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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

mit ihm unterhalten, oder ihn mit einer musikalischen Soirée beglücken, dann war seine gute Laune unwiederbringlich dahin. An Karten und gesellschaftlichen Spielen nahm er keinen Theil. Für Personen hatte er ein außerordentlich treues Gedächtniß, dagegen gar keines für Orte. Die Namen der Städte, wo er Concerte gegeben, entschwanden seinem Gedächtniß, wenn er sie kaum verlassen. Wie die Natur Paganini ganz besonders für das Violinspiel eingerichtet hatte, war ganz merkwürdig. Die Finger hatten eine außerordentliche Länge und eine beispiellose Biegsamkeit; so konnte er den Daumen so weit zurückbiegen, daß er mit dem Nagel desselben die Oberfläche der Hand zu berühren vermochte. Ebenso außerordentlich war die Gelenkigkeit seiner Arme. Ohne alle Anstrengung bog er die beiden Ellenbogen dicht aneinander.

Vorzüglich merkwürdig war das Benehmen Paganini’s auf dem Wege zu den Concerten, in den Concertproben und hinter den Coulissen. In den Stunden zeigte er sich sowohl in persönlicher als artistischer Beziehung am allerinteressantesten. Seine Stimmung und sein ganzes Wesen am Morgen vor der Probe war ernster und feierlicher als gewöhnlich, Obgleich seiner Leistungen sicher, konnte er sich doch einer Art Befangenheit nicht erwehren. An einem solchen Morgen that er gar nichts, er saß still im Sopha. Wenige Augenblicke bevor er zur Probe fuhr, öffnete er den Violinkasten, um zu sehen, ob keine Saite gerissen sei, stimmte die Geige, griff höchstens ein paar Accorde, schloß dann den Kasten wieder zu, und ordnete die an dem Tage nöthigen Musikalien. Dabei schnupfte er fast ununterbrochen Tabak, ein sicheres Zeichen bei ihm der inneren Unruhe und des Nachdenkens. Fand er, daß sich Zuhörer eingeschlichen hatten, was nicht selten geschah, so markirte er seine Solos nur, deutete sie wohl blos durch ein leises Pizzicato an.

Sein Gehör war das denkbar feinste; der geringste Fehler entging ihm nicht. Beim stärksten Orchestertutti rief er: „Die zweite Clarinette bläst nicht! Ich höre den Alt nicht!“ etc. Spielte man ihm nicht zu Dank, so konnte er sehr heftig werden; begleiteten ihn die Musiker aber mit Präcision, dann rief er ihnen mitten im Spiele ein lautes „Bravissimo“ zu. Wir hatten vernommen, daß er in den Fermaten seine höchsten Künste zeige, und spitzten die Ohren, als er in der Probe nach dem Ende im ersten Satze kam. Er überraschte uns aber auf sehr unangenehme Weise, indem er die Violine mit den Worten absetzte: „Und so weiter, meine Herren!“ und weiter fortfahren ließ. Aus Furcht, daß man ihm eine Pièce entwende und abschreibe, nahm er seine Musikalien jedes Mal sorgfältig wieder mit sich, obgleich die Principalstimme gar nicht dabei war, da er Alles auswendig spielte. Nach der Probe genoß er ein einfaches Mittagsmahl und ruhte dann aus.

Sonderbar war’s, daß diesen an Concerttagen den Tag über schweigsamen, ernsten, melancholischen Mann von dem Augenblick an, wo er in dem ihm angewiesenen Nebenzimmer angekommen war, bis zu seinem Heraustritt vor das Publicum aller Ernst, der ihn den Tag über begleitete, verlassen hatte. In der Zwischenzeit trieb er gewöhnlich nichts als Scherze und Späße, und trieb das fort, bis der Capellmeister ihm ankündigte, daß die Reihe an ihm sei, wo er, plötzlich zum gewöhnlichen Ernst umgewandelt, vor dem Publicum erschien. Da er nach jedem Solostück so stark transpirirte, daß er zwei, drei Mal an einem Concertabende die Wäsche wechseln mußte, so glaubte man, daß das Spiel seinen schwächlichen Körper sehr angreife. Dies konnte aber nicht der Fall sein, da er am Abend nach dem Concert in der Regel heiterer war, als zuvor, und es ihm weder an Appetit noch an Schlaf fehlte.

Frei von gewissen Gewohnheiten der Großen war er auch nicht ganz. Wie bei Revuen oder Festparaden das Militär wohl stundenlang in brennender Sonnenhitze oder bei starker Winterkälte auf seinen General oder Kriegsherrn warten muß, so kam auch Herr Paganini nicht gleich, sondern ließ das Publicum eine geraume Anzahl von Minuten auf sich warten, bis er erschien. In den Zwischenacten wimmelte sein Cabinet von Musikfreunden, Blumensträuße und Gedichte stellten sich ein, meistens von Damen herrührend, denen er dann die artigsten Complimente machte. Es gehört dergleichen zum Virtuosenglück – wer’s dafür nimmt. Kirchenmusik hörte Paganini gern, weniger machte er sich aus der Oper, namentlich der deutschen. Doch schätzte er „Don Juan“ außerordentlich. Der Militärmusik war er nicht hold: „Diese Leute bringen es selten zum Zusammenklang!“ sagte er. Dagegen hatten Glockenspiele auf den Thürmen einen großen Reiz für ihn.

Ein schöner Zug in seinem Charakter war seine stets bereite Gefälligkeit. Junge Musiker, die ihm ihre oft dickleibigen Partituren brachten, junge Frauenzimmer, die von ihm wissen wollten, ob ihre Stimme sonor genug für die Bühne sei, Geigen, die ihm zur Beurtheilung gebracht wurden, Künstler, von deren Talent er sich überzeugt hatte und die ihn um Empfehlungen baten – Allen war er freundlich und gab ihnen Bescheid nach seiner Ueberzeugung. Lob hörte er gern, und las die Journale, in welchen es ihm gespendet wurde, mit Eifer und Genugthuung. Seine Correspondenz führte er in italienischer Sprache, seine französischen Briefe mußte er sich corrigiren lassen. Seine Handschrift war nicht die leserlichste.

Aeußere Pracht und Luxus waren ihm zuwider, selbst seine Orden trug er selten anders, als wenn er öffentlich erschien, und dann auch nur das Band derselben in der Ordensschnalle. Oftmals sagte er: „Wozu kann das Alles gut sein? Ich bin nicht stolz.“ Sich vom Gelde zu trennen war für ihn, den ehemaligen Verschwender, nach seiner Umwandlung zur Sparsamkeit, die allerschwierigste Aufgabe. Er konnte wegen einer nach seiner Meinung zu hohen Trinkgeldforderung höchlichst aufbrausen. Er handelte überhaupt auch bei den gewöhnlichsten Ausgaben, um abzudingen, was er sich in Italien hatte angewöhnen müssen; deshalb kam er bald in den Ruf eines Geizhalses, welcher in dem Maße stieg, als seine Reichthümer durch die außerordentlichen Einnahmen bei seinen Concerten zunahmen, die er nie anders als mit doppelten, oft mit dreifachen Eintrittspreisen gab. Daß er aber auch wohlthätig sein konnte, wo er es für angewandt erachtete, davon hat er ein Beispiel gegeben, wie es ein nobleres wohl nicht leicht geben mag. Bekanntlich lebte Berlioz den größten Theil seines Lebens in ärmlichen Umständen, ohne andere Schuld, als daß er an seinem Ideal mit eiserner Consequenz festhielt, das aber den Franzosen nicht zusagte. Auf Paganini machten aber Berlioz’ Werke einen wunderbaren Eindruck, und als er dessen „Romeo und Julie“ mit angehört und von des Componisten kümmerlicher Lage Kenntniß erhalten, schrieb er ihm am andern Tage:

„Mein lieber Freund!

Nachdem Beethoven entschlafen, konnte nur Berlioz ihn wieder aufleben lassen, und ich glaube nach dem Genuß Ihrer göttlichen Compositionen, die eines Genies wie das Ihrige würdig sind, Sie bitten zu müssen, als ein Zeichen meiner Huldigung zwanzigtausend Franken anzunehmen, die Sie nach Vorzeigung des Beigeschlossenen von Herrn Baron v. Rothschild ausgezahlt erhalten werden.“

Paganini erschien mir damals, in meiner warmen Jugend, als der vollkommenste Virtuose, als der Unvergleichliche im höchsten Sinne des Worts, und er ist es mir heute noch, wo das Blut in den Adern des fünfundsiebenzigjährigen Greises kalt und langsam hinschleicht. Ob je einer wiederkommen wird auf der Geige, der ihn vollständig erreicht, kann ich nicht wissen, bis heute ist’s noch nicht geschehen. Denn welchen Aufruhr er unter den Geigern auch erregte, mit welcher Wuth sie sich auch seitdem Tag und Nacht abwürgten, seine Künste ihm abzulernen und nachzumachen, in ihren Stübchen, und wo sie nur die Geige zur Hand hatten, bis zu den Pausen in den Proben (in den Proben im Berliner Orchester zum Beispiel mußte es förmlich verboten werden, sich Paganini’s Kunststücke einzuüben) – es sind nach ihm allerdings tüchtige Virtuosen gekommen, sie haben ihm auch manche seiner Künste abgelernt und mit mehr oder weniger Geschick nachgeahmt; aber alle seine besten Nachfolger, sie mögen Namen haben wie sie wollen, sind höchstens nur Bruchstücke von ihm. Das weiß ich und wissen Alle, die ihn gehört, daß über ihn hinaus kein Sterblicher mehr steigen wird noch kann. „Paganini ist der Wendepunkt der Virtuosität,“ sagte Robert Schumann und er hatte Recht. Die Folgezeit hat nur noch einmal ein Paganini ebenbürtiges Virtuosen-Phänomen erschaffen, auf dem Clavier, Franz Liszt. Auch er hat den Culminationspunkt auf seinem Instrument erstiegen, auch er hat die Virtuosität bei manchen seiner Nachfolger und Schüler außerordentlich gesteigert, und von Manchen wird gesagt, daß sie ihm nahe gekommen; erreicht in seiner ganzen Kraft und Herrlichkeit hat ihn keiner, übertroffen kann und wird er ebensowenig werden als Paganini. Doch steht der Ungar Liszt in geistiger Hinsicht als Componist, Schriftsteller und fast in allen Fächern menschlichen Wissens unendlich hoch über dem beschränkten Italiener.




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