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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Loos ausgesöhnt zu haben. Mit sichtlichem Wohlbehagen ließen sie sich die ihnen von uns angebotenen Cigarren schmecken. Jubelnd von den uns entgegenkommenden Cameraden empfangen, fuhren wir gegen zwei Uhr wieder in Stenay ein. Unserm Sergeant Engelmann, der noch an demselben Tage die Gefangenen nach dem Hauptquartier transportiren mußte, ward die Ehre zu Theil, dem Prinz Georg persönlich über die Expedition Bericht zu erstatten.




Die Anfänge der Geschwister Rainer.


Von Ludwig Steub.


(Schluß.)


Es versteht sich, daß der Naturgesang von jetzt an einen ungemeinen Aufschwung nahm und täglich an Ansehen und Gedeihen wuchs vor Fürsten und Völkern, denn die Sänger hatten nun nicht mehr blos mit Wirths- und Gasthäusern, sondern auch mit Theatern und Höfen zu rechnen.

Als sie Karlsruhe verlassen, begaben sie sich nach Straßburg, „wo sie jede Ursache hatten, sich glücklich zu fühlen“, was vielleicht jetzt weniger der Fall wäre, – und von Straßburg nach Baden-Baden. Hier waren sie kaum ein paar Tage, als sie der König von Baiern rufen ließ, um mit ihrer Hülfe den Geburtstag seiner Gemahlin zu verherrlichen. Mittags sangen sie im neuen Hofsalon und am Abend im Landsitz der Königin von Schweden, wo sich zu den baierisch-badischen Herrschaften auch der Kronprinz und die Kronprinzessin von Preußen gesellten. Der König von Baiern, der alte Max, der noch im nämlichen Jahre sterben mußte, war damals so gut aufgelegt, daß er das Lied „Wenn ich in der Früh aufsteh’“, das er von den Tegernseer Almerinnen gelernt hatte, fröhlich selber mitsang.

Obwohl hoch entzückt von all dem high life, das sie so plötzlich umfangen hatte, beschlossen die Sänger in diesen Tagen dennoch wieder den Weg in die Heimath einzuschlagen und begaben sich über Stuttgart, wo sie vierzehn Tage rasteten und mit ebenso großem Beifall sangen, nach München an der Isar, wohin sie vorher ihre Eltern brieflich zum Wiedersehen beschieden hatten. Die Mutter war bis dahin noch nie aus dem Zillerthale herausgekommen, also auch nicht einmal in Innsbruck gewesen. Und in München fielen sich Eltern und Kinder auch mit unbeschreiblicher Freude um den Hals.

Alle mit einander zogen dann nach Tegernsee, wo sie den König Max wiederfanden und eine Woche blieben. Dann aber ging’s nach der Heimath, in’s fröhliche Zillerthal, nach Fügen, wo sie wegen ihrer unerhörten Thaten, Leistungen und Erwerbnisse von jedermännlich angestaunt, bewundert und beneidet wurden.

Bald darauf, nämlich schon im November 1825, unternahmen die Geschwister ihre zweite Weltfahrt. Die Erinnerung an die Einladung des Czaren war neuerdings erwacht, und die Sänger gingen deshalb gleich von Anfang an nach Wien, um sich nach Petersburg durchzusingen. Aber in Wien schon erhielten sie die Nachricht, daß Kaiser Alexander gestorben sei. Zu gleicher Zeit kam die Botschaft, daß König Max von Baiern in’s bessere Jenseits hinübergegangen, und Kaiser Franz von Oesterreich war über den Verlust seiner beiden Amtsgenossen so betrübt, daß er seine Zillerthaler nicht einmal jodeln hören wollte. Unter diesen Umständen gaben diese die Reise nach Rußland abermals auf und gingen dafür nach Dresden, wo sie auch bei Hofe zusprachen, nach Teplitz und Karlsbad, wo sie eines Abends zwar nicht vor einem „Parterre von Königen“, aber vor fünfzehn Prinzen auf einmal zu singen die Ehre hatten. In Teplitz war es auch, wo sie den englischen Earl Stanhope kennen lernten. Dieser ermahnte sie nachdrücklich, Altengland nicht unbesucht zu lassen, gab ihnen Empfehlungsbriefe mit und manchen guten Rath, wie sie sich dort zu benehmen hätten. So beschlossen sie denn wirklich nach jenem Eiland hinüberzuschiffen, wurden aber zuvor noch nach Weimar eingeladen. Dort trafen sie den Großherzog, sowie auch den Schauspieler und Regisseur Seidel, einen gebornen Innsbrucker, welcher für sie zwei neue (ziemlich schlechte) Lieder, „der Alpenjäger“ und „der Tiroler Landsturm“, dichtete und in Musik setzte, sie ihnen auch mit großer Mühe beibrachte und ihnen das Verlagsrecht verehrte.

Die Geschwister setzten nun ihre Reise durch Thüringen fort und langten im November 1826 über Magdeburg in Berlin an. Hier sangen sie vier Mal im königlichen Opernhause und waren auch schon vor den König befohlen, als Seine Majestät unglücklicher Weise den Fuß brach und deswegen wieder absagen ließ. Doch kamen sie in freundlichste Berührung mit allen hohen Herrschaften der Hauptstadt und nicht allein mit diesen, sondern auch mit Fräulein Henriette Sontag, deren Liebenswürdigkeit sie entzückte. Einmal waren sie in eine Abendgesellschaft zusammengeladen, wo sie, die Zillerthaler, ihre Almenlieder sangen, jene aber mit ihrer glorreichen Stimme abwechselnd die schwierigsten Arien aus den schönsten Opern vortrug – ein Contrast, der einen wunderbaren Eindruck zurückließ. Sie waren übrigens sehr oft im Heimgarten bei der gefeierten Sängerin, und diese schenkte ihnen zur Erinnerung verschiedene Angedenken.

Sieben Wochen blieben sie zu Berlin, gesucht, geehrt und in allen Zeitungen besprochen und gepriesen. Nach diesen schönen Tagen zogen sie über Schwerin nach Hamburg. Die gastfreundliche Aufnahme, die ihnen dort begegnete, wird „großherzig bis zum Uebermaß“ genannt. In Hamburg erhielten sie auch wieder neue, warme Empfehlungsbriefe für ihre Reise nach Albion, welches die singenden Argonauten nach einer sechzigstündigen Meerfahrt glücklich erreichten.

Sie landeten in London und betraten die fremde Erde nicht ohne Schüchternheit. Sie befürchteten nämlich, ihr fremdartiges Aussehen möchte ihnen da zu viel leicht lästige Aufmerksamkeit zuziehen; aber wider Erwarten kamen sie glücklich durch, nur daß ihnen beim Einzuge ein lärmender Haufe von Gassenjungen das Geleit gab. Die Zillerthaler Geschwister kamen zu London im Mai 1827 an und stellten sich da sofort unter die Protection des Fürsten Esterhazy, der damals österreichischer Gesandter am britischen Hofe war. Sehr freundlich und warm zeigte sich ihnen auch vom ersten Augenblicke an Ignaz Moscheles, der Virtuose, an den sie Empfehlungsbriefe mitgebracht hatten. Sie wurden nun schnell in die Kreise der hohen Aristokratie eingeführt, welche sie zuerst in einem Privatconcert, das Fürst Esterhazy veranstaltet hatte, vor sich versammelt sahen. Oeffentlich traten sie zum ersten Male am 26. Mai in der Aegyptischen Halle auf und zwar mit durchschlagendem Erfolge.

Nun schenkte ihnen selbst die Herzogin von Kent ihre Huld und beschied sie nach Kensington, wo ihren Liedern auch die junge Prinzessin Victoria, die jetzige Königin von England, lauschte. Bald darauf sangen sie vor dem Könige in Windsor. Der Monarch bewies ihnen sein hohes Wohlgefallen nicht allein durch ein hohes Geschenk, welches er dem ältesten Bruder eigenhändig übergab, sondern auch durch die Aufforderung, sich am nächsten Abende wieder in Windsor hören zu lassen. Um diese Zeit traten sie ferner vor einer unzählbaren Zuhörerschaft und mit enthusiastischem Beifall im Coventgarden-Theater auf. Moscheles begann nun ihre Melodien mit den Originaltexten im Tiroler Dialecte niederzuschreiben und gab bald zwölf solcher Lieder mit Clavierbegleitung heraus. Dieser erste Versuch war so schnell vergriffen, daß ihm bald als zweite Auflage die drei Bände folgten, welche mir nun vorliegen. Sie unterscheiden sich von der ersten Veröffentlichung namentlich dadurch, daß nun auch eine englische Uebersetzung, welche Herr Ball verfaßte, beigegeben ist.

Der Uebersetzer wollte die Grundsätze, die er bei seiner Aufgabe verfolgte, nicht verhehlen. Die Lieder der Tiroler, sagt er, seien zwar an und für sich tadellos, aber hier und da fielen sie doch noch unter die bloße Ländlichkeit hinunter und ergingen sich in einer Kindlichkeit, welche zwar auf den Ursprung der Blüthe hinweise, aber doch die geruchlose Blume aus einem auserlesenen Kranze ausschließe. In solchen Fällen habe er nun allerdings von den jedem Uebersetzer zukommenden Freiheiten Gebrauch gemacht, aber doch sein Lied nach irgend einer maßgebenden Idee des Originals gebildet, so daß es wohl wiedererkannt und freundlich aufgenommen werden dürfte. Wer Deutsch verstehe, würde in Nr. 11 The Village Lay (Das Dorflied) ein Beispiel dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_107.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)