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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Nach einem Spaziergang von mehreren Stunden langten wir bei des Doctors Wohnung an, wo er uns zu einem Glase selbstgemachten Weines einlud. Da man uns gesagt hatte, daß der Verkauf und Genuß von Wein und Spirituosen in der Colonie streng verboten sei, so war diese Einladung gewiß ein unerhörter Ausnahmefall. Der Wein, von dem er uns zwei Sorten vorsetzte, einen aus wilden Reben und den andern aus Johannisbeeren gemacht, war recht schmackhaft und wurde uns in der Apotheke credenzt. Hier brachte Herr Körner sein Lebensversicherungsproject nochmals geschickt vor. Der Doctor gab ihm Hoffnung, daß er darauf eingehen würde; doch wollte er sich die Sache gehörig überlegen und die Vortheile und Nachtheile der Speculation einer genauen Prüfung unterwerfen, ehe er eine definitive Antwort darauf ertheile. – Und hiemit endete unser Besuch beim „Könige von Aurora“.

Ehe wir die Colonie verließen, stellten wir noch allerlei Erkundigungen bei Mitgliedern derselben über ihre innere Organisation und Leitung an, deren Resultate und was ich sonst darüber vom Doctor Keil erfuhr, ich dem Leser nicht vorenthalten will.

Wünscht Jemand Mitglied der Colonie zu werden, so muß er zunächst sein ganzes Baarvermögen in die Hände des Doctor Keil niederlegen. Er wird dann vorläufig auf Versuch angenommen. Gefällt der Candidat dem Doctor, so kann er bleiben und wird Theilnehmer der Gemeinde; sollte dies nicht der Fall sein, so erhält derselbe beim Austritt sein eingezahltes Capital ohne Zinsen zurück. Wie lange er „auf Versuch“ in der Colonie arbeiten muß, hängt ganz und gar vom Doctor ab. Wenn ein Mitglied aus eigenem Antriebe wieder austreten will, ein Fall, der jedoch sehr selten vorgekommen ist, so erhält er sein eingelegtes Capital ohne Zinsen zurück und bekommt einen Prorata-Antheil von dem Verdienste, den die Colonie während der Zeit seiner Mitgliedschaft erzielt hat. Diesen schätzt wiederum der Doctor ab.

Alle gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens werden den Theilnehmern der communistischen Gemeinde unentgeltlich verabfolgt. Die gemeinschaftliche Casse hat der Doctor in Händen, der daraus alle Einkäufe bestreitet und auch den Verkauf der Ackerbau- und Industrie-Erzeugnisse der Colonie für dieselbe besorgt. Braucht Jemand einen Rock oder sonstige Kleidungsstücke, Mehl, Zucker, Tabak etc., so holt er sich, was er wünscht, unentgeltlich aus dem „Store“ (Vorrathshaus), das Fleisch ebenso vom Schlachter, Brod vom Bäcker etc.; Spirituosen werden nur bei Krankheitsfällen verabreicht. Dafür bestimmt der Doctor, wie sich jedes Mitglied zum Besten der Colonie beschäftigen soll; ob er sich als Ackerbauer, als Handwerker, gewöhnlicher Arbeiter oder wie sonst nützlich machen muß, und die Zeit und die Arbeitskraft des Colonisten gehört ganz dem Besten der Gemeinde – nach dem Dafürhalten des Doctors. Verheirathet sich ein Mitglied, so erhält dieses eine besondere Wohnung und Ackerland angewiesen, so daß die Familien auf den Farmen in der Ansiedelung zerstreut wohnen. Die Aeltesten der Gemeinde unterstützen den Doctor bei seinen Amtspflichten mit Rath und That.

Die Ländereien der Colonie sind sämmtlich in Doctor Keil’s Namen gerichtlich protocollirt worden, um, wie er sagt, Weitläufigkeiten und verwickelte Schreibereien zu vermeiden. Hierin soll jedoch vielleicht in Bälde eine Aenderung eintreten, damit die Mitglieder der Colonie im Falle von des Doctors Absterben ihren Antheil an den Ländereien etc. ohne Schwierigkeiten erlangen können. Würde der Doctor nächstens mit Tode abgehen, ehe die Landtitel umgeschrieben sind, so könnten dessen natürliche Erben das ganze Besitzthum der Colonie für sich in Beschlag nehmen und die Mitglieder der Gemeinde hätten das Nachsehen. Große Eile scheint der Doctor aber nicht zu haben, die Eigenthumsurkunden ändern zu lassen, obgleich dieses längst hätte geschehen sollen. In der Colonie heißt es natürlich, daß der ganze Grundbesitz etc. den Mitgliedern gemeinschaftlich gehört. Ob aber der Doctor im Stillen dieser Ansicht huldigt, möchte denn doch sehr fraglich sein.

Der Doctor Keil ist zugleich Seelsorger und unbeschränkter weltlicher Verwalter der Colonie Aurora und kann anordnen, mit Zustimmung der Aeltesten (die natürlich stets seiner Ansicht beipflichten), wie und was er will. Das sorgenfreie Leben, welches die meistens den niedrigen Ständen angehörigen und wenig gebildeten Mitglieder der Gemeinde führen, in der Niemand als der Doctor die Mühe nachzudenken nöthig hat, ist der Hauptgrund von dem ungestörten Fortbestehen der Colonie. Das eminente Organisationstalent, verbunden mit unbegrenzter Machtbefugniß, welches der mit Recht den Namen eines „Königs von Aurora“ führende Doctor Keil besitzt, und der allen Deutschen innewohnende Fleiß ist dabei die Ursache von der Blüthe dieses Gemeinwesens, das sich ein communistisches nennt, aber eigentlich nichts weiter als eine große Farm ihres talentvollen Gründers ist. Die Colonie Aurora hat ihre Schulen, ihre Kirche etc., – Zeitungen und Bücher, deren Auswahl und Anschaffen der Doctor besorgt, in beschränkter Zahl –, und an geselligen Vergnügungen, Musik, Gesang etc., fehlt es auch nicht. Neben einem leicht zu erwerbenden Lebensunterhalte genügt dies den Ansprüchen der Colonisten vollständig – und der gute Doctor Keil sorgt für den Rest.

San Francisco, December 1871.




Ein Geheimniß im Bierreiche.
Culturgeschichtliche Skizze von Fr. Hofmann.


Eine Stunde von Leipzig, in nördlicher Richtung, nach dem Schlachtfeld von Breitenfeld hin, liegt Eutritzsch, jetzt eines der Leipziger Vorstadtdörfer mit einigen Tausend Einwohnern, vielen städtischen Gebäuden, Gewerben und großen Fabrikanlagen. Dazumal aber, wo die Zimmerleute die Jahrzahl 1640 in den Tragbalken der Kneipstubendecke eingehauen, der noch jetzt im Erdgeschoß des Hauses steht, das wir uns heute zum Wallfahrtsziel ausersehen, war Eutritzsch ein richtiges Bauerndorf und das genannte Haus lag an der Heerstraße, denn es war ein Wirthshaus, und Dorf und Kneipe sollen sich durchaus nicht durch besondere Reinlichkeit hervorgethan haben. Auch hundert Jahre später scheint der Ort noch nicht viel reputirlicher ausgesehen zu haben, und dennoch fiel auf denselben das Lächeln eines seltenen Glücks. Der alte Dessauer, wie Se. Durchlaucht Fürst Leopold von Anhalt-Dessau bekanntlich kurzweg benannt wurden, kam an einem heißen Augusttage des Wegs daher und steuerte auf unsere Schenke los. Wir wissen zwar nicht, ob der hohe Herr auf der heillosen Straße gefahren oder geritten ist, nur das Eine steht urkundlich fest, daß er einen sehr großen Durst hatte. Diese schöne deutsche Gottesgabe paßte jedoch schlecht zu dem schauderhaften Trank, welchen der Wirth mit unterthänigstem Herzklopfen dem gestrengen fürstlichen Herrn darreichen mußte, denn er hatte nichts Besseres. Der leidige Bierzwang machte damals Wirthen und Trinkern das Leben sauer, und es geschah den Fürsten ganz recht, wenn sie selber einmal darunter zu leiden hatten. Der alte Dessauer besaß jedoch ein gar wackeres Gemüth, ihn dauerte die hiesige Menschheit mit ihrem erbärmlichen Getränk, und so verhieß er dem Wirth, ihm ein besseres Bier zu besorgen und die Erlaubniß dazu, es auch ausschenken zu dürfen. Und der hohe Herr hielt Wort, er ließ ihm „Gose“ senden und ward dadurch der Stammvater der Gosenbrüder, die in Eutritzsch und dem gesammten Leipziger Gosenbezirk ihn noch heute, nach fast anderthalbhundert Jahren, für das ihnen zugeführte Labsal mit ungeschwächter Dankbarkeit verehren.

Was ist nun diese Gose, welche so viele verständige Leute fast bis zur Begeisterung entzücken kann? Ein Weißbier, über dessen Geschichte und sonstige Umstände wir hiermit Alles berichten wollen, was wir darüber zu erforschen vermochten.

Dem Flüßlein Gose, das bei Goslar vorüber in die Ocker fließt, verdankt unser Weißbier Ursprung und Namen. Wie von manchem anderen Biere, zum Beispiel dem weltbekannten gelbgrünlich, wie die zusammengeflossene weimarische Landesfarbe, aussehenden Lichtenhainer (bei Jena), wurde auch von der Gose behauptet, daß sie ihre absonderlichen Eigenschaften nur dem Wasser des Flüßchens verdanke, aus welchem sie gebraut wurde. Trotzalledem gelang es in dem dessauischen Dorfe Glauditz ein Weißbier herzustellen, das als Gludscher Gose um das Jahr 1730 seinen Einzug in und um Leipzig hielt, denn nichts weniger, als diese Gludscher Gose, das Erzeugniß seines eigenen Landes, war es, was der alte Dessauer in der darnach benannten „Gosenschenke“ zu Eutritzsch eingeführt hat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_096.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)