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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Pfarre hier oben, die Sie eben nur vor dem Hunger schützt, die Sie seit zwanzig Jahren von Welt und Menschheit abschneidet, und Sie nur Scenen der Armuth und des Elendes schauen läßt? Darum mit dem Leben gebrochen, die Zukunft verschüttet, das Glück abgeschworen – der Tausch ist doch zu ungleich!“

Die hellen milden Augen des Greises begegneten ruhig dem düster flammenden Blick seines jungen Mitbruders. „Darnach habe ich nie gefragt!“ sagte er einfach. „Ich habe es als eine mir zugewiesene Pflicht genommen, und mich redlich bemüht, sie zu erfüllen. Leicht freilich ist sie mir nicht immer geworden. Ich habe schlimme Zeiten hier oben durchlebt; es hat Tage und Wochen gegeben, wo ich mit meinen armen Dörflern gedarbt habe, weil ich’s nicht über’s Herz bringen konnte, mit Härte meine schmalen Einkünfte einzutreiben, die sie beim besten Willen nicht schaffen konnten, und noch schwerer ist’s mir oft geworden, wenn ich nur geistlichen Trost spenden konnte, wo ich so gern mit der That geholfen hätte, und wo die Hülfe so nothwendig gewesen wäre. Wie der Herr will! Ich bin nun über die Siebenzig hinaus, lange kann es ja doch nicht mehr währen, bis ich mein Haupt zur Ruhe lege. Hat mir das Leben auch nicht viel Gutes gegönnt, ich nehme doch die Ueberzeugung mit, daß ich mich auf meinem geringen Acker redlich gemüht habe; Gott weiß es – ich war ja wohl keines besseren werth!“

Es lag eine rührende Resignation in den einfachen Worten, Benedict blickte schweigend auf das greise, müde Leben, das sich so still und geduldig dem Grabe zuneigte, so ohne alles Murren und Klagen auf das Loos zurückblickte, das ihm gefallen war; aber für den jungen Priester war diese stille Ergebung nur ein Stachel mehr, er hatte noch den ganzen Trotz der Jugend, die wohl unterzugehen, aber nicht zu entsagen versteht, und er war im Begriff eine leidenschaftliche Antwort zu geben, als in ihrer Nähe Schritte ertönten; vom Dorfe her kamen zwei Freunde, gleichfalls in ihre Mäntel gehüllt, auf sie zu.

Die Erscheinung Fremder war hier etwas so Ungewöhnliches, daß die beiden Geistlichen ihr Gespräch unterbrachen und ihnen überrascht entgegenblickten. Benedict schien sie zu erkennen, und sofort verschwand die kurze Offenheit, die er dem Pfarrer gegenüber gezeigt hatte, um der alten Verschlossenheit Platz zu machen, als er den Ankommenden entgegenging und den Aelteren von Beiden artig, aber eisig begrüßte.

„Herr Graf Rhaneck, Sie hier?“

Der Graf bot ihm die Hand und wandte sich dann an den Pfarrer. „Verzeihen Sie, Hochwürden, mein Hiersein gilt nur Ihrem Caplan, den ich dringend zu sprechen wünschte. Man sagte uns im Pfarrhause, daß er soeben fortgegangen sei, und daß wir ihn noch einholen würden.“

Der Greis verneigte sich höflich vor den beiden vornehmen Herren, die Benedict ihm nannte. „Wollen der Herr Graf nicht mit uns umkehren? Der Ort und das Wetter ist wenig geeignet zu einer Unterredung im Freien.“

„Ich danke!“ unterbrach ihn Rhaneck schnell. „Unser Gespräch wird nur kurz sein; überdies ist Pater Benedict, wie ich höre, auf einem Amtswege begriffen, ich möchte nicht die Schuld einer Verspätung auf mich nehmen.“

Der Pfarrer mochte wohl an dem Wesen des Fremden sehen, daß es sich hier um eine Unterredung von Wichtigkeit handelte, er verabschiedete sich daher, indem er die Hoffnung aussprach, die Herren würden ihm bei der Rückkehr die Ehre erweisen, noch auf einige Minuten in’s Pfarrhaus zu treten. Der Graf sagte zerstreut zu, er wartete mit offenbarer Ungeduld, bis der Geistliche außer Gehörweite war, und wandte sich dann rasch zu Benedict.

„Wir suchten Dich, Bruno! Wie Du siehst, hat Ottfried mich begleitet. Ihr seid im Grolle geschieden und schuldet einander noch die Aussöhnung, die ich von Euch verlangte. Was Ihr damals in der Hitze des Streites verweigertet, werdet Ihr mir jetzt gewähren. Ottfried bietet Dir die Hand zur Versöhnung, Du wirst sie annehmen.“

Die Worte waren milde, aber doch im Tone eines unbedingten Befehls gesprochen. Ottfried’s Antlitz verrieth deutlich genug, daß sein Entgegenkommen ein erzwungenes war, dennoch streckte er gehorsam die Hand aus, Benedict rührte sich nicht.

„Nun?“ fragte der Graf noch ruhig, aber doch in schärferem Tone.

Der junge Priester trat zurück. „Ich bitte, ersparen Sie dem Grafen und mir eine Ceremonie, die uns Beiden gleich peinlich ist und in unserer gegenseitigen Stellung nicht das Geringste ändert!“ entgegnete er kalt.

Ottfried ließ wie erleichtert die Hand wieder sinken, aber trotzdem schoß ein Blick tiefen Hasses aus seinem Auge auf den „Bedientensohn“, der es wagte, sein Entgegenkommen in dieser Weise abzulehnen.

Das Auge Rhaneck’s glitt langsam von Einem zum Anderen. Man konnte nicht Verschiedeneres sehen, als diese Beiden, wie sie so nebeneinander standen. Der junge Graf mit dem blonden Haar, den hellen Augen und den matten, leblosen Zügen, die, so deutlich sie auch seine Rhaneck’sche Abstammung bekundeten, so sehr sie denen des Vaters glichen, doch nicht das Geringste von jenem charakteristischen Ausdruck zeigten, der dem stolzen Geschlecht eigen war, und das bleiche, energisch gezeichnete Antlitz des jungen Priesters mit dem schwarzen Lockenhaar und den tiefdunklen Augen. Nicht in einem Zuge, nicht in einer Linie glichen sie sich und doch hatten sie Eins gemeinsam, die hohe schlanke Gestalt, die eigenthümlich stolze Wendung des Kopfes, den Gang und die Haltung. Die Aehnlichkeit trat heute, wo auch Ottfried einen dunklen Mantel trug, auffallender als je hervor; von ferne gesehen hätte man sie mit einander verwechseln können. Auch dem Grafen schien sich diese Wahrnehmung aufzudrängen, sein Blick lag schwer und düster auf den beiden jungen Männern und blieb zuletzt auf dem Aeltesten haften.

„Diesmal bist Du es, Bruno, der den alten, unheilvollen Riß noch erweitern will!“ sagte er vorwurfsvoll. „Sei’s darum! in einer Stunde wirst Du anders denken, Du wirst dann selbst die Hand zur Versöhnung bieten, ich weiß es. Laß uns allein, Ottfried!“

Der junge Graf gehorchte, aber der alte Groll wallte wieder heiß in ihm auf, als er sich zurückzog. Die Vorgänge der letzten Zeit waren ihm nicht verborgen geblieben und er errieth nur zu gut, was der Vater mit dieser plötzlichen Fahrt in’s Gebirge beabsichtigte. Er wollte seinen Schützling warnen, ihn retten vielleicht vor dem drohenden Zorne des Bruders, aber weshalb er dabei den Sohn mit sich nahm, weshalb er auf einmal so hartnäckig auf einer Aussöhnung bestand, nachdem Monden seit jenem Streite vergangen waren, das wußte sich Ottfried nicht zu erklären. Gereizt, wie er schon war, verletzte es ihn noch tiefer, daß der Graf ihn so ohne Weiteres fortschickte, weil er mit Pater Benedict zu reden hatte, verletzte es ihn um so mehr, als er sich sagen mußte, daß diesem gegenüber eine gleiche Rücksichtslosigkeit nie stattgefunden hätte. Freilich, dieser Mönch durfte sich ja Alles erlauben, er bewies es eben wieder auf’s Neue, wo er dem Befehl seines hohen Gönners so entschieden den Gehorsam versagte, und der Graf, der bei dem eignen Sohne so energisch jede Regung des Ungehorsams zu unterdrücken wußte, schien diesem Trotz gegenüber machtlos. Das räthselhafte Verhältniß, in welchem sie Beide zu einander standen und das Ottfried schon seit jener Begegnung im Walde beschäftigte, trat ihm jetzt auf’s Neue vor Augen, aber er fand heute so wenig eine Erklärung dafür wie damals.

Rhaneck befand sich jetzt allein mit Benedict, der ihm gegenüberstand wie gewöhnlich, stumm, finster und ohne die geringste Empfindung für den augenscheinlichen Beweis der Theilnahme, den sein Beschützer ihm mit diesem Erscheinen hier wiederum gab.

„Bruno, um Gotteswillen, was hast Du gethan!“

Der Gefragte hob mit kaltem Trotze das Haupt. „Was ich gethan habe, werde ich zu vertreten wissen! Jedenfalls steht nur meinem Abte das Recht zu, Rechenschaft darüber zu fordern – ihm werde ich sie geben, sonst Keinem!“

In dem Antlitz des Grafen kämpfte der ansteigende Zorn über die schroffe Antwort mit einer anderen schmerzlicheren Empfindung.

„Das also ist der Dank für all meine Sorge und Angst um Dich!“ sagte er bitter. „Dein Vertrauen habe ich freilich nie besessen, seit einiger Zeit aber scheinst Du Dich förmlich feindselig von mir abzuwenden.“

Benedict senkte das Auge, der Vorwurf rief wieder jenes Gefühl der Beschämung in ihm wach, das immer und immer mit der geheimen Abneigung kämpfte, deren er sich nun einmal nicht erwehren konnte, dem Manne gegenüber, dem er doch so Vieles dankte.


(Fortsetzung folgt.)


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