wiederholten Malen der Zertrümmerung und Auflösung unterworfen war, besteht aus den härtesten Gesteinen (Granit, Syenit, Basalt, Porphyr, Grünstein) und den schwersten Metallen. Wegen ihres Reichthums an Kieselgestein (Silicaten) wird sie auch „Silicatmantel“ genannt. Die sich an die innere Fläche dieses Mantels anlagernden Gesteine erhielten den Namen „Urgesteine, plutonische oder Massengesteine“.[1] – Ueber dem Silicatmantel bildete sodann das durch die Sprünge dieser Erstarrungsschicht hervorquellende und sich mit dem glühendheißen Wasser mengende Feurigflüssige eine zweite (vulcanische) Gesteinsschicht, welche theils durch Abkühlung, theils durch den Druck der Atmosphäre und den großen Druck der nachfolgenden Rindenschichten in krystallinischen Zustand versetzt wurde und sich durch ihr wellenförmiges, schieferiges Gefüge auszeichnet. Diese vulcanisch-neptunischen Bildungen werden deshalb „Schiefergesteine“ (Urthonschiefer) genannt und bestehen hauptsächlich aus Gneiß, Glimmer- und Talkschiefer. Aus diesen, jetzt die erste Erdrindenschicht zusammensetzenden Gesteinen bildete sich nun durch die zerstörende Kraft des Wassers und der Luft Erdboden.

Das in Form von wolkenbruchähnlichem Regen aus der Atmosphäre auf die steinigen, aus dem Urweltmeer hervorragenden Erhöhungen herabstürzende Wasser leitete nämlich mit der atmosphärischen Luft einen Zerstörungsproceß (die Verwitterung) dieser Gebirge ein, spülte das zerstörte Gestein von der Höhe der Berge herunter und lagerte dasselbe als schlammig-steinige Erde zuerst auf dem Boden des Urweltmeeres, später über dem Wasser rings um den Fuß der Gebirge und in den Klüften zwischen diesen schichtenweise ab. Mit Hülfe von Wasserfluthen wurde die steinige Schlamm- und Erdmasse über die Erdoberfläche hin verbreitet, und diese Verbreitung geschah theils so, daß das Wasser gewisse Mineralien auflöste, die sich dann entweder als solche oder mit anderen zu neuen Stoffen verbunden hier und da wieder ausschieden, theils dadurch, daß es dergleichen Stoffe nur mit sich fortriß und später an dieser oder jener Stelle wieder fallen ließ. – Auf dem so entstandenen Erdboden, einem neptunischen Gebilde, kamen sodann, nachdem die hohe Temperatur des Wassers und der Luft insoweit noch gesunken war, daß sie das Leben organischer Körper nicht mehr vernichtete, zuerst Pflanzen und nach ihnen Thiere von der allereinfachsten Organisation zum Vorschein. Beide Organismen entwickelten sich höchst wahrscheinlich durch Urzeugung aus anorganischen Stoffen und verdanken vorzugsweise dem Wasser (aus welchem zu fast vier Fünfteln die Organismen bestehen) ihre Lebensfähigkeit.

Seit dieser Zeit setzt das Wasser seine außerordentlich wichtige Wirksamkeit ununterbrochen fort, erzeugt fort und fort neptunische Umbildungen der Erdrinde und gestaltet dadurch die Erdoberfläche fortwährend, wenn auch langsam, um. Indem es als Regen niederfällt, die obersten Schichten der Erdrinde durchsickert und von den Erhöhungen in die Vertiefungen herabfließt, löst es verschiedene mineralische Bestandtheile des Bodens chemisch auf und spült mechanisch die locker zusammenhängenden Theilchen hinweg. An den Bergen herabfließend, führt das Wasser den Schutt derselben in die Ebene und lagert ihn als Schlamm im stehenden Wasser ab. Ebenso arbeitet die Brandung des Meeres ununterbrochen an der Zerstörung der Küsten und an der Auffüllung des Meeresbodens durch die herabgeschlemmten Trümmer. – Würde dieser Thätigkeit des Wassers nicht durch vulcanische und plutonische Hebungs- und Senkungsprocesse entgegengetreten, so würde im Verlauf der Zeit die Erdoberfläche geebnet und von einer zusammenhängenden Wasserschale umschlossen sein. Aber die Reaction des feurigflüssigen Erdkerns gegen die feste Rinde bedingt ununterbrochen, meistens sehr langsam und allmählich, wechselnde Hebungen und Senkungen an den verschiedensten Stellen der Erdoberfläche. Indem diese Hebungen und Senkungen der verschiedenen Erdtheile im Laufe von Jahrmillionen vielfach mit einander wechseln, kommt bald dieser, bald jener Theil der Erdoberfläche über und unter den Spiegel des Meeres, und es bilden sich durch anorganische und organische Ablagerungen verschieden dicke Gesteinsschichten von der verschiedenartigsten Zusammensetzung, mit Resten von pflanzlichen und thierischen Organismen. Auch Pflanzen und Thiere sind immerfort mit thätig, um den Meeresboden zu erhöhen; in den oberen Meereszonen sind es besonders die Nulliporen, Muscheln und Korallen, in der Abgrundzone die mikroskopisch kleinen Diatomaceen, Polythalamien und Zellenthierchen, welche zu Myriaden vorhanden sind und die Fällung der Kiesel- und Kalkerde vermitteln.

Weil man die Stoffe, welche sich aus dem Wasser und zwar gewöhnlich in Schichten über einander absetzen, „Sedimente, Niederschläge“ nennt, so erhielten alle die Erdschichten oberhalb des Massen- und Schiefergesteins (aus welchem sie durch Verwitterung hervorgingen) den Namen „sedimentäre oder Schichtgebilde, Flötzgebirge, geschichtete Niederschlagsgebirge“. Die wesentlichsten Bestandtheile dieser Schichten sind: Thonerde, Kieselerde und Kalkerde, welche Mineralien die Bildung von Thonschichten, Sand- und Kalksteinen veranlaßten. Diese mehr

  1. Man pflegt nämlich Gesteine, welche in der Tiefe der Erde aus dem Feurigflüssigen entstanden sind, als „plutonische“, solche dagegen, welche sich an der Erdoberfläche aus Feurigflüssigem bildeten, was aus dem Erdinnern hervorquoll, als „vulcanische“, und Gesteine, bei deren Entstehung das Wasser mithalf, als „neptunische“ zu bezeichnen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: tausendsten (korrigiert nach: Druckfehler. Heft 13, Seite 216)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_138.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2016)