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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

die sich um Deinen Segen drängt, als unter ihr verloren zu knieen und zu beten?“

Es zuckte etwas auf in den Zügen des jungen Priesters bei den letzten Worten, vielleicht zustimmende Begeisterung, vielleicht auch etwas Anderes, deuten ließ es sich nicht, denn die langen Wimpern sanken sofort nieder und verschleierten den Blick, er sah zu Boden.

„Vor allen Dingen muß ich Ihnen, Herr Graf, meinen Dank aussprechen, daß Sie mir dies Ziel ermöglichten. Nur Ihrer Güte allein verdanke ich meine Erziehung und Ausbildung, verdanke ich die Aufnahme in das Stift, die dem armen elternlosen Knaben, von niedriger Herkunft, wohl nie zu Theil geworden wäre. Ich fühle tief die Schuld –“

Ueber die Stirn Rhaneck’s lief eine glühende, schnell verschwindende Röthe, und hastig, beinahe ungestüm fiel er dem Redenden in’s Wort.

„Nicht doch, nicht doch! Nur nichts von Dank, von Schuld und dergleichen! Es war mein Wunsch, Dich diesem Stande gewidmet zu sehen, und ich bin überzeugt, Du wirst ihm Ehre machen. Mein Bruder stellt Dir das ehrenvollste Zeugniß aus, aber auch ihm gehst Du zu weit in Deinem rastlosen Eifer. Ich hoffte, Du würdest nach dem angestrengten Studium des Noviziats hier im Kloster endlich die Ruhe finden, deren Du so sehr bedarfst, statt dessen überarbeitest Du Dich nach wie vor, wachst ganze Nächte hindurch, gönnst Dir selbst auf Deinen Spaziergängen keine Erholung. Der Pater Prior sagte mir, als ich bei der Ankunft nach Dir fragte, Du lägest sicher wieder im nahen Walde und brütetest über irgend einem canonischen Werke, das Du mit Dir genommen. Bruno, wo soll das denn endlich hinaus?“

Der Vorwurf klang sehr milde, aber er mußte doch irgend eine wunde Stelle berühren, bei Erwähnung des Waldes schoß plötzlich eine dunkle Gluth in dem Antlitz des jungen Mönches auf und färbte brennend heiß Stirn und Schläfe, der Blick suchte scheu den Boden und die Lippen zitterten leise, dann plötzlich sanken die Blutwellen wieder, so schnell und stürmisch, wie sie aufgestiegen waren, und das Gesicht wurde erschreckend bleich.

Der Graf, dem dieser jähe Farbenwechsel nicht entgangen war, schaute ihn betroffen an. „Du bist krank!“ sagte er unruhig. „Dein ganzes Aussehen verräth es! Solchen Anstrengungen und Bußübungen, wie die Deinigen, muß schließlich selbst eine eisenfeste Gesundheit unterliegen. Wozu das Alles? Du bist jung, Du hast noch keine Schuld auf Deinem Gewissen, mache ein Ende mit dieser ewigen Pönitenz, werde endlich einmal wie Deine anderen Mitbrüder. Schone Dich, Bruno, ich bitte Dich darum!“

Er hatte die beiden Hände des jungen Priesters ergriffen und zog ihn leise zu sich, während sein Auge mit unverhüllter Besorgniß auf dessen blassen Zügen ruhte. Es lag eine seltsame Weichheit in Ton und Blick, eine Zärtlichkeit, deren man dies Gesicht und diese Stimme kaum fähig gehalten hätte; es geschah sicher nicht oft, daß Graf Rhaneck bat, aber der Eindruck dieser Bitte war anders, als er erwartete. Benedict machte eine Bewegung, als wolle er die Hand zurückziehen, und ließ sie dann, wie sich plötzlich besinnend, in der des Grafen, in seiner ganzen Haltung war etwas wie unwillkürliches Zurückweichen, wie instinctmäßige Abwehr, und in dem Blick, den er jetzt langsam emporhob, lag noch Schlimmeres, ein vielleicht unbewußter, aber tiefer und nur mühsam bezwungener Widerwille, als er ehrfurchtsvoll, aber eisig antwortete: „Sie sind sehr gütig, Herr Graf.“

Rhaneck ließ seine Hand fallen und trat zurück; er schien die Abweisung zu verstehen, aber jener verächtliche Ausdruck, der seinen stolzen Lippen so sehr zu Gebote stand, als er vorhin von dem „Bauer“ gesprochen, erschien diesmal nicht, wo er doch fast beleidigt wurde; wohl zuckte eine tiefe Bitterkeit durch sein Gesicht, aber sie hatte mehr vom Schmerz, als vom Zorn an sich.

„Du willst in mir immer und ewig nur den Gönner sehen, nie den väterlichen Freund!“ sagte er rasch und heftig. „Ich habe es nun bereits aufgegeben, bei Dir je eine Regung des Vertrauens der Offenheit zu finden. Immer diese unübersteigliche Kluft zwischen uns! und Du mußt Dir doch selbst sagen, daß Deine Stellung mir und der Welt gegenüber jetzt eine andere geworden ist.“

Benedict’s Wangen begannen sich wieder leise zu färben, aber diesmal war es unverkennbar die Röthe der Beschämung.

„Verzeihung, Herr Graf! Ich fühle tief mein Unrecht gegen den Mann, dem ich Alles danke, aber –“

„Aber Du kannst es nicht ändern! Laß gut sein, ich mag keine erzwungene Zuneigung, noch weniger eine erheuchelte. Wir werden uns jetzt wohl öfter sehen, da ich den Sommer über in Rhaneck zu bleiben denke. Für heute lebe wohl!“

Er wandte sich nach dem anstoßenden Gemach, aber auf der Schwelle zögerte er einen Moment, wie um eine nochmalige Annäherung Benedict’s zu erwarten, doch dieser verharrte unbeweglich auf seinem Platze, und mit einer raschen, unmuthigen Bewegung trat der Graf in das Cabinet seines Bruders.

„Ist die Unterredung schon zu Ende?“ fragte dieser befremdet aufblickend.

Rhaneck warf sich finster in einen Sessel. „Bruno ist wieder einmal unzugänglicher als je! Diese eisige Zurückhaltung und Verschlossenheit ist nicht zu überwinden!“

Der Prälat lächelte etwas hohnvoll und ein leiser Hohn lag auch in seiner Stimme. „Pater Benedict hat wohl wieder Deine Zärtlichkeit mit seiner unterwürfigen Kälte zurückgewiesen? Ich dachte es mir! Sonst wäre der Liebling nicht so schnell entlassen worden. Du thätest besser, sie Deinem eigenen Sohne zuzuwenden.“

Rhaneck fuhr auf. „Meinem Sohne! Und Bruno – ?“

„Ich meine den künftigen Majoratsherrn, Ottfried Grafen zu Rhaneck!“ Die Stimme des Prälaten klang scharf und schneidend. „Ihm allein bist Du diese Regungen von Zärtlichkeit schuldig, die Pater Benedict weder verstehen kann noch darf.“

Der Graf stützte den Kopf in die Hand. „Laß das ruhen!“ sagte er gepreßt. „Du weißt, in dem Punkte gehen unsere Ansichten auseinander.“

„Ja, nur allzusehr! Du wirst dieser Schwäche doch niemals Herr werden, das habe ich längst eingesehen. Du hast Recht, es ist am besten, der alte Streit bleibt ruhen. Laß uns davon abbrechen!“ –

Pater Benedict hatte inzwischen, als er sich verabschiedet sah, die Gemächer des Abtes verlassen und öffnete jetzt die Thür zu dem Kreuzgange, der die Prälatur mit den übrigen Räumen des Klosters verband. In dem schattig kühlen Raume gingen zwei Männer, im Gespräch begriffen, langsam auf und nieder. Der eine, gleichfalls ein Benedictinermönch, der Prior des Klosters, mit klugen, aber unangenehmen Zügen und stechenden schwarzen Augen, die einen eigenthümlich lauernden Ausdruck hatten, schien das Wort zu führen, während sein Begleiter mit einer Art unterwürfiger Freundlichkeit zuhörte. Es war ein Mann, schon hoch bei Jahren, er stand bereits auf der Schwelle des Greisenalters, die Kleidung eines Weltgeistlichen, die er trug, war sehr einfach, um nicht zu sagen dürftig, und doch schien sie mit ganz besonderer Sorgfalt in Stand gesetzt zu sein. Spärliches weißes Haar kam unter dem schwarzen Käppchen zum Vorschein, welches das fast kahle Haupt bedeckte. Das blasse eingefallene Gesicht verrieth zwar keine hervorragende Intelligenz, aber es hatte einen freundlich bescheidenen, ja demüthigen Ausdruck und in den hellen Augen, die das Alter noch nicht getrübt, lag etwas wie stille Resignation. Seine ganze Haltung hatte etwas Gedrücktes und Schüchternes, er fühlte sich offenbar nicht heimisch auf diesem Marmorfußboden und in der Gegenwart des Priors, der in gönnerhafter, vornehm herablassender Art zu ihm sprach.

Bei dem Eintritt Benedict’s verstummte die Unterhaltung und Beide wandten sich dem Eintretenden zu, der mit dem üblichen Klostergruße an ihnen vorüber wollte, der Prior hielt ihn jedoch zurück.

„Ist die Audienz bei dem Herrn Prälaten schon beendet?“

„Ja, Hochwürden.“

„So?“ Der Prior schien befremdet, er machte eine nachlässig vorstellende Bewegung mit der Hand. „Pater Benedict, der Jüngste unserer Brüder“ – und zu diesem gewendet fuhr er fort: „Sie kennen ja wohl den Herrn Pfarrer Clemens noch nicht?“

„Nein, Hochwürden.“

„Er ist unser Gast für einige Tage! Wird der Herr Graf Rhaneck heut zur Tafel bleiben?“

„Ich weiß nicht.“

Der Prior sah ihn mit einem Blicke an, der deutlich verrieth, wie wenig er mit diesen einsilbigen Antworten zufrieden war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_024.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)