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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ergraute Haar, im Verein mit dem schwarzen Ordensgewande, ließen ihn um ein ganzes Theil älter erscheinen als den Bruder, obgleich in Wirklichkeit nicht viel mehr als ein Jahr zwischen ihnen liegen mochte. Das volle dunkelblonde Haar des Grafen dagegen zeigte nur hin und wieder einige Silberfäden, das Auge war noch voll Feuer, die Bewegungen rasch und energisch, in Gang, Haltung und Ausdruck sprach sich eine Lebhaftigkeit aus, die in früheren Jahren wohl Leidenschaftlichkeit gewesen sein mochte, und die reiche Uniform, welche einen hohen militärischen Grad kennzeichnete, hob die Erscheinung des noch immer schönen Mannes noch um ein Bedeutendes.

Er wartete, bis sich die Thür hinter dem Kammerdiener geschlossen hatte, und nahm dann das vorhin unterbrochene Gespräch wieder auf.

„Du scheinst so zurückhaltend über Bruno. Giebt er Dir irgendwelchen Anlaß zur Klage, oder was ist sonst mit ihm?“

„Nicht doch!“ sagte der Prälat ruhig. „Pater Benedict fährt nach wie vor fort, sich unter all seinen Mitbrüdern auszuzeichnen. Er ist streng gewissenhaft in der Erfüllung seiner Pflichten und sehr eifrig in seinen religiösen Uebungen, nur allzusehr.“

Zu eifrig?“

„Ja, ich liebe es nicht, wenn meine jungen Mönche in diesem letzten Puncte allzu weit gehen. Diese ewigen Bet- und Bußübungen, dies fortwährende Fasten und Kasteien ist auf die Dauer nicht durchzuführen; es muß nothwendig einen Rückschlag erzeugen, der gefährlich werden kann.“

Der Graf lächelte. „Das mußt Du ihm zu Gute halten. Er ist nun einmal ein Schwärmer, ist es von jeher gewesen.“

„Es taugt aber hier nicht mehr!“ Die Stimme des Prälaten nahm unwillkürlich einige Schärfe an. „Ich habe schon öfter damit zu kämpfen gehabt. Das kommt aus den Seminarien mit seinen Idealen von begnadigter Priesterschaft, von ascetischer Weltentsagung und gottgeweihtem Leben und findet – ein Kloster, wie es eben in unserer Zeit besteht. Die Ernüchterung kann nicht ausbleiben, und was dann? Es will mir nicht gefallen, dies finstere, scheue Absondern von den Brüdern, dies fortwährende einsame Umherschweifen in den Wäldern, dies nächtelange Studiren und Brüten über den Büchern –“

„Und das machst Du ihm zum Vorwurf?“ unterbrach ihn der Graf rasch und beinahe unmuthig. „Du, der von jeher über die geistige Indifferenz und Trägheit Deiner Mönche klagtest! Ich begreife Dich nicht! Gerade dieser rastlose Wissensdrang im Verein mit seiner eminenten Begabung und seinem Feuereifer, das sind die Elemente, aus denen man die Stützen der Kirche heranzieht.“

„Oder die Apostaten!“

„Um Gotteswillen, Du glaubst doch nicht, daß Bruno –“

„Nein!“ sagte der Prälat. „Ich wiederhole es Dir, er hat mir noch keinen Grund zum Tadel gegeben; ich mißtraue nur dieser Richtung im Allgemeinen, und das muß anders werden, wenn er die Hoffnungen verwirklichen soll, die Du auf ihn setzest. Du schmeichelst Dir damit, in ihm dereinst meinen Nachfolger, vielleicht noch etwas Höheres zu sehen; Talent dazu hat er genug, aber ihm fehlt der freie Ueberblick, die Berechnung. Mit Beten und Kasteien, das einer untergeordneten Mönchskutte ziemen mag, erringt man keine hervorragende Stellung in der Kirche, noch füllt man sie damit aus. Er muß hinweg über das Schülerhafte des Neophyten, wenn er empor will, und daß er das noch immer nicht kann, flößt mir Besorgniß ein!“

Der Graf antwortete nicht, mit einem unterdrückten Seufzer trat er zum Fenster und schaute, den Vorhang zurückschiebend, hinaus in das sonnenbeschienene Thal. Der Prälat folgte der Richtung seines Blickes.

„Was sagst Du zu der neuen Nachbarschaft in Dobra?“ fragte er, plötzlich von dem soeben verhandelten Gegenstande abbrechend.

Rhaneck zuckte die Achseln. „Ich habe nicht geglaubt, daß die Seltenow’schen Besitzungen in solche Hände fallen würden!“ sagte er wegwerfend. „Es ist immerhin ein starkes Stück von diesem norddeutschen Bauer, sich so gerade in unsere Mitte hinzusetzen, als wäre er unseres Gleichen. Man ignorirt ihn einfach.“

Sehr ruhig stand der Prälat auf und trat gleichfalls zum Fenster. „Es ist von jeher Dein Fehler gewesen, Ottfried, die Gegner zu unterschätzen, und nichts rächt sich so schlimm wie gerade dies. Dieser Günther ist Keiner von Denen, die sich mit einem Stirnrunzeln und einem vornehmen Achselzucken abthun lassen. Man hatte allerdings die Absicht, ihn zu ignoriren; aber er kam uns zuvor und ignorirte einfach uns. Nebenbei ist er auf dem Wege, eine Macht in der Umgegend zu werden.“

„Warum nicht gar!“ fuhr der Graf auf. „Die Güter sind in Grund und Boden gewirthschaftet – er wird darauf zu Grunde gehen!“

„Ich fürchte, er bringt sie zu einer nie geahnten Höhe. Wo Graf Seltenow seinen Ruin fand, da findet dieser ‚norddeutsche Bauer‘ überall neue Hülfsquellen und deckt wahre Schatzgruben auf. Was er in dem einen Jahre schon geleistet, übersteigt alle Begriffe; seine Einrichtungen und Verbesserungen sind großartig, noch schlimmer, sie sind praktisch. Ich habe mir eingehenden Bericht darüber erstatten lassen. Geht das so fort, dann ist es allerdings keine Prahlerei mehr, wenn er behauptet, daß die Güter nach sechs Jahren das Sechsfache ihres bisherigen Werthes haben würden.“

„Nun, und wenn’s wäre, was geht das uns an?“ Der verächtliche Ausdruck lag noch immer um den Mund des Grafen. „Man wird dafür sorgen, daß er auf seiner Scholle bleibt. Uebrigens soll er ja, wie ich höre, ganz in seine wirthschaftlichen Angelegenheiten vertieft sein und gar nicht beabsichtigen, auf einem andern Gebiete irgend eine Rolle zu spielen.“

„Weil er noch fremd ist. Warten wir erst ab, wenn er festen Fuß gefaßt hat. Es ist immer gefährlich, wenn ein Fremder, ein Protestant, all die Arbeitskräfte der Umgegend an sich zieht und für sie eine Autorität wird. Es gährt ohnedies hier überall; man wird ihm gegenüber Stellung nehmen müssen.“

Der Graf hörte die letzten Worte kaum, er wandte sich hastig um, denn in diesem Moment wurde die Flügelthür von Neuem geöffnet und ein junger Mönch in der schwarzen Tracht der Benedictiner erschien auf der Schwelle.

Er konnte höchstens vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt sein, aber es lag nichts von Jugendfrische und Jugendleben in diesen Zügen, die Beides vielleicht nie gekannt hatten. Ueppiges dunkles Lockenhaar kräuselte sich um die hohe Stirn und umgab ein Antlitz, das selbst in seiner ascetischen Blässe und seinem Ausdruck finsterer Verschlossenheit noch schön zu nennen waren. Die kalte, fast eisige Haltung contrastirte seltsam mit dem düstern Feuer der großen tiefliegenden Augen, während das lange dunkle Ordensgewand den hohen Wuchs noch mehr hervortreten ließ. Er blieb schweigend, mit einer tiefen ernsten Verneigung an der Thür stehen, trotzdem er sah, daß Graf Rhaneck im Begriff stand, ihm entgegen zu gehen, und trat erst auf einen Wink des Prälaten langsam näher.

„Graf Rhaneck wünscht Sie zu sehen, deshalb ließ ich Sie rufen, Pater Benedict!“ erklärte dieser. „Du ziehst doch wohl vor, Deinen Schützling allein zu sprechen, Ottfried; ich will das erste Wiedersehen nicht stören. Im Cabinet findest Du mich.“

Er grüßte leicht mit der Hand und zog sich in das anstoßende Gemach zurück, Pater Benedict neigte sich, wie vorhin, tief und unterwürfig vor seinem geistlichen Oberherrn, der Graf aber trat jetzt auf ihn zu und bot ihm die Hand.

„Wir haben uns lange nicht gesehen, ein volles Jahr lang nicht! Muß ich jetzt auch dem hochwürdigen Herrn Pater die Ehren seines neuen Standes geben, oder ist mir noch die frühere Vertraulichkeit und der weltliche Name erlaubt?“

Die Worte klangen freundlich und herzlich, und es war ein eigenthümlicher, halb froher halb düsterer Blick, der dabei forschend über das Antlitz des jungen Mönches glitt, aber dieser erwiderte die Begrüßung kaum, seine Hand lag kalt und still in der des Grafen, ohne dessen Druck zu erwidern, und seine Züge blieben unbeweglich, als er ablehnend sagte: „O, ich bitte, Herr Graf!“

Rhaneck lächelte. „Nun, der Vormund und ehemalige Beschützer kann auch wohl noch das alte Recht in Anspruch nehmen, nicht, Bruno? Also jetzt endlich ist das Ziel erreicht, dem Du von frühester Jugend an bestimmt wurdest, nach dem Du selbst mit allen Kräften gerungen hast. Du gehörst nun dem alten berühmten Orden an, der jedem seiner Mitglieder die Priesterwürde verleiht, zu dem ein Jeder das Wissen und den Beruf des Priesters mitbringen muß. Nicht wahr, es ist ein anderes Gefühl, als Geweihter des Herrn vom Altare auf die Menge herabzublicken,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_023.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)