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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

manche Lippe, und leise, fast unhörbar flog Rede und Gegenrede zum Nachbar hinüber und wieder herüber, die hochwürdigen Herren waren längst an diese Art der Unterhaltung gewöhnt, von der man freilich in der Kirche nichts bemerkte.

„Der Benedict sieht heute prachtvoll aus!“ flüsterte Pater Eusebius dem Prior zu, der an seiner Seite stand „Im einfachen schwarzen Talar sollte man nicht glauben, daß er sich so ausnehmen könnte. Das ist eine Erscheinung, die unserm ganzen Stifte Ehre macht!“

„Einer Uniform würde er noch mehr Ehre machen!“ gab der Prior boshaft, aber ebenso leise zurück, während sein Blick nach dem Betstuhl der Rhaneck’schen Familie hinüberflog, wo neben den Epauletten des Grafen die seines Sohnes glänzten.

„Warum nicht gar!“ murmelte Eusebius.

„Und sieh nur, wie Graf Rhaneck zu ihm hinüberblickt; mir scheint, er sieht von der ganzen hochwürdigen Assistenz nur den Einen! Aber seltsam ernst und finster ist heute das Gesicht des Grafen, findest Du nicht?“

Das widrige Lächeln zuckte wieder um den Mund des Priors, während er zugleich in vorgeschriebener Weise den Kopf tief herabbeugte und die Hände ineinander legte.

„Seine gräfliche Gnaden zögen es vielleicht vor, Pater Benedict als Majoratserben an seiner Rechten zu haben, und dafür den Grafen Ottfried am Altare zu sehen. Wer weiß es!“

„Thorheit!“ flüsterte Eusebius, die Bewegung des Priors nachahmend, „glaubst Du etwa auch gewissen dunklen Gerüchten?“

„Ich glaube nur meinen eignen Augen und die sehen ziemlich scharf. Hüte Dich übrigens, daß jene Gerüchte Benedict nicht zu Ohren kommen, er ist schon hochmüthig genug, und wenn –“

Die laute volltönende Stimme des Prälaten unterbrach ihn, er sprach die Worte des Segens, die beiden Priester schwiegen, Todtenstille legte sich über die ganze Versammlung.

Das Hochamt war zu Ende, die Menge drängte nach den Kirchthüren und auch die vornehmeren Zuhörer erhoben sich aus ihren Stühlen, während der Prälat mit seiner Geistlichkeit sich zurückzog. In der gleichfalls leeren Sacristei lehnte Benedict am Fenster, er trug noch die kirchlichen Gewänder und schien gar nicht daran zu denken, daß er sie ablegen mußte. Den Kopf in die Hand gestützt, blickte er hinaus in die sonnige Welt da draußen, nach den Bergen hinüber, die in voller Majestät dort in der Ferne aufstiegen; da ward eine der Seitenthüren geöffnet und der Prior trat ein.

„Wie, Pater Benedict, noch im vollen Ornate?“ fragte er scharf. „Die Messe ist längst vorüber, warum legen Sie die Gewänder nicht ab?“

„Ich hatte es vergessen. Ich werde sogleich –“ Benedict wollte sich entfernen, doch der Prior hielt ihn zurück.

„Sie haben vorhin den Herrn Prälaten um eine Unterredung ersucht?“

„Ja!“

„Und das gerade heut an diesem vielbeschäftigten Tage? Ihr Anliegen scheint sehr dringender Art zu sein.“

„Interessirt Sie das, Hochwürden?“ fragte der junge Priester ruhig.


(Fortsetzung folgt.)




Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.


Nr. 11. In den Casematten von Ulm.



In Nr. 22 der Gartenlaube von 1871 ist das Leben jener buntfarbigen Söldnertruppen geschildert, welche nebst den Mitrailleusen die Schlachtenpopanze für die deutschen Heere hatten abgeben sollen, schon damals aber zum größten Theil richtig aufgehoben hinter Schloß und Riegel der deutschen Festungen lagen. Aus der Fülle der Bilder, welche bei einem Gange durch die von den Turcos bewohnten Räume dem Auge sich boten, sei hier eins herausgehoben, nicht gerade wegen besonderer Lebendigkeit der Handlung, sondern mehr wegen der Originalität der dargestellten Menschen, welche nebst ihrer Umgebung streng nach der Natur gemalt wurden.

Aus einem vergitterten Fenster des äußersten Vorwerks der deutschen Reichsfestung Ulm schaut das Auge hinab auf die im Thale ausgebreitete Stadt mit ihrem Dome, die blaue Donau und die nach allen Richtungen sternförmig auseinandergehenden Linien der Schienen und die qualmenden Dampfrosse auf denselben. Das Auge des Schauenden, eines Sergeantfouriers der Turcos, war das einzige in der wilden Bande, in welches man mit Ruhe sehen und in dem man etwas Ebenbürtiges, geistig Stammverwandtes spüren konnte. Virgile Dhuicq aus Brest, blauäugig, mit rothblondem Haar und Bart, tiefer Baßstimme und einem großen, ebenso schön wie kraftvoll gebauten Körper, war aber auch eine Erscheinung, welche man viel eher in den Reihen der deutschen Gardegrenadiere als unter den quecksilbernen Turcos gesucht hätte. Auf die Bemerkung, daß er in seinem ganzen Wesen eigentlich gar nichts Französisches habe, erwiderte er denn auch: „Wir sind keine Franzosen, wir sind Saxons,“ also hindeutend auf die schon im fünften Jahrhundert aus England herübergekommenen Bretonen, die Hauptmasse der Bewohner der Bretagne, die ihre staatliche Selbstständigkeit erst zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts an Frankreich verloren, aber, wie wir hier sehen, noch heute nicht vergessen haben. Dhuicq war unter die Turcos eingereiht worden, um in der Verwaltung seiner Compagnie Ordnung zu halten.

An Körper und Geist der schneidendste Gegensatz zu dem Sergeanten war der neben demselben auf dem Boden kauernde Neger Saad ben bu Azas. Ein wunschloseres Genügen, ein süßeres Faulbehagen läßt sich nicht denken, als wenn Saad nach reichlichem Vesper die zweite Halbe vor sich stehen hatte und mit gekreuzten Beinen am Boden hockend den Qualm seiner Cigarre von sich blies. Dieser Erscheinung gegenüber kamen jedem Beschauer, auch bei sonst noch so sehr abweichenden Ansichten, dennoch Darwin’sche Schöpfungsgedanken, wenigstens für diese Sorte von Menschen, weshalb Saad auch bei der ganzen schwäbischen Wehrmannschaft „das Thierle“ hieß. Dabei war er in all seinem Thun und Lassen ein sanftes, fröhliches, harmloses Geschöpf, das mit den kurzen Rollhaaren auf dem milchhafenförmigen Schädel eher einem schwarzen Schaf als einer besondern Species der Schöpfungskönige glich. Und doch zeigte gerade auch dieses Wesen einen rührend feinen Zug. In einer Pause beim Malen vesperten der Herr Lieutenant und ich Schinken, der in den Casematten nicht oft zu haben war. Saad saß daneben am Boden mit seiner Halben und dampfte. Den Viertelsseitenblick, welchen er in einem Augenblick, wo er sich unbeachtet wähnte, nach unseren Tellern warf, und das leichte Hinaufziehen der Nasenflügel, um den köstlichen Duft einzuziehen, merkten wir aber doch, und so nahm ich ein saftiges Stück und hielt dasselbe über seinen Kopf; er warf ihn zurück in den Nacken, sperrte den dick umwulsteten Mund weit auf, daß seine Zahnreihen wie in einem Krokodilschlunde aus der dunkeln Höhle starrten; ein Knacken und Knirschen derselben, ein Druck des Halses, und verschwunden war das Stück. Der Ausdruck der Wonne über den gehabten Genuß war im Gesicht des schwarzen Schelmen zu groß, um nicht die Lust in uns rege zu machen, denselben noch ein Mal zu sehen; ich nahm daher das letzte und größte Stück unseres Vorrathes und hielt dasselbe wieder in gleicher Weise über seine eiförmige Stirn. Die Lippen blieben diesmal aber geschlossen; dagegen streckte er seine langen schwarzen Spinnenfinger mit den scharfen braunen Nägeln nach dem Schinken aus, wickelte das Stück sorgfältig in ein neben ihm liegendes Stück Zeitungspapier, schob es in seinen Mantel und krächzte mit freundlichem Grinsen das Wort „Messarud“ hervor. Messarud war aber der ebenfalls schwarzhäutige Corporal seines Zuges, und ihm, dem Stammesgenossen, nicht auch einen so seltenen Genuß verschafft zu haben, hätte der gute Bursche nicht über das Herz bringen können.

Der Dritte im Bilde, Ismail ben Kinana, war ein sanfter, brauner Araber, welcher den kleinen Kopf mit den großen dunkeln Augen meist etwas gesenkt auf dem hagern langen Körper trug. Jedenfalls schien er eher alles Andere zu sein als eine jener Soldatenbestien, als welche man die Turcos ohne Ausnahme zu betrachten gewohnt ist. Als er gegen das Ende der Gefangenschaft noch stiller und zurückgezogener wurde und ein Mal recht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_090.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2020)