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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wurde, bestand sie nur aus einer Kemnate (wahrscheinlich dem Heidenbau) mit Wall und Ringmauer, einer Cisterne und einer Zugbrücke. In diesem ziemlich beschränkten Raume fand dennoch Friedrich der Weise sammt Philipp von Hessen und Herzog Johann von Sachsen Platz, die Anno 1520 mit dreihundertvierundsechszig Pferden zum Thore hereinritten. Dann erst kam der Fürst, dem die Burg die Gestalt verdankt, in der wir sie, im Aeußern wenigstens, größtentheils heute noch sehen, der Herzog Johann Friedrich, genannt der Mittlere.

Die Arbeiter in den Steinbrüchen von Streufdorf und in den Schieferbrüchen bei Lehesten merkten’s im Jahr 1558 zuerst, daß der Herzog etwas Großes vorhabe. In der That baute er sich eine neue Residenz mit allen Einrichtungen zu einer stattlichen Hofhaltung. Als Hauptgebäude prangt noch heute in seinem Renaissancestil mit den beiden Erkern voll reichster Ornamentik und dem schlanken Schneckenthurm das Schloß, gewöhnlich der französische Bau genannt, der Schmucktheil unserer Abbildung. Das weitläufige Gebäude mit seinen Nebenflügeln enthielt nicht nur zahlreiche Gemächer, sondern, wie die meisten gleichzeitigen Schlösser, auch einen „Riesensaal“ und eine Kirche. Für das zahlreiche Beamten- und Dienstpersonal war der Commandantenbau und ein Küchenbau errichtet und auch der Heidenbau, ein stilloser Steinkoloß, ist mit nutzdienlich gemacht worden. Alle diese Gebäude stehen noch, bis auf den Küchenbau, der die freie Aussicht nach rechts (Westen) hin beschränkte und als baufällig fallen mußte. Zu den Sehenswürdigkeiten gehört noch heute der Brunnen vor dem Hauptthore: hundert Fuß tiefer, als der Berg sich über das Thal erhebt, war er von Saalfelder Bergleuten durch den Felsen gehauen, und trotzdem die Unklugheit der Gäste seine Tiefe seit mehr als hundert Jahren durch Hinabwerfen von Steinen bemißt, ist er noch immer etwa dreihundertdreißig Fuß tief.

Eine andere Sehenswürdigkeit ist wenige Schritte rechts über Steingetrümmer zu erreichen: der Eingang zum Hexenthurm. Welch schauerliches Verließ! Oben im Gewölbe steckt noch der eiserne Haken, durch den das Seil lief, an welchem man die armen Opfer des Wahns in die Tiefe hinabließ. Ein eisernes Kreuz verschließt die runde Oeffnung. Ein Kreuz mußte es sein, um dem Teufel den Ein- und Ausgang zu verwehren. Es ist eine furchtbare Wahrheit, daß unter keinem andern Zeichen der Welt so gräßlich gesündigt worden ist, wie unter dem Kreuz. – Von wie viel Jammer konnten nur die Actenstöße der Hexenprocesse des Archivs und die Folterwerkzeuge der Marterkammer erzählen![1] Das Archiv ist zu Düten verarbeitet, die Marterkammer steht, wie die ehemalige Rüstkammer, leer. Aber dieser Thurm ragt aus jenen Tagen der Finsterniß in unsere hellere Gegenwart als trotziger Mahner.

Voll und kräftig erscholl in jenem Augenblick, als ich aus dem Hexenthurm herabstieg, das erste Lied der Sängerschaaren im Burghof, ich schlich durch die lauschenden Gruppen im Hain und im Hof zum Schloß hinauf; die frischaufblühende Vaterlandsbegeisterung hob sichtlich die Herzen, es war eine Freude, zu athmen in diesem Licht, – und dennoch konnte ich den finstern Mahner nicht los werden: mitten durch die herzerwärmende Melodie drang es mir wie ein Wehschrei der Gepeinigten in’s Herz, und gerade in diesem Augenblick stand ich vor der hohen Bogenthür zu den ehemaligen Prachtgemächern, über welcher die zwei steinernen Häupter herausragen als ein Denkmal, daß Fürstentrotz den Rittertrotz noch gewaltig überboten. Denn der Eine ist der Herzog Johann Friedrich der Mittlere, der Reichsfürst, und der Andere – Wilhelm von Grumbach, der Reichsgeächtete! Und wie lebend stiegen die Gestalten Beider, des Herzogs und des Ritters, vor mir auf, und beide auf dem letzten Gange, der Eine, um sich für’s ganze Leben in Fesseln schlagen, und der Andere, um sich viertheilen zu lassen.

Ja, wir stehen hier, auf unserer alten schönen Heldburg, auf einem Verherrlichungs- und Wendepunkt jenes Dramas, das man die „Grumbach’schen Händel“ nennt und dessen Personenreichthum so groß ist, wie dessen Schauplatz, der sich über ganz Deutschland erstreckte und selbst Frankreich, England, Dänemark und Schweden mit in sein Bereich zog.

Um die Großartigkeit desselben anzudeuten, muß ich im Voraus bemerken, daß der einfache Racheact des fränkischen Ritters gegen seinen geistlichen Lehnsherrn und das Bestreben des Reichsfürsten, sein verlorenes Erbe und die Kurwürde wieder zu erlangen, durch den Bund Beider sich bis zu dem Plan und der Gefahr aufthürmte, daß durch eine allgemeine deutsche Adelsrevolution der Herzog zum Kaiser und der Ritter zum Herzog von Franken erhoben werden könne und solle. Das allein zeigt genügend an, in wie viel Interessen diese Händel eingriffen, wie Reichsfürsten und Geistlichkeit, Reichsstädte und Ritter und die Kaisermacht selbst mit in dieselben hineingerissen wurden. Dazu die Gelüste des Auslandes und der Einfluß eines noch allherrschenden Aberglaubens – und dies Alles nach den hunderterlei Parteistandpunkten aufgefaßt, absichtlich verdreht und so gedruckt und geschrieben niedergelegt – war es da zu verwundern, daß dieses Stück deutscher Geschichte fast nur in Zerrbildern auf die Nachwelt kam und Recht und Unrecht so lange nicht geschieden werden konnten?

Dazu rechne und bedenke man die bis in die Gegenwart noch nicht völlig beseitigte Unsitte und Engherzigkeit, dem Geschichtsforscher die Benutzung besonders der Staatsarchive möglichst zu erschweren. Wie konnte die Wahrheit an den Tag kommen, wenn die eigenen Aussagen und Niederschriften der Hauptbetheiligten des verwickeltsten und verwirrtesten aller deutschen Ereignisse nicht an das Licht der Prüfung und Vergleichung kommen durften? – Erst seit wenigen Jahren können wir mit Stolz behaupten, daß diese Arbeit für die Grumbach’schen Händel endlich und in anerkennenswerthester Weise, soweit eben die Archive dazu benutzbar waren, vollbracht ist. Dr. Friedrich Ortloff, wirklicher geheimer Rath und Präsident des Gesammtoberappellationsgerichts zu Jena, hat in vier stattlichen Bänden diese mühselige Arbeit vollendet.[2] Der hohen, einflußreichen und verantwortlichen Stellung dieses Gelehrten verdanken wir es ohne Zweifel, daß vor ihm mancher sonst verschlossene Archivschrank aufging. Und welche Fülle von Material war zu überwinden! Er selbst giebt als die zu seinem Werke benutzten Quellen über fünfhundert Actenfascikel aus den Archiven von Dresden, Koburg, Weimar, Würzburg etc. an, dazu viele geschriebene Chroniken und andere Handschriften, Aufzeichnungen von Zeitgenossen im Besitz historischer Vereine und Bibliotheken, zahlreiche gleichzeitige Druckschriften, öffentliche Anklage- und Vertheidigungsschriften, Briefe, gesammelte Urkunden, Lob- und Spottgedichte in deutscher und lateinischer Sprache, Lebensgeschichten von Hauptbetheiligten und endlich noch eine Reihe früherer Bearbeitungen der Grumbach’schen Händel. Den daraus gewonnenen Inhalt seines Werkes können wir hier natürlich nur in den äußersten Umrissen angeben.

Sollen aber auch unsere nichtsächsischen Leser eine klare Anschauung von der Möglichkeit erhalten, daß ein einfacher Ritter einen der ersten Fürsten des Reichs so eng an sein Verhängniß ketten konnte, daß dieser mit ihm stehen und fallen mußte, so müssen sie uns ein paar Schritte rückwärts in der Geschichte des Wettiner Fürstenstammes folgen. Die durch Kunz von Kaufungen’s Prinzenraub allbekannt gewordenen Söhne des Kurfürsten Friedrich’s des Sanftmüthigen (gestorben 1464), Ernst und Albert, wurden die Stifter der beiden sächsischen Linien, der Ernestinischen und der Albertinischen, welche beide, jene in dem Großherzogthum

  1. Ich besitze selbst einen Heldburger Hexenproceß, in welchem ein vierzehnjähriger Knabe gegen seine Mutter zeugen soll. Die Anklage gegen dieselbe lautet: sie habe ihm zwei Mal ein krummes Maul angemacht, weil er von ihr das Hexenhandwerk nicht habe lernen wollen. Die Zeugenaussage des Knaben liegt, von seiner Hand geschrieben, in dem Actenband; der Schluß derselben lautet in Bezug auf die Anklage gegen seine Mutter buchstäblich so: „Das ist in ewigkeit nicht war, meine Mutter hat gesagt ich sol ein erlich Hand Werck lernen, ich mög doch nicht hart arbeiten, so haben die Leut das Hecksen Handwerck daraus gemacht, Das ist in Ewigkeit nicht war, so war als got gott ist, daß sie mich was böses hat woln ler, sie hat mich Zum Guten gereitzet vnd angetrieben. Den 28 Februari Valtinus Rücker Anno 1663.“ Diese Kindesaussage ist das einzige Vernünftige in dem ganzen Proceß, der vollständig, von der ersten Anklage bis zur letzten Scharfrichters- und Baderrechnung, vor mir liegt. Die arme Frau hatte zwei Male, jedes Mal acht Stunden, die Tortur ausgehalten. In Folge derselben mußten ihr an Händen und Füßen vier Glieder abgelöst werden. Trotz ihrer heldenhaften Ausdauer wurde sie, nun zum Krüppel geworden, des Landes verwiesen! – Und welcher Fürst hat diese Urtheile der „Verordneten Dechant, Senior und anderer Doctores des Schöppenstuels zu Jehna“ in eigenhändig unterzeichneten Rescripten auszuführen befohlen? – Herzog Be-Ernst! Ernst der Fromme, von dem seine Bewunderer sagen: „Sein Leben war ein fortgehendes zusammenhängendes Gebet: ‚O Gott, lehr’ erkennen dich und mich!‘ und sein Tod war das Amen dazu.“
  2. Geschichte der Grumbach’schen Händel. Jena, Friedrich Frommann. Erster Theil 1868, zweiter und dritter Theil 1869, vierter Theil 1870.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_114.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)