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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

In welchem Grade diese Gose die Gemüther der Leipziger für sich einnehmen konnte, dafür zeugt ein im Jahr 1780 geschriebenes Gedicht „Der Gosenbruder etc.“, in welchem unter Anderem

„Auch Frauenzimmer mit bei blanken Gosenflaschen,
Jung, niedlich, schön frisirt, mit seidnen Stricketaschen“

vorkommen. Wenn nun ein Reisender um dieselbe Zeit erzählt: „Seithalb Gohlis liegt ein berufener Luftort, der vorzüglich zum Kirchweihfeste von Tausenden besucht wird, Eutritzsch genannt. Der Weg dahin ist höchst traurig, das Dorf selbst kothig, die Schenke eine wahre Kneipe. Aber der Ruf der guten Gose und Bratwürste lockt dennoch Menschen in Menge in diesen – –“, so kann dies dem Ruhm der Gose durchaus keinen Eintrag thun, sondern beweist nur, daß sie schon damals in allen Ständen Leipzigs ihre Verehrer hatte.

Um so härter war der Schlag, welcher durch die Napoleon’sche Grenzsperre plötzlich die große Gosengemeinde traf. Die gelbe Quelle der Gemüthlichkeit war verstopft, Wirthe und Trinker standen da voll unbeschreiblichen Jammers.

Aber – „Gott verläßt keinen Deutschen!“ – Zur selben Zeit, da Napoleon sich so schwer an Leipzig versündigte, setzte ein Leipziger Kaufmann sich in den Besitz des Ritterguts Döllnitz bei Halle und ward ein neuer „alter Dessauer“ für seine nach Gose lechzenden Mitbürger. Johann Gottlieb Goedecke war sein Name. Zu jenem Besitzthum gehörte eine kleine Weiß- und Braunbierbrauerei und zu dieser ein Mann von Goldeswerth, der Braumeister Ledermann, dem es gelang, hinter das Geheimniß der Herstellung der Gludscher Gose zu kommen. Alle Gosenbrüder lebten wieder auf, Jubel erfüllte Leipzig, Haus um Haus erweiterte sich die Döllnitzer Brauerei, um den riesenhaft ansteigenden Bedarf zu befriedigen, und als Napoleon seine gerechte Strafe für seine Missethat gegen die Gosenbrüder an Ort und Stelle empfangen und seine Schlagbäume niederfielen, hatte die Gludscher Gose alle ihre Getreuen eingebüßt und die Döllnitzer behielt das Feld und behauptet es bis auf den heutigen Tag.

Das ist die Geschichte der Gose. Nun zu ihr selbst. Für das große Publicum ist die Gose ein Doppelweißbier von Weizen, Gerste und Hopfen, dem, nach der Versicherung der Brauherren, keinerlei schädliche Ingredienzen beigemischt sind, und das schon durch seine äußere Erscheinung die staunenden Augen des Fremden auf sich zieht, denn es wird auf eine größere Art Bocksbeutel mit sehr langen Hälsen gefüllt, in welchen es die Hefe nach oben treibt, so daß letztere die Flasche schließt und den Korkstöpsel unnöthig macht, der deshalb bei diesen Gosenflaschen auch gar nicht in Anwendung kommt.

Der Sachkenner dringt in das Wesen des Getränkes ein und unterscheidet es nach dem Alter: Gose von allzugroßer Jugendlichkeit bezeichnet er als Birnbrühe, die gar zu alte als Essig, die aber, die in der rechten Mitte steht, begrüßt sein strahlender Blick als Limonade mit Geist, und zwar mit dem fröhlichen Geist des Weins. In der That ist diese Mittelgose in ihrer allerdings sehr kurzen „besten Zeit“ ein ebenso liebliches als gesundes Getränk, das nicht blos den Sommerdurst auf das Angenehmste löscht, sondern auch im Winter trefflich bekommt. Die liebenswürdigste Wirkung äußert diese Mittelgose auf das Gemüth: es überkommt den frommen Trinker am Stamm- wie am Wandelgasttische das Gefühl einer ungeheuren Heiterkeit und Gutmüthigkeit, nur fröhliche Rede belebt die Tische, das Auge begegnet überall lachenden Augen, das Blut rollt so leicht durch die Adern, kurz, wir empfinden das wohlthuende Gefühl einer Seele, die durch keine körperliche Belästigung gestört wird, sondern vielmehr im Behagen jeder körperlichen Erleichterung schwelgt. Ja, nicht „das Kaiserreich“ – wie nun alle Welt einsieht, – sondern, wie anderthalbhundertjährige Erfahrung bezeugt, „die Gose ist der Friede!

Wenn nun der Spürsinn des Fremden etwa dennoch in einem Winkel der Gosenschenke zerschlagene Stuhlbeine und Aehnliches auffinden sollte, so rührt dergleichen nur von der Birnbrühe und dem Essig her, die allerdings geeigenschaftet sind, die Milch der frömmsten Denkungsart in gährend Drachengift zu verwandeln. Und das Schlimmste ist, daß der einzige Retter in der Noth, welche die Gose in ihrem äußersten Jugend- und Alterszustand dem Trinker bereitet, selbst wieder ein höchst gefährliches Brüderpaar ist: der Kümmel und der Nordhäuser, welch letzterer in der altberühmten „Kümmelapotheke“ zu Eutritzsch noch vor dem jüngsten Zwangsbesuch der Franzosen in Deutschland schon als „Maison du Nord“ credenzt wurde. Der üble Ruf, in welchem bei Unkundigen die Gose im Allgemeinen steht, rührt blos von dem Viergespann von Getränken her, deren Namen wir dem Leser deshalb gesperrt in die Augen fallen lassen, als wie auf einer Warnungstafel. Dagegen lobt selbst die Limonade sich einen feinen Begleiter für den Heimweg, und das ist das Knickebein, ein Liqueurchen mit einem Eidotter, das selbst Frauenlippen wohl ansteht und die Gemüthlichkeit der Gosenbrüder mit einem bis nach Hause ausdauernden Feuer verstärkt.

Angesichts des außerordentlichen Bedarfs der beiden Gosenhauptstädte Leipzig und Halle nebst weiter Umgegend liegt die Frage nahe: Warum läßt die rührige Concurrenz dieses Feld unbetreten? Antwort: Das Gosenbraugeheimniß existirt wirklich, ist keine Fabel der Speculation. In der That wurde auch der Versuch gemacht, durch chemische Forschung hinter das Geheimniß zu kommen, der Leipziger Brauherr Naumann wendete mehrere Tausende von Thalern daran, aber alle Erforschungen und Brauversuche führten nicht zum Ziel. Naumann stellte allerdings ein der Gose ähnliches Weißbier her, aber die Gose selbst war es nicht, die „Limonade mit Geist“ war nicht zu erreichen, und man ließ es bei dem Versuch bewenden. Worin nun aber früher das Glauditzer und jetzt das Döllnitzer Geheimniß besteht, das ist eben das Geheimniß, das Niemand erräth, weil es in der einen Familie ruht, die durch dasselbe steinreich geworden ist. Man sagt: wenn das Bier eine genau bestimmte Zeit lang im Sieden gewesen sei, werde ein Pulver hineingeschüttet, dessen Bestandtheile der Gose ihren absonderlichen Charakter verleihen. Das ist recht schön, reißt jedoch in den Vorhang des Geheimnisses nicht das kleinste Loch.

Dagegen ändert dies natürlich das Verhältniß zwischen der Brauerei und den Schenkwirthen. Wenn bei allen Lager- und Versandbier-Brauereien die Concurrenz die Zügel des Consums führt, ist der einzige Gosenproducent Alleinherrscher in seinem Bereich, und es ist eine Gnadensache, eine ganz besondere Vergünstigung von seiner Seite, wenn er einen neuen Consumenten zum Vertrieb seiner Waare zulassen will. Jeder der jetzt einundzwanzig Gosenwirthe in und um Leipzig bezieht ein bestimmtes Quantum nach der Durchschnittszahl seiner Gäste, und in der Regel nie mehr und nie weniger. Es ist eine sehr anerkannte Gefälligkeit, wenn der Gosenverleger bei schlechtem Wetter, wo der städtische Vertrieb stärker ist, als auf dem Lande, oder bei schönem Wetter, wo der umgekehrte Fall eintritt, dem augenblicklichen Mehrbedürfniß Rechnung trägt. Um auch Zahlen sprechen zu lassen, so berichten wir zum Beispiel aus der Eutritzscher Gosenschenke, daß sie stets 6-7000 Flaschen im Gang hat und durchschnittlich in der Woche 13–1500 und im Jahre nahe an 70,000 Flaschen verschenkt, und dabei ist sie noch nicht die stärkste Vertriebsstelle. In Döllnitz braut man jede Woche vier Mal und stets zwischen 22–25 Viertel, in der Woche also etwa 90 Viertel. Ein Viertel enthält etwa 210 Flaschen. Das Gebräude zu 90 Viertel (à = zwei Tonnen) wöchentlich angenommen, würde dies 982,800 Flaschen geben. Da aber manche Gebräude stärker ausfallen, so ist die Annahme der runden Zahl von einer Million Flaschen jährlichen Gosenconsums gerechtfertigt.

Ebenso schwierig als wichtig ist die Behandlung der Gose von Seiten des Schenkwirths. Er bekommt dieselbe noch warm in Fässern von zwei Tonnen oder zweihundert preußischen Quart, und zwar erfordert der Transport auf dem vier und eine halbe Stunde langen Wege von Döllnitz nach Leipzig namentlich in heißer Sommerszeit außerordentliche Vorsicht. Sobald die Gose im Brauhaus transportfertig ist, wird sie auf die Fässer gefüllt und hier erst wird jedem Fasse die entsprechende Masse Hefe zugesetzt. Diese treibt nun, je nach dem Grade der Luftwärme, mehr oder weniger mächtig und würde das Faß zersprengen, wenn dem nicht durch eine kleine verschließbare Oeffnung neben dem Spundloch vorgebeugt würde. Diese Oeffnung heißt das Zwickloch und es muß während der Fahrt im Sommer mehrmals gelüftet werden, weniger im Frühling und Herbst, und nur an kalten Wintertagen gar nicht; an solchen geschieht’s auch, daß die Gose erkaltet, im Sommer kommt sie in der Regel noch warm in Leipzig an. Ebenso kommt auch das Zersprengen der Fässer in heißer Jahreszeit nicht selten vor.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)