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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Feuerbach’s jüngerer Bruder Friedrich stellt in einer Schrift „Die Religion der Zukunft“ als System desselben die Aufgabe auf, zu beweisen: daß man, um Frieden und Glückseligkeit auf Erden zu begründen, die Kirche auf friedliche Weise in eine Volksbildungsanstalt und die Theologen in Diener der Menschheit, Volkslehrer und Vorkämpfer der Volksbildung umwandeln müsse. Man habe nur die Wahl zwischen dem theologischen Gott und der Menschheit, Eines oder das Andere müsse man opfern.

Gar oft ist von der Gefahr die Rede gewesen, welche durch diese Feuerbach’schen Grundsätze nicht nur der Religion, sondern auch der Sittlichkeit drohen soll. Das Letztere ist ganz gewiß nicht der Fall, und auch das Erstere nicht, wenn wir unter Religion jene Herzensbildung verstehen, deren köstliche Frucht die Menschenliebe ist. Wenige kurze Aussprüche werden Feuerbach in dieser Beziehung rechtfertigen. „Es giebt nur Ein Böses – es ist der Egoismus; und nur Ein Gutes – es ist die Liebe.“ „Liebe, aber wahrhaft! – und es fallen Dir alle anderen Tugenden von selber zu.“

Feuerbach’s eigenes Leben liefert übrigens das sprechendste Zeugniß für die Ungefährlichkeit seiner Grundsätze. Mehr Herzensgüte, Zartsinn und Anspruchlosigkeit wird selten bei einem Manne angetroffen, neben einer Entschiedenheit des Charakters, einer Unwandelbarkeit und Makellosigkeit der Gesinnung, die auch seine schlimmsten Gegner niemals anzutasten gewagt haben.

Um so tiefer ist es zu beklagen, daß eines solchen Mannes Lebensabend ein so entsetzlich trauriger sein soll, wie ein nur allzu gut verbürgtes Gerücht dies befürchten läßt. Im stillen Philosophenasyl am Rechenberge liegt Ludwig Feuerbach arm, alt und krank darnieder: dem Pflüger mit dem Geist ist die Schar zerbrochen, mit der er den Acker auch um das liebe Brod durchfurchen mußte. Das einzig noch in der Liebe für die Seinen schlagende Herz drückt die Centnerlast der Sorge für deren Zukunft.

Darf so das Ende Ludwig Feuerbach’s sein?

Nein! Soweit läßt der Theil unsrer Nation, welcher denkfähig und herzensfrei einst dem muthigen Kämpfer seinen Beifall zugejubelt hat, soweit läßt das deutsche Volk von heute die alten Schandbilder nationalen Undanks nicht auffrischen! Wir können zwar nicht erst das Spiel eines Plebiscits aufführen, um abstimmen zu lassen, wie groß die Zahl Derer ist, welche in Feuerbach’s Religionsphilosophie nicht mehr sehen und wünschen mögen als ein neues System zu den alten; wir wenden uns an Diejenigen, welche noch heute die Begeisterung nachfühlen, welche der Feuerbach der „Jahrbücher“ in ihnen erregte, und an alle Diejenigen, welche die Ueberzeugung erfüllt, daß nur zum Besten der Menschheit, zum Heil seines Volks, zum Glück jedes Einzelnen der rastlose Mann im selbstgewählten Beruf sich abmühte – diese Getreuen des Apostels der kämpfenden Wissenschaft fordern wir auf, die Redaction der Gartenlaube in den Stand zu setzen, im Namen ihrer Leser für die Lieben Feuerbach’s einen Schirm gegen ein zu hartes Geschick aufzurichten und ihm selbst noch ein Lächeln der Freude in das einst so göttlich strahlende Auge zu locken. Selbstverständlich steht zu erwarten, daß für dieses Unternehmen eine der hohen wissenschaftlichen und nationalen Würdigkeit des Mannes entsprechende Form und Art gefunden werde: nicht von Unterstützung kann hier die Rede sein, sondern von einem Nationaldank, für welchen in allen Hauptsitzen deutscher Intelligenz sich Ausschüsse zu bilden haben, um der Einsammlung der Ehrengaben Zug und Kraft zu geben.

Die Gartenlaube veröffentlicht, wie immer, zu rechter Zeit Quittung und Abrechnung über die ihr zugehenden Beiträge zu diesem Nationaldank.

Redaction der Gartenlaube 50 Thlr.; Dr.  Friedrich Hofmann 3 Thlr.; X. Y. aus Wiesbaden 10 fl. rh.; Professor Bock 10 Thlr.




Die barmherzige Schwester.

(Mit Abbildung S. 5.)

Fremde Leiden, fremde Sorgen
Treiben dich von Haus zu Haus,
Und kein goldner Frühlingsmorgen
Lockt dich mehr zum Licht heraus
Aus der dumpfen, trüben Kammer,
Wo ein Leben schmerzvoll ringt
Und der allerschwerste Jammer
Sich um Menschenherzen schlingt.

Mit der Röthe deiner Wangen,
Ach, ist auch dein Glück verblüht,
Ist die Freude hingegangen,
Die an treuer Brust nur glüht.
Nicht am Abend, nicht am Morgen
Beut dir Liebe ihren Strauß –
Fremde Leiden, fremde Sorgen
Treiben dich von Haus zu Haus.

Und in stummverhalt’ner Klage
Hebst das Kindlein du empor,
Das an seinem ersten Tage
Auch sein Bestes schon verlor.
Weinst du? Darf das junge Leben,
Das so warm sich an dich schmiegt,
Neu um’s Herz dir Träume weben,
Die du doch schon längst besiegt?

Darf der Wünsche gold’ner Reigen
Dich umgaukelnd neu dir nah’n?
Nein, du nennst kein Herz dir eigen,
Einsam wallst du deine Bahn.
Fremde Noth und Thränen borgen
Lieb’ und Treue bei dir aus –
Fremde Leiden, fremde Sorgen
Treiben dich von Haus zu Haus.

 Hermann Oelschläger.




Blätter und Blüthen.


Französische Wissenschaft. „Wer wird uns von den falschen französischen Gelehrten befreien? Jedes Jahr, gegen Neujahr, werden wir von illustrirten Büchern, welche die Bildung der Jugend zum Zweck haben, überfluthet. Einige, man kann es nicht leugnen, stammen von verdienstvollen Männern her. Die meisten aber enthalten, unter dem Vorwande der Wissenschaft, nichts als Halbwahrheiten, Irrthümer und Dummheiten. H. Figuier, einer der stärksten Producenten dieser schlechten Waare, ist schon lange wegen seines unbegreiflichen Leichtsinns bekannt. Dennoch ist es ihm gelungen, in seinem letzten Werke ‚Die Menschenracen‘ seine gewöhnlichen Fehler zu überbieten, und wer dieses Buch ohne die nöthige Vorbildung liest, kann überzeugt sein, daß er über einen der interessantesten Punkte des Wissens nur falsche und unvollständige Kenntnisse erlangen wird.“

Diesen Mahnruf erläßt die „Discussion“, Organ der demokratischen Partei Belgiens, in ihrer Nummer vom 10. December 1871. Durch diese wackere Zeitung aufmerksam gemacht, nahmen wir das Buch zur Hand und fanden die angeführte Aeußerung nicht allein gerechtfertigt, sondern noch viel zu glimpflich. Wir lassen hier einige Zitate folgen. Der deutsche Leser bedarf keiner sonstigen Commentare.

„Die Familie der Slaven enthält die Russen, die Finnen (!), die Bulgaren, die Serben, die Bosniaken, die Ungarn (!), die Croaten etc.“ Diese Entdeckung wird die Finnen und Ungarn in nicht geringes Erstaunen versetzen.

„Die Franken stammen aus der Vermischung der Gallier mit den alten Bewohnern des Landes, den Iberern. Später gesellten sich Römer und Griechen hinzu und noch später Alanen, Gothen, Burgunden und Sueven.“

Die germanischen Franken sind dem Herrn Figuier total unbekannt. Sie haben nicht existirt. Sein Buch spricht nicht von der Eroberung Galliens durch die Merovinger. Wie könnte auch ein gutgesinnter Franzose zugeben, daß sein Vaterland jemals unter das Joch der nordischen Barbaren gerathen wäre? Die Franken waren also mit Iberern gemischte Gallier, und um dies zu beweisen, führt man uns, Seite 24, eine Zeichnung vor, welche gallische und fränkische Druiden darstellt. Das Schönste kommt erst. Herr Figuier vergleicht die modernen Deutschen und Franzosen. Er sagt:

„Die Völker der teutonischen Familie besitzen im höchsten Grade die Kennzeichen der weißen Race. … Da die Deutschen im Osten und im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_019.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2018)