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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

jungen Dame wirbelte bei dem Gedanken an diese erste große Gesellschaft, die sie mitmachen sollte, zuerst kamen Erkundigungen über das Wo, Wie und Wann, dann wurde die Toilettenfrage erörtert – die Erzieherin sah, daß heute absolut nichts mehr zu erreichen war, sie gab den Unterricht auf.

„Lucie,“ sagte sie feierlich, „es giebt zwei Dinge auf der Welt, die ich noch zu erleben wünschte, aber leider liegen sie alle beide im Bereiche der Unmöglichkeit. Ich möchte den Menschen sehen, der im Stande ist, Sie zum Ernst und zur Vernunft zu bringen, und ich möchte das Wesen kennen lernen, das fähig wäre, Ihren Bruder auch nur um ein Haar breit von dem abzubringen, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hat zu thun. Ihr Geschwister seid zwei Gegensätze, die nur eine Aehnlichkeit miteinander haben – es ist mit beiden nichts anzufangen!“




Das Fest, mit welchem Baron Brankow seinen Namenstag feierte, hatte bereits seinen Anfang genommen. Das dortige Herrenhaus konnte nun freilich nicht im Entferntesten mit dem großartigen Aufwande, der in der Prälatur des Stifts, oder der schweren alterthümlichen Pracht, die in Schloß Rhaneck herrschte, den Vergleich aushalten, es war eben nur der einfache Sitz eines Landedelmannes aus gutem alten Hause; aber dies Haus war reich und gastfrei, und hatte sich dadurch zu einer Art von Mittelpunkt für die Geselligkeit der Umgegend gemacht. Man kam gern zu diesen Festen, und auch heute war die zahlreich geladene Gesellschaft ebenso zahlreich erschienen. Baron Brankow, ein kleiner freundlicher Herr, gutmüthig, eifrig und herzlich, ohne besondere aristokratische Würde, aber dafür mit allen Eigenschaften eines guten Wirthes begabt, empfing seine Gäste und geleitete soeben den Prälaten, der vor wenig Minuten angekommen war, zu einem Sessel am oberen Ende des Saales.

Der Abt des ersten und bedeutendsten Stiftes im Lande, das durch seinen Reichthum und seinen Einfluß eine fast fürstliche Stellung einnahm, pflegte mit seinen Besuchen sehr sparsam zu sein. Er erschien nur da, wo er wirklich auszeichnen wollte, und es gab nicht Viele, die sich rühmen konnten, ihn als Gast bei sich gesehen zu haben. Die Haltung des Barons und seiner Familie zeigte denn auch, daß sie diese Auszeichnung im vollsten Maße zu würdigen wußten, und die ganze übrige Gesellschaft empfing den hochgestellten Geistlichen mit der ihm gebührenden ehrfurchtsvollen Aufmerksamkeit.

Unmittelbar hinter seinem Oberen schritt Pater Benedict. Der Prälat fuhr niemals allein zu solchen Festen, er pflegte stets einen der Stiftsherren mit sich zu nehmen, die sich seiner besondern Gunst erfreuten, Es schien aber nicht, als ob der junge Priester den Vorzug zu würdigen wisse, der ihm zu Theil geworden, sein Antlitz trug den gewöhnlichen Ausdruck kalter Verschlossenheit und finster, fast feindselig blickte er auf das festliche Wogen und Treiben.

Dies Wogen und Treiben hatte übrigens heute nicht seine gewöhnliche, sich immer gleich bleibende Physiognomie, es lag eine leichte Aufregung darin, eine gewisse Unruhe, die bald genug auffiel. Man blickte oft nach der Thür, man flüsterte in Gruppen zusammen, irgend etwas Besonderes schien erwartet zu werden, irgend etwas Ungewöhnliches im Werke zu sein, und doch war dies nicht das Erscheinen des Grafen Rhaneck, der unmittelbar nach seinem Bruder eintrat, seine Gemahlin führend, während der junge Graf Ottfried den Beiden folgte. Zwar gab sich auch bei ihrer Ankunft die gleiche Bewegung kund, wie beim Eintritt des Prälaten; Rhaneck’s Stellung in der Residenz war eine zu bedeutende, um ihn nicht hier zu einer Autorität ersten Ranges zu machen, ganz abgesehen davon, daß er der reichste und vornehmste unter all’ den Nachbarn war; man empfing auch ihn mit der gleichen Ehrerbietung, wie seinen Bruder.

Die Gräfin war eine jener Erscheinungen, wie sie häufig genug vorkommen, vornehm, unbedeutend, langweilig, jedenfalls nicht die Frau, die einen Mann wie ihren Gemahl zu fesseln verstand. Ihr Sohn Ottfried trug unverkennbar die Rhaneck’schen Familienzüge, er glich äußerlich sehr dem Vater, aber ihm fehlte die feurige Lebhaftigkeit desselben, ebenso sehr wie die energische Ruhe des Oheims, sein ganzes Wesen verrieth eine Blasirtheit, in der alle anderen, vielleicht besseren Eigenschaften zu Grunde gegangen waren. Der noch so junge Mann hatte augenscheinlich schon alle Freuden des Lebens ausgekostet und war ihrer überdrüssig geworden, da war auch kein Hauch mehr von jener Kraft und jenem Feuer, das der alte Graf sich bis in seine späteren Jahre hinein bewahrt hatte, der schmächtige junge Officier mit den schlaffen Zügen und den matten Augen nahm sich neben der stattlichen Erscheinung des Vaters ziemlich unvortheilhaft aus.

Rhaneck hatte kaum den Bruder begrüßt und mit der Frau vom Hause gesprochen, als er sich auch bereits von allen Seiten in Anspruch genommen sah. Auch Ottfried befand sich bald genug in einem Kreise von Altersgenossen, die ihn mit Fragen und Erkundigungen nach der Residenz bestürmten. Die Gräfin dagegen saß im Kreise der Damen, ließ ihre reiche Toilette glänzen bewegte den Fächer langsam auf und nieder, und ließ nur sehr selten eine Bemerkung laut werden, sie hatte das Möglichste durch ihr Erscheinen hier gethan, und die Gesellschaft konnte und mußte es sich an dieser Ehre genug sein lassen.

„Aber, bester Brankow“ – der Graf hielt den Baron, der an ihm vorüber wollte, auf einen Moment lang fest – „sagen Sie mir nur, was ist das heute mit Ihren Gästen? Das ist eine Unruhe, eine Zerstreutheit überall! Erwartet man Jemand, oder haben Sie uns irgend eine Ueberraschung aufbehalten?“

Der Baron lächelte etwas gezwungen. „Beides vielleicht! Aber dieser Herr Günther scheint den Vornehmen spielen zu wollen, er läßt sich lange erwarten!“

Der Graf fuhr auf, als habe er unversehens einen Schlag erhalten.

„Wer?“

„Nun, unser Nachbar von Dobra! Sie wissen doch, daß er eingeladen ist?“

Graf Rhaneck trat einen Schritt zurück und sah den Baron von oben bis unten an. Die verbindliche Artigkeit in seinem Gesichte machte einem wahrhaft eisigen Ausdruck Platz.

„Man muß gestehen, Brankow, Sie muthen Ihren Gästen sehr viel zu!“ sagte er kalt.

„Aber mein Gott!“ rief der Baron befremdet, „sind Sie denn davon nicht unterrichtet? Die Einladung geschah ja doch auf speziellen Wunsch des hochwürdigsten Herrn Prälaten.“

„Meines Bruders?“ In der Stimme des Grafen mischten sich Unglaube und Zorn miteinander.

„Gewiß! Ich meinerseits hätte sicher nicht die Initiative in einer so delicaten Angelegenheit ergriffen; aber der Herr Prälat schien so großen Werth auf die Erfüllung seines Wunsches zu legen, machte sie so zu sagen zur Bedingung seines Erscheinens, daß ich nicht umhin konnte, diesen, ich gestehe es, mir sehr unangenehmen Schritt zu thun.“

Der Graf stand starr wie eine Bildsäule; als eben in diesem Augenblicke Brankow von anderer Seile her angesprochen ward, drehte er sich kurz um, ging auf seinen Bruder zu und zog ihn hastig mit sich in eine Fensternische.

„Weißt Du, daß man diesen Günther von Dobra heute hier erwartet?“

„Allerdings!“ Die Antwort des Prälaten klang sehr bestimmt, er hatte den Sturm kommen sehen.

„Und ist es wahr, was Brankow behauptet, daß die Einladung auf Deine Veranlassung, auf Deinen speciellen Wunsch geschehen ist?“

„Auch das ist wahr.“

„Nun, das begreife ein Anderer, mir fehlt jedes Verständniß dafür!“ rief der Graf empört und schlug leise, aber heftig mit seinem Fuße den Boden, daß die Sporen klirrten.

Der Prälat zuckte leicht die Achseln. „Du weißt, daß ich meine Gründe habe, den Mann kennen zu lernen. Ich muß ihn Auge im Auge sehen, muß ein Urtheil über seine Persönlichkeit haben, um zu wissen, was von ihm zu erwarten ist. Mir in meiner Stellung war jede Annäherung unmöglich; ich konnte ihm nur auf neutralem Boden begegnen, also mußte sich Brankow dazu hergeben.“

„Du ordnest wie gewöhnlich Deinen ‚höheren Gründen‘ alle und jede Rücksicht unter“, sagte der Graf bitter, „und scheinst ganz zu vergessen, daß Du dem Menschen mit dieser Einladung den Weg in unsere Kreise bahnst, die ihm bisher verschlossen waren, daß Du der ganzen Nachbarschaft ein höchst gefährliches Beispiel, ein unbegreifliches Aergerniß giebst.“

Ein kaum bemerkbares Spottlächeln spielte um die Lippen des Prälaten, während sein Blick die Gesellschaft überflog.


(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_040.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)