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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Im Palmengarten eines Depossedirten.


Wer früher den Rhein besuchte, unterließ nicht, am allerwenigsten zur Zeit des anbrechenden Frühjahrs, „wo alle Knospen springen“, an dem sich in breiter Fronte an dem Strom hindehnenden, mit geräumiger Vorterrasse versehenen Schlosse zu Biebrich, dem Sommeraufenthalte des Herzogs von Nassau, anzuhalten und die großartigen Parkanlagen und Wintergärten zu besuchen. Die ersteren bilden noch heute in ihrer weiten Ausdehnung, schattigen Laubgängen, breiten Rasenflächen, versteckten Teichen und bunten Blumenbeeten, und weil fern dem Wogen und Treiben einer größeren Stadt, einen der ruhigsten, man darf fast sagen, der weihevollsten Aufenthaltsorte.

War dies allein schon geeignet, den Fremden heranzuziehen und für einige Stunden in dem sonst schmucklosen Biebrich zu fesseln, so zog die zweite obengenannte Oertlichkeit, die sich mitten in diesem Parke befand, die Besucher aus Nah und Fern in weit größerem Maße an. Zur Zeit um Ostern waren die herzoglichen Wintergärten ein wirklicher Wallfahrtsort für Alle, die Gelegenheit zu deren Besuche fanden. Die Bewohner der Nachbarstädte Mainz, Wiesbaden, Darmstadt, Frankfurt etc. strömten in den von Blumenduft und Farbenglanz erfüllten Glashäusern zusammen und ergötzten sich an der Pracht der zwischen dem dunklen saftigen Grün herausleuchtenden Camellienblüthen, beschauten die minder prächtigen, aber blüthenreichen Rhododendren, oder athmeten den würzigen Duft der Hyacinthen ein, die neben Amaryllis, Croken, Narcissen und andern Blumen die Beete mit ihrer reichen Abwechselung schmückten.

Wer dann sich müde gesehen an dieser farbigen Blumenwelt, dem war, wenn man so sagen darf, ein weniger sinnberauschendes Vergnügen geboten, wenn er sich dem hochaufragenden Palmenhause zuwandte, das mit seiner grünlichen Glasbedeckung, den vielgestalteten und vielgearteten exotischen Gewächsen, einen ebenso harmonischen als fremdartigen Eindruck machte. Hier, wo die Sprößlinge ferner Länder und verschiedener Klimate friedlich unter einem beschützenden Dache wohnten und gediehen, wo Palmen und Latanien, Dracänen und Maranten, Philodendron und Chamärops und hohe wie niedrige Farren Zeugniß ablegten von der üppigen Vielgestaltigkeit der tropischen Flora, hier befand sich auch das trauliche Plätzchen, das der Herzogin von Nassau als Lieblingsstätte diente, wenn sie in stiller Zurückgezogenheit und Beschaulichkeit vielleicht Träume vor ihrer Seele vorüberziehen ließ, deren sich wohl auch die nicht erwehren können, die auf der höchsten Staffel des irdischen Lebens stehen. Ob die hohe Frau je daran gedacht, daß „unter Palmen Niemand ungestraft wandelt“?

Auch das herzogliche Haus entging nicht den Geschicken, die das Jahr 1866 über Reiche und Städte hereinbrechen ließ. Die verhängnißvolle Bundestagssitzung vom 14. Juni jenes Jahres führte zu dem bekannten Bruderkrieg zwischen Preußen und Oesterreich und ihren beiderseitigen Verbündeten, aus dem Ersteres nach kurzem Feldzug siegreich hervorging. Der Herzog zog sich, nachdem er einen Vertrag mit der Krone Preußen Ende September 1867 abgeschlossen, in’s Privatleben zurück und nahm mit seiner Familie ständigen Wohnsitz in Frankfurt am Main.

Es ist kein bloßer Zufall, daß bald nach dem Einzug der herzoglichen Familie in die alte Reichsstadt auch die Schöpfung des Herzogs und die Freude seiner sinnigen Gemahlin der Bürgerschaft dieser Stadt zum bleibenden Genuß und gewissermaßen zum Stolz gereichen sollte. Großmüthig verzichtete der Herzog auf weit höhere Gebote als die, wie sie Frankfurt für den Erwerb der Wintergärten zu machen im Stande war. Für einen im Verhältniß äußerst mäßigen Preis wurde von der auf Actien gegründeten Gesellschaft das wohl aus dreißigtausend Exemplaren bestehende Pflanzen-Inventar erworben und in dem prachtvollen Glastempel und den übrigen Kalt- und Warmhäusern aufgestellt. Bereits am 9. April 1870 konnte das Pflanzenhaus feierlich eröffnet werden und im vergangenen Sommer wurden auch die übrigen Localitäten dem geselligen Verkehr übergeben.

Das Bürgerthum geizt nicht nach den Ehren und dem Glanze der Großen dieser Erde. Bescheidneren Sinnes findet es Befriedigung in einem behaglichen, den quälenden Sorgen fremden Leben. Die sorgliche Pflege des Familienlebens, die bestmöglichste Erziehung der Kinder sind die ersten und vornehmsten seiner Bestrebungen, und schreitet es daneben zum Genuß, so ist es, wenigstens so weit wir es in Frankfurt kennen lernten und es ihm mit Rühmen nachsagen können – das Verlangen nach einem beglückenden, dem Gemüthe entsprechenden „Zu Hause“.

Wenn man sich den Straßen und Gassen des alten Frankfurt, seinem geschäftigen Leben und Treiben entwunden hat, tritt man in einen weiten Gürtel mehr oder weniger prächtiger Landhäuser ein, die sich eng an die die innere Stadt umschließende „Promenade“ – eine reizende Schöpfung – anschmiegen. Strahlenförmig gehen von hier theils dazwischen entstandene andere Straßen, durch zahllose Querstraßen verbunden, ab, mit ihren Häusern und Villen eine Gürtelstadt bildend, wie sie wenige Städte aufzuweisen haben. In dieser ganzen Außenstadt dürfte sich nicht ein Haus finden, welches nicht einen größeren oder kleineren Garten aufzuweisen hätte. Dort unter Bäumen und Lauben, zwischen Blumen und Büschen sucht und findet der Frankfurter, wenn er irgend die Mittel dazu hat, nach den Geschäften des Tages seine Erholung. Jede Verschönerung dieser Außenstadt, die Anlage eines Square’s u. s. w. begrüßt deshalb der Frankfurter mit Freuden. So war es s. Z. mit dem Zoologischen Garten, der, abgesehen von dem bald gewohnten Anblick der verschiedensten Thierarten aller Zonen und Länder, durch seine schönen Anlagen einen beliebten Aufenthaltsort bildete.

Als daher nach der Depossedirung des Herzogs von Nassau nur die Möglichkeit des Erwerbs der Wintergärten laut wurde, war letzterer bei dem Local-Patriotismus, den der Frankfurter im höchsten Grade besitzt, bereits eine abgemachte Sache. Die nöthige Summe war alsbald gezeichnet, die Pläne wurden entworfen, der Platz bestimmt, und als das beauftragte Comité den Kauf abgeschlossen hatte, bewegten sich auch schon Hunderte geschäftiger Hände, das Project zur raschen Realisirung zu bringen.

An einer der schönsten von Frankfurt abführenden Straßen, der mit einer Kastanien- und Lindenallee bepflanzten Bockenheimer Landstraße, etwa zehn Minuten von der Stadt und den Westbahnhöfen gelegen, dehnt sich das über zwanzig Feldmorgen große Terrain der Palmengärten aus. Wir betreten zuerst den die Gebäulichkeiten umgebenden Garten. – Wir sprechen hier nach sommerlichen Erinnerungen.

Wenn wir das Controlhäuschen mit seinen stets zuvorkommend artigen Insassen passirt haben, schauen wir über eine breite, von Kieswegen durchschnittene Rasenfläche, eingerahmt durch reizende Beete in sogenannter Teppichgärtnerei, die nach den Gebäulichkeiten zu von zwei hintereinander aufsteigenden Terrassen abgeschlossen wird.

Nach links und nach rechts biegen sich an den Gebäudelangseiten hin weite Gartenanlagen nach dem freien Felde zu, mit Aussicht auf die lieblichen Linien des Taunusgebirges ab. Rasenflächen, Baumgruppen, Blumenbeete, Teiche, bepflanzte Hügel wechseln hier in wohlthuender anmuthiger Anordnung, Alles frisch und gesund, wie es nur eine sorgfältige Cultur zu schaffen im Stande ist. Was die Gebäulichkeiten selbst betrifft, so sehen wir vom Eingang des Gartens auf das breitfrontige Restaurationsgebäude mit seinen gedeckten Säulenhallen, aus einem Souterrain und zwei hohen Stockwerken bestehend. Die Säulenhalle in der Fronte steht durch Thüren mit dem großen Saale, welcher fast die ganze Länge und Tiefe des Gebäudes in Anspruch nimmt, in Verbindung. Von der Seite aus, zur Rechten, führt ein großes Portal und ein mächtiger Vorplatz zu diesem Saale, dessen Raum durch eine hohe vierfache Säulenreihe, die als Trägerin der ausgedehnten Gallerieen dient und nach der Nordseite hin das Orchester umschließt, abgegrenzt wird, circa fünfhundert Personen faßt und neben welchem sich noch eine Reihe abgeschlossener eleganter Zimmer befindet.

Treten wir jetzt aus diesen Räumlichkeiten, die uns die schöneren Seiten des Materialismus erkennen ließen, in eine Sphäre ein, wo erst eine Ueberraschung durch den feeenhaften Anblick, dann eine gewisse behagliche Gemüthsstimmung uns überkommt. Mit dem Rücken gegen die Spiegelscheiben des Saals gekehrt, überblicken wir von einer Terrasse aus das zu uns verpflanzte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_015.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)