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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

entfernt und auch der Prälat hatte sich zurückgezogen, da der weit einfachere Nachmittagsgottesdienst von den untergeordneteren Geistlichen celebrirt ward.

Zur festgesetzten Stunde betrat Benedict die Gemächer des Abtes; aber der Kammerdiener führte ihn nicht dort hinein, sondern in den Garten hinunter, wo der Prälat nach den mancherlei Anstrengungen des Tages sich im Freien erging. Langsam wandelte die hohe Gestalt in den Gängen auf und nieder; auf dem schwarzen Talar blitzten die Diamanten des großen Kreuzes, das er auf der Brust trug, während ein schwarzes Sammetkäppchen die Tonsur und das bereits ergraute, aber noch volle Haupthaar bedeckte. Der weite, reichgepflegte Stiftsgarten mit seinen parkartigen Anlagen war in ebenso großartigem Stile angelegt wie die Abtei selbst, die einem königlichen Schlosse keine Schande gemacht hätte. Es gab überhaupt nur wenige Schlösser im Lande, die sich mit ihr messen konnten, und es lag auch etwas von beinahe königlichem Bewußtsein in der Haltung des Prälaten. Der ehemalige Graf Rhaneck hatte wahrlich keine Erniedrigung gewählt, als er sein Leben der Kirche weihte; selbst die Ehren und Güter seines Bruders, des jetzigen Majoratsherrn, reichten nicht an die Machtvollkommenheit und an das souveraine Bewußtsein des Abtes, der sich als unumschränkter Herr und Herrscher fühlte auf dem Boden, wo er stand.

Nicht Jeder ist empfänglich für Eindrücke, wie sie der Prälat in diesem Moment augenscheinlich empfand. Zum mindesten schien es Benedict nicht zu sein, obgleich man gerade ihm die Macht und den Glanz einer solchen Stellung von jeher als Zielpunkt seiner Laufbahn gezeigt hatte. War vielleicht die Zeit schon vorüber, wo Ehrgeiz und Schwärmerei ihm dies Ziel begehrenswerth erscheinen ließen – er blickte so kalt und unbewegt auf die stolze Umgebung und auf seinen Abt, wie am heutigen Morgen auf die Menge, die knieend vor ihm niedersank, um seinen Segen zu erbitten.

Der Prälat schien heute sehr gnädig; er winkte den jungen, in ehrfurchtsvoller Haltung vor ihm stehenden Mönch an seine Seite und setzte langsam den Weg mit ihm fort.

„Sie haben eine Unterredung mit mir gewünscht, Pater Benedict. Betrifft es irgend ein Anliegen? Ich bin bereit, Sie zu hören!“

„Ich habe eine Bitte an Sie, Hochwürdigster!“

Der Prälat sah mit einer leichten Befremdung auf; es war das erste Mal, daß eine Bitte aus diesem Munde kam, der sich stets nur zu den nothwendigsten Antworten öffnete und sonst immer in stummem Gehorchen schwieg.

„Nun, so reden Sie!“

„Der Herr Pfarrer Clemens war vor einigen Wochen hier, um eine zeitweilige Unterstützung in seiner Seelsorge zu erbitten, die er bei zunehmendem Alter und Kränklichkeit nicht mehr allein verwalten kann. Noch ist nichts darüber bestimmt, wer die bereits bewilligte Aushülfe zu leisten hat –“

„Nein! Ich habe mir die Entscheidung noch vorbehalten.“

„So bitte ich, mir dies Amt zu übertragen.“

Der Prälat blieb plötzlich stehen: „Ihnen? Weshalb? Aus welchem Grunde?“

Benedict sah zu Boden; er konnte es nicht hindern, daß ihm unter den forschenden Blicken die helle Flamme in’s Antlitz schlug.

„Ich – ich sehne mich nach Thätigkeit. Das Leben im Stifte bietet mir wenig Gelegenheit dazu, da ich als der Jüngste meist von den priesterlichen Verrichtungen ausgeschlossen werde, und die Klosterregel läßt mir so viel Zeit übrig –“

„Die Sie doch gerade am besten auszufüllen wissen!“ unterbrach ihn der Prälat. „Das Studium beschäftigt Sie ja Tag und Nacht. Haben Sie auf einmal den Geschmack daran verloren?“

Benedict gab keine Antwort, aber die Flamme loderte noch immer auf seiner Stirn. Er konnte und durfte ja den Grund nicht sagen, der ihn das Stift und seine Umgebung fliehen hieß; er fühlte nur, daß er fort mußte, fort um jeden Preis.

„Es ist die elendeste von all’ unseren Stiftspfarren,“ fuhr der Prälat fort. „Sie sind dort hoch oben im Gebirge, abgeschnitten von Welt und Menschheit, nur auf den Verkehr mit einem armseligen Dorfe angewiesen, und müssen auf jeden Umgang, auf jede Bequemlichkeit verzichten, an die Sie hier im Stifte gewöhnt sind, Pfarrer Clemens ist gering dotirt, er wird Ihnen kaum das Nothwendigste gewähren können.“

„Ich bin jung und nicht verweichlicht, auch handelt es sich vorläufig nur um die Aushülfe während einiger Monate, zumal beim Eintritt der rauheren Jahreszeit,“ sagte der junge Priester leise.

„Seltsam!“ Der Blick des Prälaten forschte noch immer in seinen Zügen. „Ich beabsichtigte das Amt vorkommenden Falles als eine Art von Strafe zu dictiren, und dachte wahrlich nicht, daß einer meiner Geistlichen sich dazu drängen würde. Ich werde die Sache in Ueberlegung ziehen!“

Benedict verneigte sich stumm; da er kein Zeichen der Entlassung erhielt, so blieb er an der Seite des Prälaten und schweigend setzten Beide ihren Weg einige Minuten lang fort. Doch der junge Mönch schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, er kämpfte augenscheinlich mit sich selber, endlich begann er doch.

„Hochwürdigster!“

„Wünschen Sie noch etwas?“

„Die Frau des Ignaz Lank war heute Morgen bei mir. Ihr Mann ist auf den Tod erkrankt und sehnt sich nach Spendung der heiligen Sacramente, das arme Weib bat und flehte in Todesangst, nur diesmal eine Ausnahme zu machen.“

„Sie haben sie doch mit vollster Strenge zurückgewiesen?“ fragte der Prälat kalt. „Sie wissen, der Mann ist ein Abtrünniger, er hat sich als einer der Ersten der Bewegung angeschlossen, die gegen uns gerichtet ist.“

„Ignaz Lank ist der bravste Bauer weithin in der Runde,“ es bebte eine unterdrückte Bewegung in dem Ton des Sprechenden, „er hat dem Stift stets Ehrfurcht bewiesen und noch kürzlich dem Pater Eusebius das Leben gerettet, als dieser in Gefahr des Ertrinkens kam.“

„Hat er sich bekehrt?“

„Nein!“

„So versagen Sie ihm die Sacramente, und wenn er sterben sollte, verweigern Sie ihm auch den Segen und das Geleit zum Grabe.“

„Hochwürdigster!“

„Pater Benedict, Sie gehorchen und schweigen!“

Benedict schwieg in der That, aber seine Hand ballte sich krampfhaft in den Falten des Talars, dem Auge des Prälaten entging auch diese Bewegung nicht.

„Wie kommt es denn,“ begann er wieder, „daß man sich bei all’ solchen Vorkommnissen immer gerade an Sie wendet? Warum nicht an den Pater Eusebius, warum nicht an die anderen Geistlichen, von denen doch keiner so finster und unzugänglich ist den Leuten gegenüber, als gerade Sie?“

„Vielleicht weil sie trotz alledem fühlen, daß ich der Einzige bin, der hier ein Herz hat!“

Das unvorsichtige Wort war heraus. Dem Prior und jedem Anderen gegenüber hätte es Benedict die schönste Rüge zugezogen, der Prälat blickte gelassen auf ihn nieder, aber es lag Schlimmeres in dem Ton seiner Antwort, als bloße Rüge.

„Nehmen Sie sich vor Ihrem Herzen in Acht, und ich möchte hinzufügen, auch vor Ihrem Kopfe! Das erste ist hier nicht von Nöthen, und der zweite nur da, wo er im Dienste der Kirche gefordert wird. Vergessen Sie nicht, daß Sie dieser unbedingten Gehorsam gelobten, und lehren Sie bei Zeiten Kopf und Herz sich diesem Gelübde beugen, ehe man sie dazu zwingt.“

Benedict erwiderte nichts, was hätte er auch sagen sollen! Der Prälat aber brach plötzlich von dem Gegenstande ab.

„Was die Sache mit dem Pfarrer Clemens betrifft, so habe ich sie mir bereits überlegt und bin geneigt, Ihren Wunsch zu erfüllen. Sie mögen ihm die erbetene Unterstützung leisten, machen Sie sich bereit, übermorgen in das Gebirge abzugehen.“

„Ich danke, Hochwürdigster!“ Der junge Priester wollte sich zurückziehen, als der Prälat plötzlich dicht vor ihn hintrat.

„Ich entlasse Sie damit vorläufig aus meiner Aufsicht und aus der des Klosters überhaupt. Sie kennen die Hoffnungen, die mein Bruder und auch ich auf Ihre Zukunft setzen, Sie sind die jüngste, sind weitaus die bedeutendste Kraft des Stiftes, ich wünschte nicht, daß sie uns verloren ginge. Pater Benedict!“ – er legte schwer die Hand auf dessen Schulter und sah ihm fest in’s Auge, „dort drinnen am Altar haben Sie sich der Kirche zugeschworen mit Leib und Seele, der Eid bindet Sie für Zeit und Ewigkeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_102.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)