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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

besaß. Aber Bernhard duldete keine Weigerung, das wußte sie, und so ließ sie sich denn zögernd zu einem Geständniß herbei, als dessen Resultat schließlich eine vollständige Liebeserklärung des Grafen Ottfried herauskam.

Der Graf hatte ihr, schon als er das erste Mal mit ihr tanzte, eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit erwiesen, eine Aufmerksamkeit, die sich beim zweiten und dritten Male noch steigerte. Beim Beginn der Pause hatte er sie auf die Terrasse geführt, wie die anderen Herren ihre Damen auch, aber es so einzurichten gewußt, daß sie sich von den Uebrigen entfernten und durch die Orangerie vor deren Blicken gedeckt waren. Hier war er plötzlich vor ihr auf die Kniee gesunken – „auf beide Kniee, Bernhard!“ – und hatte ihr erklärt, daß er sie anbete, daß sie gleich beim ersten Anblick einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Herz gemacht, daß er nicht leben könne, ohne die Hoffnung, sie wiederzusehen, und verzweifeln werde, wenn mit dem Ende des Festes ihm diese Hoffnung genommen würde, darauf hatte er um eine Rose aus ihrem Haar gefleht, dieselbe an seine Lippen gedrückt – kurz, die Geschichte war so über alle Beschreibung romantisch, und Lucie so voll Entzücken über diese Romantik und über die Rolle, die sie selber darin gespielt, daß ihre anfängliche Scheu und Befangenheit bei der Erzählung sich in ein immer größeres Selbstbewußtsein verwandelte, und sie am Schluß derselben den Bruder mit dem vollsten Triumph anblickte. Es war doch wahrlich keine Kleinigkeit, gleich beim ersten Schritt, den sie in die Welt und die Gesellschaft that, einen jungen Grafen zu erobern, der vor ihr auf den Knieen lag und sie anbetete! Was wohl Bernhard dazu sagte? Ob er es noch versuchte, sie wieder in die Kinderstube zu schicken?

Bernhard sagte vorläufig gar nichts, er machte einige Male einen Gang durch das Zimmer und blieb endlich dicht vor ihr stehen. „Und was hast Du dem Grafen darauf geantwortet?“

„Ich sagte ihm, er brauche gar nicht zu verzweifeln, er könne ja nach Dobra kommen und uns besuchen, Du würdest gewiß – ja freilich, Bernhard!“ unterbrach sie sich auf einmal schmollend, „da wußte ich noch nicht, daß Du so ungezogen gegen ihn sein würdest, als es nachher der Fall war.“

„Ich fürchte, ich werde dem Herrn Grafen noch ungezogener erscheinen, wenn er wirklich hierherkommen sollte, woran ich zweifle. Ich würde mir seine Besuche ein für alle Mal verbitten, und Du würdest in diesem Falle auf Deinem Zimmer bleiben, und überhaupt nicht in seinen Gesichtskreis kommen.“

Lucie fuhr erschreckt und empört auf. „Ah Bernhard, das ist abscheulich! Wie kannst Du den Grafen so beleidigen, blos weil Du nun einmal Alles hassest, was vornehm ist, und weil es sich mit Deinen demokratischen Principien nicht verträgt, daß ich Gräfin Rhaneck werde!“

„Gräfin Rhaneck!“ wiederholte Bernhard langsam. „Ah so, Du meinst, der Graf habe Dir einen Heirathsantrag gemacht.“

Lucie hob das Auge zu ihm empor, noch funkelte die Entrüstung darin, aber daneben leuchtete auch noch die vollste Unbefangenheit des Kindes.

„Nun, er hat mir doch gesagt, daß er mich liebe, daß er ohne mich nicht leben könne! Was soll denn anderes damit gemeint sein?“

Der Bruder blickte tief in die blauen Kinderaugen des jungen Mädchens, und seine Stimme wurde unwillkürlich milder.

„Ich bezweifle, Lucie, daß der Graf gerade dies meinte. Doch gleichviel, für Dich kann nur dieser eine Fall in Betracht kommen. Du kennst Gott sei Dank noch keinen andern und sollst ihn auch nie kennen lernen, aber“ – hier nahm sein Ton plötzlich eine seltsame Härte an – „nimm Dich in Acht vor diesem Geschlechte, Kind, selbst wenn es Dir scheinbar ehrenhaft naht. Einem Rhaneck ist Alles möglich, selbst das, ein angetrautes Weib zu haben, das nicht Gräfin Rhaneck heißt!“

Betreten schaute Lucie ihn an, sie vermochte sich diese Worte nicht zu enträthseln, die Gräfin trug ja doch den Namen ihres Gemahls, wie es auch nicht anders möglich war.

„Kennst Du denn die Rhaneck’sche Familie näher?“ fragte sie erstaunt. „Ich dachte, Du sähest sie heute zum ersten Male.“

Bernhard gab keine Antwort; er schien jene übereilten Worte schon zu bereuen, langsam zog er die Schwester wieder zu sich und hob ihren Kopf empor.

„Höre mich an, Lucie, und vergiß nicht, daß ich jetzt im vollsten Ernste zu Dir spreche. Ich verbiete Dir hiermit jeden ferneren Verkehr mit dem Grafen, gleichviel ob er ihn mündlich oder schriftlich versucht, gleichviel wo und wie er sich Dir naht. Du sollst mit diesen Rhanecks nicht in Berührung kommen, ich will es nicht! Richte Dich danach.“

Es lag in der That ein furchtbarer Ernst in seinen Zügen und eine erschreckende Härte in seinem Ton, wie Lucie beides noch niemals an dem Bruder gesehen, aber sein despotisches Verbot, so ohne alle Angabe von Gründen, das wahrscheinlich jede Andere eingeschüchtert hätte, verfehlte hier ganz und gar seinen Zweck. In dem heißgerötheten Gesicht dieses „Kindes,“ war etwas von jenem trotzigen Blute, mit dem Bernhard einst seinen Platz in der Waldlichtung den Officieren gegenüber behauptet hatte, etwas von jenem Trotz, der dem so entschieden gebotenen „Du sollst nicht!“ ein ebenso entschiedenes „Ich will aber!“ entgegensetzte. Er beging einen verhängnißvollen Irrthum, als er wähnte, mit einem bloßen Machtspruch eine Sache beendigen zu können, die bereits die ganze Phantasie des jungen Mädchens beschäftigte und der er dadurch den gefährlichsten aller Reize lieh, den des Verbotenen. Es war trotz alledem seine Schwester, das vergaß er ganz und gar.

„Und nun geh’ schlafen, Kind!“ sagte er kalt und ließ ihre Hände los. „Bis morgen hast Du den Roman vergessen und Dich über das versagte Spielzeug getröstet. Suche Dir ein anderes, das weniger gefährlich ist und besser für Deine Jahre paßt. Gute Nacht!“

Er ging, Lucie verharrte in trotzigem Schweigen. Die Thränen, welche sich vorhin heiß und ungestüm ihr in’s Auge drängten, waren nicht hervorgebrochen, die letzten Worte des Bruders hatten sie getrocknet. Also man behandelte sie wirklich noch immer wie ein Kind, das mit einer Strafpredigt und einem Achselzucken über die begangene Unart zu Bett geschickt wird, sie, vor der Graf Ottfried auf den Knieen gelegen und um ihre Liebe gefleht hatte! Verboten sollte ihr diese Liebe werden, ein Spielzeug nannte man sie! Lucie vergaß völlig die räthselhaften Worte des Bruders, die „Gräfin Rhaneck“ war jetzt überhaupt für sie in den Hintergrund getreten, und im Vordergrunde stand der Trotz, die Empörung gegen Bernhard. Sie wollte sich dieser Tyrannei nicht geduldig fügen, wollte durchaus kein Opfer brüderlicher Hartherzigkeit sein, durchaus nicht! Und wenn der Graf sich ihr noch einmal nahte und auf’s Neue um ihre Hand bat, dann – sollte man sehen, daß sie auch einen Willen hatte, und sich nicht so ohne Weiteres „demokratischen Principien“ aufopfern ließ.

Mit diesem heroischen Entschluß ging Lucie endlich zur Ruhe, und schon nach wenigen Minuten machte die ungewohnte Ermüdung ihre Rechte geltend. Der Traum wob seine phantastischen Schleier dicht und dichter um sie, und führte sie zurück in das heute durchlebte Fest. Kerzenglanz und Musik und Tanzgewühl, und dazwischen die Gestalt Ottfried’s in der glänzenden Uniform, das Alles kreiste bunt und schattenhaft durcheinander, tauchte abwechselnd auf und verschwand wieder, und seltsam – über dem Allen schwebten die tiefen dunkeln Augen, denen sie heute zum zweiten Male in ihrem Leben begegnet war, schwebte das leise, leise quälende Weh, das sie unter jenem Blick empfunden. Sie blieben allein noch, als all’ die anderen Bilder um sie her versanken, das einzige, was sie mit herübernahm in den festen traumlosen Schlaf der Jugend.




Golden lag der Sonnenschein auf Berg und Thal, der Mittag sandte sein heißes glänzendes Licht weithin über die Erde, nur der Schatten des Waldes bot noch Kühlung und Schutz vor den sengenden Strahlen, in deren Gluth draußen Alles flimmerte und leuchtete. Auf einem der Seitenwege, die von Dobra aus hinein in die Forsten führten, flog Lucie Günther dahin; es war ihr freilich verboten, allein und ohne die schützende Begleitung ihrer Erzieherin sich so weit zu wagen, aber wann hätte Lucie je nach der Erlaubniß gefragt, wo es die Befriedigung einer augenblicklichen Laune galt! Ein so weiter Spaziergang lag allerdings nicht in ihrem Plane, sie war auf’s Feld hinausgegangen, um ihren Bruder abzuholen, und verspürte, als sie von den Arbeitern vernahm, daß er bereits fort sei, nicht die mindeste Lust, in der Mittagshitze sogleich wieder umzukehren, sie ging lieber in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_070.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)